Trouble im Steuerparadies

Der deutsch-französische Block macht mobil: EU-Steuern sollen angeglichen werden - per Mehrheitsvotum

Dominique Strauss-Kahn und Oskar Lafontaine schreiben ein Papier, das es in sich hat. Mehrheitsprinzip statt Einstimmigkeit in der EU, so eine der zentralen Forderungen des deutschen und französischen Finanzministers. "Mit fortschreitender europäischer Integration ist es nur logisch, daß mehr Beschlüsse, auch über einige Steuerfragen, mit qualifizierter Mehrheit gefaßt werden", heißt es unter anderem in dem Memorandum, das in der vergangenen Woche zeitgleich in der Zeit und in Le Monde veröffentlicht wude.

Ein wichtiger Beitrag zur wirtschaftlichen Dynamik sei die Koordinierung der Steuern in Europa. Als Beispiele nannten die Minister eine Mindestbesteuerung der Kapitalerträge und eine Annäherung bei der Unternehmensbesteuerung. Weiterführende Schritte - etwa die Vereinheitlichung der national sehr unterschiedlichen Steuersysteme oder die Aufgabe der nationalstaatlichen Zuständigkeiten - werden jedoch nicht angestrebt.

Die Begründung für diesen Vorstoß: Es sei nicht hinzunehmen, daß "aufgrund internationaler Schlupflöcher den Staatshaushalten Milliarden Euro verlorengehen", so die Minister. Ungerecht finden die beiden Sozialdemokraten auch, daß einige Produktionsfaktoren - zum Beispiel Arbeit - einer übermäßigen Besteuerung unterlägen, nur weil andere Faktoren - zum Beispiel Kapital - in ihrer Mobilität nicht eingeschränkt seien.

In dieser innereuropäischen Auseinandersetzung geht es, wie immer in der EU, um zweierlei: um die Sache und ums Prinzip. Das Selbstverständnis der Europäischen Union hängt entscheidend davon ab, nach welchem Prinzip politische Entscheidungen gefällt werden. Bisher hat jeder Staat eine Stimme, Beschlüsse sind im Konsens zu erzielen, woraus sich ein faktisches Vetorecht eines jeden Mitgliedstaates herleitet. So kommt denn beispielsweise die EU in der Zypern- und Türkeifrage nicht um Griechenland herum; kein EU-Staat war in der BSE-Krise ohne Großbritannien zu machen.

Kein Wunder, daß sich Deutschland vehement dafür einsetzt, das Einstimmigkeitsprinzip in möglichst vielen Politikbereichen abzuschaffen, wie dies jüngst Bundesaußenminister Joseph Fischer vor dem Europa-Parlament forderte. Vorwand ist dabei auch die geplante Osterweiterung der EU - die Union sei in ihrer Handlungsfähigkeit bedroht, so die gängige Argumentation, verschaffte man jedem der Beitrittskandidaten ein Vetorecht in Grundsatzfragen.

Im Kern geht es also um das Verhältnis Deutschland/Kontinentaleuropa zum Vereinigten Königreich. Auf der Insel ist man sauer. Das Boulevardblatt The Sun schrieb, die Deutschen forderten bei der Diskussion um das Vetorecht die Kapitulation Großbritanniens. Daraus haben Lafontaine und Strauss-Kahn nun gelernt und in Euopa eine "philosophische Konvergenz" entdeckten, da 13 von 15 Mitgliedsstaaten sozialdemokratisch regiert würden: Ihre Steuerinitiative heißt nicht mehr Harmonisierung, sondern Koordinierung. Der flotte Wortwechsel hat noch einen weiteren Hintergrund; schließlich wurde erst auf dem EU-Gipfel Anfang Dezember in Wien eine allgemeine Steuerharmonisierung abgelehnt.

So viel zum Prinzip. In der Sache geht es den beiden Finanzministern darum, den Abwärtstrend bei den Steuern koordiniert aufzuhalten. Von 1986 bis 1997 sind in fast allen Ländern der EU die Steuersätze gesunken. Getreu dem neoliberalen Credo, niedrige Unternehmenssteuern förderten Investitionen, Wachstum und Beschäftigung. Dennoch sind die Unterschiede nominal gewaltig, auch wenn sie durch zahlreiche Ausnahmen relativiert werden. In Deutschland liegt beispielsweise der Körperschaftssteuersatz auf einbehaltene Gewinne bei 45 Prozent, in Großbritannien bei 31, in Schweden gar bei 28 Prozent.

Hinzu kommen zig Sonderregelungen für Unternehmer. Zum Beispiel ködert das britische Gibraltar Unternehmer mit Steuersätzen von einem Prozent; im boomenden Dublin müsen Unternehmen statt 32 nur zehn Prozent Körperschaftssteuer abführen; im italienischen Trieste wird Unternehmen die Körperschaftssteuer gänzlich erlassen.

Allerdings will die EU-Kommission schon seit längerem gegen "schädlichen Steuerwettbewerb" vorgehen. Eine Initiative, die im übrigen schon der ehemalige Bundesfinanzminister Theo Waigel angestoßen hatte. Seitem ist allerdings nicht viel passiert. Ein Jahr brauchte beispielsweise eine EU-Expertengruppe unter Leitung der britischen Finanzstaatsekretärin Dawn Primarolo, Kriterien für "unfaire Steuerpraktiken" herauszuarbeiten, die fortan bekämpft gehören. Als da wären: Steuervorteile, die nur von Ausländern genutzt werden können und solche für wirtschaftliche Scheinaktivität.

Da die Endfassung dieses Berichtes, von der das weitere Vorgehen abhängt, erst zu Ende dieses Jahres abgeliefert wird, wird Lafontaines kleiner Sohn Karl-Maurice wahrscheinlich schon Steuer, imp(tm)t oder tax plärren können, bevor innerhalb der EU erste Maßnahmen gegen das Steuerdumping getroffen werden. Bis dahin werden - wie im Kapitalismus üblich, alle gegen alle - die Länder versuchen, durch allerlei Tricks und Vergünstigungen gegenseitig steuerflüchtiges Kapital abzuziehen. Und da die Kohle irgendwo fehlt, wird wohl - philosophische Konvergenz hin, philosophische Konvergenz her - weiter gespart werden müssen: bei, na Sie wissen schon.