»Sichere Verhütungsmethode«

In Peru wurde zwischen 1996 und 1998 systematisch zwangssterilisiert. Feministische Organisationen reagierten zu spät auf das Programms

Der peruanische Präsident Alberto Fujimori hatte den Diskurs der Uno-Konferenzen von Kairo (Weltbevölkerungskonferenz 1994) und Peking (Weltfrauenkonferenz 1995) bestens trainiert. In seiner Antrittsrede zur zweiten Präsidentschaft 1995 sprach er lang über Frauenrechte und ermunterte die peruanischen Frauen, "ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen".

In Peking glänzte er als einziger männlicher Präsident durch Anwesenheit und diplomatisches Feingefühl, für das er von vielen Frauenorganisationen Applaus erhielt. Gleichzeitig ging er einen offenen Konflikt mit dem rechten Sektor der katholischen Kirche ein, indem er sich medienwirksam für den Zugang aller Frauen zu allen Verhütungsmitteln und für liberale Sexualaufklärung an den Schulen einsetzte. Höhepunkt seines Strebens war im Januar 1996 die Bekanntgabe eines "Programmes zur reproduktiven Gesundheit und Familienplanung 1996-2000".

Stutzig hätte Frauenrechtlerinnen darin das Ziel einer Verringerung der "Fruchtbarkeitsrate" von aktuell 3,5 Kinder pro Frau auf 2,5 Kinder im Jahre 2000 machen sollen - ebenso wie die Vorgabe, "daß 100 Prozent der Patientinnen, die wegen Geburten oder Fehlgeburten eine Gesundheitseinrichtung besuchen, nach deren Verlassen mit einer sicheren Verhütungsmethode beginnen".

Tatsächlich folgte diesem Vorspiel eine flächendeckende Kampagne des peruanischen Gesundheitsministeriums, unter dessen Regie von 1996 bis 1998 schätzungsweise 280 000 Personen (zu über 90 Prozent Frauen) sterilisiert wurden - unter Bedingungen, die dem Prinzip einer informierten Zustimmung in vieler Hinsicht widersprachen.

Ausführlich dokumentiert diese Sterilisationskampagne ein jüngst fertiggestellter Bericht der Rechtsanwältin und Mitarbeiterin des lateinamerikanischen Frauenrechtskomitees Clade, Giulia Tamayo. Ihr gelang es trotz mehrerer Überfälle und Einbrüche in ihre Wohnung, bei denen ihr Dokumente entwendet wurden, 200 Fälle von Menschenrechtsverletzungen und den systematischen Charakter der Zwangssterilisierungen zu belegen.

Tamayo weist nach, daß das Gesundheitsministerium über die regionalen Gesundheitsbehörden für alle Angestellten obligatorische Quoten der zu sterilisierenden Personen erließ. 1996 gab es noch Prämien von bis zu zehn Dollar pro Sterilisation, spätestens ab 1997 drohten die Behörden allen - von der Dorfkrankenschwester bis zum leitenden Arzt - mit Kündigungen, sollte jemand seine Quote von monatlich zwischen zwei und vier Sterilisationen nicht erfüllen.

Sterilisiert wurden die Frauen auf sogenannten "Eileiterabbindungs-Festivals", die vor allem auf dem Land und in armen Stadtteilen stattfanden. Damit die Frauen daran auch teilnahmen, lockten Angebote wie Musikbands, kostenlose Zahnbehandlung oder kostenlose Haarschnitte. Zudem setzte das Gesundheitspersonal die Frauen über Hausbesuche unter Druck. Sie drohten den Frauen, die sich einer Sterilisation verweigerten, künftig als subversiv zu gelten, keine Lebensmittelhilfen mehr zu bekommen oder nicht mehr im Gesundheitsposten behandelt zu werden.

Auch Fälle direkten Zwangs wurden bekannt - sei es, daß Frauen, die zu einer Lebensmittelausgabe am Gesundheitsposten erschienen, dort für die Operation eingesperrt wurden, oder daß Frauen während einer Kaiserschnittgeburt ohne ihr Wissen sterilisiert wurden.

Nicht nur das Recht auf freie Entscheidung, sondern auch das auf Gesundheit wurde mißachtet: Tamayo dokumentiert insgesamt 17 Fälle, bei denen die Frauen während oder an den Folgen einer Sterilisation starben - durch Verletzung innerer Organe oder tödliche Infektionen. Das Personal war oft nicht für eine solche Operation ausgebildet, und es gab keinerlei Nachsorge nach dem Eingriff. Auch wurde auf Gegenindikationen wie Schwangerschaft, Tuberkulose, Unterernährung, usw. keine Rücksicht genommen. Tamayos Resümee in einem Interview: "Es war keine Gesundheitsversorgung, sondern eine Behandlung, die krank machte. Es war eindeutig ein Bevölkerungs-, nicht ein Gesundheitsprogramm. Das Interesse bezog sich auf demographische Daten, nicht auf die Leute."

Lokale Frauenorganisationen protestierten bereits 1996 gegen Fälle von Zwangssterilisationen. Dennoch wandte sich ein breites Bündnis peruanischer Menschenrechts- und Frauenorganisationen erst im März 1998 mit einer Protesterklärung an die Öffentlichkeit. Sie erreichten es, daß das Gesundheitsministerium Korrekturen in dem Programm vornahm und daß anscheinend seitdem auf die "Quoten" und Sterilisationsfestivals verzichtet wurde.

Das lange Schweigen über die Vorfälle erklärt Tamayo mit der Einbindung großer feministischer Nichtregierungsorganisationen (NRO) in die Ausarbeitung des Programms. Sie nahmen an einer beratenden Arbeitsgruppe teil - gemeinsam mit der Regierung und dem UN-Weltbevölkerungsfonds, der das peruanische Familienplanungs-Programm mit 6,5 Millionen US-Dollar unterstützte.

So integriert, werteten es einige Feministinnen als Propaganda der katholischen Kirche, als diese die ersten Berichte über Zwangssterilisationen veröffentlichte und sie mit einer Kritik an Verhütungsmittelangeboten verband. Nach Tamayo gelang es der Regierung, das Thema als einen rein ideologischen Konflikt zwischen moderner, frauenfreundlicher Regierung und konservativer Opposition darzustellen - und die großen feministischen Lobbyorganisationen übernahmen diese Interpretation, bis eine Fülle von Beweisen über den systematischen Charakter der Zwangspraktiken diese Version völlig entkräftete.

Aber auch international haben die feministischen Lobbyorganisationen, die den Diskurs von Kairo als Erfolg werteten und 1994 noch ankündigten, die Einhaltung der reproduktiven Rechte über Mechanismen wie "Women Watching ICPD" auch zu überwachen, im Fall Peru versagt. Diejenigen Frauenorganisationen, die spätestens seit Kairo auf einen Dialog mit den bevölkerungspolitischen Institutionen setzten, schienen ihre Erfolge auf dem Feld der institutionellen Diskurse überzubewerten und ihre Aufmerksamkeit zu wenig der alltäglichen Realität an der weit entfernten Basis zu widmen.

Die Analyse des peruanischen Sterilisationsprogrammes muß jedoch über das Einklagen menschenrechtlicher Standards hinausgehen. Fujimoris Programm ist nicht das Beispiel für eine mißlungene, sondern in ihrer Logik konsequent umgesetzte Bevölkerungspolitik.

Das Kriterium für eine "erfolgreiche" Bevölkerungsplanung sind nicht individuelle Handlungsspielräume, sondern ist ein statistisch berechnetetes Gleichgewicht zwischen dem Faktor "Bevölkerung" und sozioökonomischen Indikatoren. Während diese Indikatoren als unveränderbare Größe angenommen werden, gilt die Bevölkerung als Variable, die es an die Gegebenheiten anzupassen gilt. Tamayo weist dazu auf ein internes Papier des peruanischen Gesundheitsministeriums hin, das die Notwendigkeit der Bevölkerungskontrolle mit Engpässen in der Beschäftigungspolitik begründet. Auch in Zukunft sei mit einem beschränkten Arbeitsmarkt zu rechnen, an den die Bevölkerung angepaßt werden müsse.

In Deutschland nahmen mehrere NRO aus dem feministischen, entwicklungs- und umweltpolitischen Spektrum die Ereignisse in Peru zum Anlaß, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) in einem Offenen Brief aufzufordern, bevölkerungspolitische Zielsetzungen aus der entwicklungspolitischen Agenda zu streichen und zu der deutschen Beteiligung an dem Programm über die Finanzierung des UN-Weltbevölkerungsfonds Stellung zu nehmen.

In dem von der Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt initiierten Schreiben heißt es: "Unseres Erachtens können solche die Menschenrechte mißachtenden Praktiken nur verhindert werden, wenn Entwicklungspolitik von bevölkerungspolitischen Zielsetzungen Abstand nimmt. (...) Programme zur reproduktiven Gesundheitsversorgung sollten Teil einer Basisgesundheitsversorgung ohne demographische Hintergedanken sein."

Eine Distanzierung von bevölkerungspolitischen Leitzielen, wie es bis in die achtziger Jahre hinein aus Rücksicht auf die deutsche Geschichte und einem möglichen internationalen Imageverlust für die bundesdeutsche Entwicklungspolitik noch üblich war, ist allerdings von der SPD in keiner Hinsicht zu erwarten. Erst im Januar 1998 hatte die SPD-Fraktion im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit eine "aktive Bevölkerungspolitik" beantragt, um Bevölkerungspolitik zu einem Schwerpunkt "gleichwertig neben Armutsbekämpfung, Schutz der Umwelt, Förderung der Bildung und Frauenförderung" zu machen. Anscheinend reicht es der SPD nicht, daß schon seit 1991 Bevölkerungspolitik im "Förderkonzept Bevölkerungspolitik und Familienplanung" als Schwerpunkt deutscher Entwicklungspolitik institutionalisiert wurde und die Finanzierung seitdem mehr als verdoppelt wurde.

BMZ und die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) reagierten zwar auf den Offenen Brief der NRO. Sie hielten es aber nicht für nötig, auf die konkreten Vorwürfe einzugehen. Kein Wort zur Finanzierung des UN-Weltbevölkerungsfonds durch das BMZ mit jährlich über 40 Millionen Mark und zu den konkreten Ereignissen in Peru. Die Abteilung "Innovative Approaches to Reproductive Health" der GTZ ging sogar so weit, die Berichte über Peru anzuzweifeln. Ihr seien Zwangssterilisierungen in Peru das letzte Mal vor über zehn Jahren bekannt geworden. Statt dessen wurde unisono behauptet, das Prinzip der Entscheidungsfreiheit von Frauen sei oberstes Prinzip deutscher Bevölkerungspolitik und entspreche der Realität.

Damit wird den KritikerInnen das Wort im Munde umgedreht. Ihr Vorwurf, die Einbindung von Verhütungsmittelangeboten in Bevölkerungs- und nicht in Gesundheitspolitik führe immer wieder zu einer Mißachtung der reproduktiven Rechte, wird zu einer Kritik an Verhütungsmittelangeboten uminterpretiert. Wie in Peru wird versucht, mit dieser Gleichsetzung von Bevölkerungspolitik mit Verhütungsmittelangeboten die KritikerInnen in eine rechte Ecke zu stellen.

Kein Wort war in den Antwortschreiben dagegen von dem in den entwicklungspolitischen Konzeptionen der SPD aggressiv vertretenen Ziel einer Eindämmung des Weltbevölkerungswachstums die Rede. Während der Diskurs auf der Mikroebene über die einzelnen Programme behauptet, keine demographischen Ziele mehr zu verfolgen, werden diese auf der Makroebene als das Non-plusultra ausgegeben. Aus dem Antrag der SPD-Bundestagsfraktion: "Eine Verlangsamung des Weltbevölkerungswachstums (...) erleichtert nahezu alle Problemlösungen für eine zukünftige Entwicklung."