Der Osttimor-Coup

Die indonesische Regierung unter Präsident Bacharuddin Jussuf Habibie gab sich großzügig und kündigte Mitte vergangener Woche an, Osttimor unter Umständen aufzugeben. Die Osttimoresen, so hieß es kryptisch, müßten sich zwischen dem erweiterten Autonomieangebot der Regierung und der Unabhängigkeit entscheiden. Außerdem soll der zu zwanzig Jahren Haft verurteilte Leader des Kampfes um die Unabhängigkeit, Xanana Gusm‹o, aus dem Knast entlassen und unter eine Art Hausarrest gestellt werden. Ein klassischer Überraschungscoup Jakartas, denn am Freitag war eine neue Verhandlungsrunde über den Status Osttimors bei den UN vorgesehen.

1975 war Osttimor von der Kolonialmacht Portugal in die Unabhängigkeit entlassen, kurz darauf von indonesischen Truppen überfallen und besetzt worden; im darauffolgenden Jahr wurde es annektiert und zur 27. indonesischen Provinz erklärt. Die Vereinten Nationen haben dies nie anerkannt; sie betrachten weiterhin die Ex-Kolonialmacht Portugal als legitimen Verwalter Osttimors. Nach 22 Jahren militärischer Herrschaft, nach etwa 200 000 Toten infolge Repression, Hunger und Krankheiten also ein eklatanter Kurswechsel der indonesischen Regierung?

Der Vorschlag der Regierung hat einige Haken. Schon am Donnerstag vergangener Woche hat der indonesische Außenminister Ali Alatas ein Referendum in Osttimor kategorisch ausgeschlossen. Wie aber will die Habibie-Regierung dann herausfinden, ob die Osttimoresen ihr Autonomie-Angebot für gut befinden?

Für Mißtrauen sorgt auch die Situation in Osttimor selbst. Der im vergangenen Jahr vollmundig angekündigte Truppenabzug aus der Unruheregion fand de facto nicht statt. In den letzten Wochen sind indonesische paramilitärische Gruppen auf die osttimoresische Bevölkerung losgelassen worden, was das indonesische Militär bereits im Dezember angekündigt hatte. Allein seit Anfang des Jahres fielen den Paras etwa 20 Menschen zum Opfer.

Die Terrorkampagne zielt auf Einschüchterung der Bevölkerung. Denn seit dem Rücktritt des indonesischen Diktators Suharto im vergangenen Mai wurden die Rufe nach einem Referendum über die Unabhängigkeit Osttimors lauter und lauter. Zudem ist eine große Anzahl von Polizisten in der vorvergangenen Woche von Osttimor nach Ambon auf den Molukken verlegt worden, wo es jüngst heftige Angriffe auf die einheimische Bevölkerung gab, die mindestens 65 Menschenleben gekostet haben. Hinter den Angriffen auf die mehrheitlich christlichen Ambonesen werden Drahtzieher aus den Reihen der Suharto nahestehenden Pancasila-Jugend aus Jakarta vermutet. Nicht wenige befürchten, daß mit dem Abzug der Polizei den Todesschwadronen in Osttimor freie Hand gelassen werden soll.

Die Reaktion des Widerstands in Osttimor auf den Vorstoß der Regierung war überaus verhalten. Friedensnobelpreisträger José Ramos Horta etwa meinte: "Ich glaube, das ist nicht mehr als eine Vernebelung, ein diplomatischer Stunt. Ihr Ziel ist es, die Gunst der internationalen Gemeinschaft zu erlangen, während sie zur gleichen Zeit Terror in Osttimor veranstalten." Und der inhaftierte Xanana Gusm‹o sagte vorsichtig, Indonesien solle das Militär zurückziehen, die Milizen entwaffnen und in Verhandlungen über einen Waffenstillstand eintreten.

Tatsächlich geht es aber nicht allein um Osttimor. Die Regierung von Präsident Habibie und Armeechef Wiranto ist schwach: Ihre einzige politische Legitimation bezieht sie aus der Macht, die ihr von Suharto übergeben wurde. Das Militär ist durch Massaker und Provokationen diskreditiert, und die wirtschaftliche Krise drückt einen großen Teil der Bevölkerung unter die Armutsgrenze. Soziale Unruhen vermischen sich mit separatistischen und vordergründig religiös motivierten Auseinandersetzungen.

In dieser desaströsen Situation ist die Regierung offensichtlich zu einer Geste des guten Willens gezwungen - am kritischsten Punkt ihrer Außenpolitik, zur Verminderung internationalen Drucks. Eine Geste, die auch auf internationale Kreditgeber und Investoren zielt, insbesondere auf Weltbank und IWF. Denn Jakarta will einen neuen Kredit: zehn Milliarden Dollar in diesem Jahr. Und die Freigabe der IWF-Kredite vom vergangenen Jahr ist an monatliche Kontrollen gebunden; über jede Monatsrate in Höhe von rund einer Milliarde wird neu entschieden.