Am Tag von Popsdam

Der Museumspädagogische Dienst organisiert einen Riefenstahl-Diskurs

Freitag abend, 22 Uhr, gutaussehende junge Leute im Foyer des Potsdamer Filmmuseums. Man trinkt Wein, nimmt Schnittchen mit Oliven und Kaviar, wandelt durch die Leni Riefenstahl-Ausstellung. Gleich beginnt die Podiumsdiskussion mit dem trendy Titel "Pop will eat itself".

Thema ist Riefenstahl und Rammstein, Nazi-Ästhetik in der Popkultur. Anlaß ist unter anderem das Rammstein-Video "Stripped", das aus Szenen von Riefenstahls Olympia-Film montiert und auch in der Ausstellung zu sehen ist. Daß man an diesem Abend nicht unbedingt einen gediegen-linken Popdiskurs unter Insidern führen kann, muß man nicht bedauern. Schließlich befindet man sich nicht in der Spex-Redaktion, sondern auf einer Veranstaltung des Museumspädagogischen Dienstes Berlin. Daß diese Veranstaltung aber zum rechten Spektakel werden würde - war dann doch überraschend.

Zumal der Abend durchaus vielversprechend beginnt. Ulf Poschardt, Autor des Buches "DJ-Culture" und Chef des Süddeutsche Zeitung Magazins, spricht über intelligente und weniger intelligente Provokationsstrategien im Pop. Nachdrücklich unterscheidet er zwischen einem Phänomen wie den sich selbst dekonstruierenden Maschinenfreaks Kraftwerk in den Siebzigern und einer Gewaltverherrlichung und Nazi-Ästhetik, wie sie von Rammstein in den Neunzigern kultiviert wird - vor dem Hintergrund brennender Asylbewerberheime.

Sein Fazit zum Rammstein-Video fällt dennoch versöhnlich aus: "Am Ende ist Leni Riefenstahl da angekommen, wo sie wahrscheinlich nie hin wollte: in einer demokratischen Massenkultur, in der alles möglich ist, alles der Gegenwart zum Fraß vorgeworfen wird, eben auch der Ewigkeitskitsch der Nazis."

Über Poschardts Thesen ließe sich sicherlich streiten. Aber offenbar interessiert sich weder das Publikum noch das Podium so richtig dafür. Statt dessen verkünden die Filmemacher Sibylle Schimpf und Peter Kuhn, daß sie nächstes Jahr die Behindertenolympiade in Riefenstahls Olympia-Stil verfilmen wollen. "Warum?" will Poschardt wissen - und wer jetzt erwartet, daß die beiden damit eine heroische Ästhetik demontieren wollen, indem sie Behinderte als Statisten einsetzen, hat sich getäuscht. In sichtlich undurchdachten Phrasen schwärmen die beiden von der Kunst des Sportfilms und den Pioniertaten Riefenstahls. Offenbar wollen sie Behinderten vor allem die Möglichkeit verschaffen, bei sowas endlich auch mal mitzumachen.

Der Moderator Kai Uwe Kohlschmidt, Sänger der Industrial-Band Sandow, findet das Projekt super, "weil damit ein Spannungsfeld aufgemacht wird". Ulf Poschardt hat es kurzzeitig die Sprache verschlagen. Und Helmut Lehnert, Wellenchef von Radio Eins und aus ungeklärten Gründen auch auf dem Podium, befindet sich inzwischen schon in einer Art innerer Emigration und schweigt.

Kohlschmidt versucht indes aufs Thema zurückzukommen. In lockerem Ton stellt er fest, Rammstein habe sich nur eine Marktlücke gesucht, und das sei schon okay so. Kritik komme nur von Links, und Linkssein sei heute wie ein modisches Kleidungsstück. Man wechsele es je nach Trend. Pop funktioniere nach der westlichen Marktideologie, Leni Riefenstahl sei wie Werbung und Ästhetik sei eben Ästhetik und nicht Politik.

Auf den Einwand aus dem Publikum, man müsse sich doch auch überlegen, was man da ästhetisiere, schließlich gehe es um konkrete politische Situationen, die zur Zeit Riefenstahls sechs Millionen tote Juden zur Folge gehabt hätten, erwidert Kohlschmidt lakonisch: "Pop ist alles egal, Pop nimmt, was er gerade brauchen kann!" Und damit ist die Zeit reif für Befindlichkeitsäußerungen der vom Holocaust geknechteten deutschen Jugend.

Als Deutscher dürfe man die israelische Palästinapolitik nicht kritisieren, klagt der eine. Der andere bemängelt, daß es ihm als Deutschem nicht erlaubt sei, zu kritisieren, daß das Holocaust-Mahnmahl nur für Juden gedacht sei. Neben den Juden seien außerdem auch 20 Millionen Russen im Krieg umgekommen, deren Landsleute damit aber "viel natürlicher umgehen".

Dann beginnt jemand, der Opferzahl des Faschismus die des Kommunismus gegenüberzustellen, und kommt zu dem Schluß, der Kommunismus habe es auf mehr Opfer gebracht. Immer wieder werden dabei die Sätze mit Phrasen eingeleitet wie: "Ich verletze jetzt mal ganz bewußt die PC!" oder "Als Deutscher darf man das ja nicht sagen, aber ..."

Und plötzlich meint einer: "Tot ist tot, und ich rede auch nicht dauernd davon, was andere in ihren Kolonien gemacht haben." Kohlschmidt zitiert daraufhin "mal ganz provokativ" Heiner Müller: Der einzige Fehler Hitlers sei es gewesen, den Völkermord mitten in Europa - und nicht z.B. in Afrika - zu begehen. Dann hätte sich keiner beschwert.

Lehnert und die beiden Filmemacher sagen überhaupt nichts mehr. Poschardt, der immer wieder versucht zu widersprechen, mag es einfach nicht glauben: "Warum macht denn hier keiner was gegen diesen rechten Fuck, das kann doch echt nicht sein!" Im Publikum betretenes Schweigen, vereinzeltes Lachen, viele sind peinlich berührt. Zu offensichtlich hatte der Moderator nie vor, eine Diskussion überhaupt zustandekommen zu lassen.

Und zu offensichtlich werden hier rechte Positionen nachgeplappert und dann auch noch vom Moderator mit mißverstandenem Diedrich Diederichsen aufgepeppt. Dem einen oder anderen im Publikum ist das ganz offensichtlich peinlich und unangenehm. Was allerdings keinen veranlaßt, etwas dagegen zu sagen. Schließlich bricht Kohlschmidt die Diskussion ab. Grinsend bedankt er sich "für das kurze Gespräch".

Irgend jemand möchte dann gerne endlich das Rammstein-Video sehen. Poschardt wartet kurz ab, ob doch noch was passiert und verläßt dann sichtlich erregt den Saal. Auch Lehnert verläßt eilig das Museum. Ein Teil der Besucher folgt ihnen - obwohl noch "Metropolis" von Fritz Lang auf dem Programm steht.

Freitag abend, 23.30 Uhr. Die müßige Diskussion ist vorbei, die linken Haarspalter sind weg, deutsche Jugend unter sich. Man darf gespannt sein auf einen alten deutschen Film mit Tradition; und der ewig grinsende Kohlschmidt gibt die passende Parole aus: "Und jetzt ist noch Kino angesagt, schließlich wollen wir uns heute noch amüsieren - ganz im Nineties-Style!"