Der »Idi Amin« der Konterguerilla

In Istanbul wurde der international gesuchte Haluk Kirci festgenommen

"Ich holte die beiden aus dem Auto und legte sie mit dem Kopf nach unten auf den Boden; dann schoß ich ihnen jeweils drei Kugeln in den Kopf. Dann sind wir wieder zu dieser Wohnung zurück. Dort lagen die fünf anderen bewußtlos am Boden. (...) Erst habe ich versucht, den einen mit einem Draht zu erdrosseln, aber das klappte nicht. Dann habe ich ihn mit einem Handtuch erstickt." Diese Beschreibung des für den Terror der siebziger Jahre in der Türkei exemplarischen, berühmt-berüchtigten "Bah ç elievler-Massakers" vom 8. Oktober 1978 stammt aus erster Hand: von Haluk Kirci, dem seit Jahren international gesuchten Massenmörder. Am 10. Januar wurde er in Istanbul festgenommen.

Kirci schildert die Szene in seinen im Mai vergangenen Jahres veröffentlichten Memoiren. Die Ermordeten waren sieben Studenten der linken, Gewaltfreiheit verteidigenden Türkischen Arbeiterpartei (TIP).

Zum Zeitpunkt der Morde war Kirci zwanzig Jahre alt und Student in Ankara. Zugleich war er Aktivist in der Jugendorganisation der rechtsradikalen Grauen Wölfe und glühender Anhänger von Alparslan Türkes, dem inzwischen verstorbenen ideologischen Führer der Bewegung. Türkes' Theorien basieren auf pantürkischem, rassistischem Gedankengut und einem militanten Antikommunismus. Den wußten Militär und Polizeiapparat schon in den siebziger Jahren zu nutzen: Die jugendlichen "Wölfe" wurden als Attentäter und bewaffnete Schlägertrupps gegen die linke Bewegung eingesetzt.

Eine Fortsetzung fand dies gegenüber der in den achtziger Jahren erstarkenden kurdischen Bewegung. Exemplarisch für die Haltung der "Wölfe" zur Kurdenfrage ist ein Zitat Alparslan Türkes': "Wenn ihr Kurden weiterhin eure primitive Sprache sprecht (...), werdet ihr von den Türken ebenso ausgerottet, wie man schon die Georgier, Armenier und die Griechen bis auf die Wurzeln ausgerottet hat."

Nach dem Militärputsch 1980 wurden mörderische Militante wie Haluk Kirci zunächst arbeitslos. Kirci hatte zudem das außerordentliche Pech, für die sieben Morde verurteilt und inhaftiert zu werden: Siebenmal lebenslänglich lautete das Urteil, elf Jahre lang saß Haluk Kirci in Haft.

Als er 1991 entlassen wurde, traf er einen guten alten Freund wieder: Abdullah Çatli. Der war in den siebziger Jahren einer der Führer der Jugendbewegung der Grauen Wölfe und Planer des Bah ç elievler-Massakers. Die Spitznamen der beiden kennzeichnen ihr Verhältnis treffend: Kirci nannte man in der Bewegung "Idi Amin", Çatli "Führer".

Çatli hatte mehr Glück gehabt als Kirci. Obwohl auch er zu diesem Zeitpunkt immer noch als Rädelsführer und Planer des Mordes an den sieben Studenten mit dringendem Interpol-Fahndungsaufruf gesucht wurde, lebte er unter dem falschen Namen Mehmet Özbay friedlich in einer noblen Gegend in Istanbul, trug einen Beamtenpaß bei sich und besaß einen für Sicherheitspersonal bestimmten Waffenschein, unterschrieben von dem damaligen obersten Polizeipräsidenten Mehmet Agar.

Çatlis Karriere in Kurzfassung: Çatli - der in der Türkei nie festgenommen worden ist - floh nach Europa, nachdem er 1981 die Flucht des Papstattentäters und Parteifreundes Ali Agca aus dem Gefängnis organisiert hatte. Agca war wegen des Mordes an dem liberalen Starjournalisten Abdi Ipek ç i, der vor allem durch seine Recherchen und Veröffentlichungen über die Machenschaften der Mafia und ihrer Verbindungen zum Staat bekannt geworden war, zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt worden.

In Europa finanzierten die "Wölfe" sich vor allem durch Drogengeschäfte. Deswegen verbüßte Çatli in Frankreich und der Schweiz jahrelange Haftstrafen. Dann verhalf ihm - nach eigenen Aussagen - der türkische Geheimdienst 1994 aus dem Züricher Metris-Gefängnis zur Flucht, mit "echten-falschen Papieren", einem Ausweis also, der von der türkischen Polizei für ihn auf eine falsche Identität ausgestellt worden war.

Deren Motivation: Çatli gehörte zu den Spezialeinheiten der türkischen Kontraguerilla, für die Anfang der neunziger Jahre eine eigene Abteilung innerhalb des türkischen Polizeiapparates eingerichtet wurde. Zugespitzt läßt sich deren Zweck folgendermaßen zusammenfassen: Die Kontraguerilla dient dazu, unter staatlicher Federführung Attentäter und Mafiosi zur illegalen Geldbeschaffung, zur Beseitigung von Regimegegnern und zur Provokation öffentlichen Aufruhrs einzusetzen.

Auch Haluk Kirci war prädestiniert für diese Aufgaben. Er gründete zunächst mit vier Partnern - einer davon Çatlis Bruder als Strohmann für Çatli selbst - eine Firma, die medizinische Geräte importierte und sie mit Hilfe von Bestechung und Bedrohung von Bürokraten vor allem an das türkische Gesundheitsministerium verkaufte. Anfang 1994 leitete Namik Erdogan, ein hoher Beamter des Gesundheitsministeriums, eine Untersuchung gegen die Firma ein. Am Abend des 9. Mai 1994 entführten ihn "unbekannte Täter" in Ankara - samt seiner Aktentasche mit den Ergebnissen der Untersuchung über die Machenschaften von Kircis und Çatlis Firma. Nach drei Monaten fand man seine Leiche außerhalb von Ankara. Bis heute ist der Mord nicht aufgeklärt.

Zudem ist Kirci verdächtig, im Jahr 1996 den Casinokönig Lütfü Topal, in dessen Spielhöllen Schwarzgeld gewaschen wurde, erschossen zu haben. Zwar hatte der Schutzgeld für sein Leben bezahlt. Aber er wußte zuviel.

Mitte der neunziger Jahre mußte Haluk Kirci untertauchen, weil das Justizministerium eine erneute Untersuchung der Bah ç elievlers-Morde eingeleitet hatte und die von Kirci abgesessenen elf Jahre Haft als zu wenig ansah. Seine Kontra-Aktivitäten und guten Beziehungen schützten ihn jedoch vor weiterer Strafverfolgung. Als die Istanbuler Polizei ihn 1996 festnahm, ließ man Kirci auf Geheiß eines hohen Polizeibeamten aus dem Toilettenfenster fliehen.

Mit Çatlis Tod im September 1997 jedoch begann die Dechiffrierung der Kontraguerilla. Çatli verunglückte in der Nähe der westanatolischen Stadt Susurluk mit einem hohen Polizeibürokraten und einem Abgeordneten der Regierungspartei, im Kofferraum befanden sich Attentatswaffen. Die daraufhin gegründete parlamentarische Untersuchungskommission brachte einen Teil der Verbindung von Sicherheitspolitik, Schmuggelgeschäften und Kontraterror ans Tageslicht.

Doch es blieb bei gefilterten Nachrichten. Immer wieder beklagten sich die Mitglieder der Kommission darüber, daß Zeugen Halbwahrheiten aussagten, daß ihnen Archive verschlossen blieben und daß insbesondere Zeugen aus dem Militärapparat einfach nicht vor der Kommission erschienen. Der Prozeß gegen einige enttarnte Bürokraten und Kontras schleppt sich dahin, nur einer der Angeklagten ist noch in Untersuchungshaft.

Fraglich ist, warum Kirci jetzt festgenommen wurde. Es ist bekannt, daß er unter falschem Namen weiter in der Türkei lebte, ein- und ausreiste, ohne festgenommen zu werden, obwohl sein Gesicht jedem Polizeibeamten bekannt ist. Vielleicht soll die nach monatelangem Gerangel in der vergangenen Woche schließlich gebildete Minderheitsregierung unter Ministerpräsident Bülent Ecevit mit Saubermann-Image eingeführt werden. Ecevit war vor zwanzig Jahren der erste türkische Ministerpräsident, der die Kontra öffentlich anprangerte und versprach, ihre Machenschaften ans Licht zu bringen. Doch dann schwieg er zwanzig Jahre lang.