Irakis ohne Baath

Die USA wollen Saddam Hussein mit Hilfe der islamischen Opposition stürzen. Sie suchen das Bündnis sogar mit den islamischen Schiiten und den Kurden

Für Überraschung sorgte die US-Regierung, als sie Mitte Januar eine Liste der irakischen Oppositionsgruppen veröffentlichte, die künftig im Kampf gegen das Regime unterstützt werden sollen. Neben dem Irakischen Nationalkongreß (INC), der die meisten Oppositionsgruppen in einem lockeren Bündnis vereint, der Irakischen Nationalen Übereinkunft (Ina), den kurdischen Parteien KDP und Puk, einer unbedeutenden monarchistischen Gruppe und einer kurdischen islamistischen Partei fand sich auf der Liste auch der vom Iran aus operierende Oberste Rat der Islamischen Revolution im Irak (Sciri), der Dachverband der schiitisch-islamistischen Organisationen.

Schon das Hilfsangebot an prowestliche Organisationen wie INC, KDP und Puk ist erstaunlich. Bislang hatten die USA einen Militärputsch zum Wechsel an der Spitze der irakischen Regierung favorisiert. Bis dahin sollte der geschwächte Saddam konserviert werden. Denn bei Machtübernahme der wichtigsten Oppositionsgruppen, die sich kurz nach dem Golfkrieg auf eine gemeinsame demokratische Plattform geeinigt hatten, wurde befürchtet, daß unkontrollierte politische Kräfte das Land teilen, oder - schlimmer noch für die benachbarten Golfmonarchien - demokratisieren würden.

Dem Aufstand im Frühjahr 1991, getragen von genau jenen Kräften, denen man jetzt finanzielle Hilfe anbot, hatten die von den USA geführten alliierten Truppen nicht nur jegliche Unterstützung verweigert. Sie hatten indirekt sogar bei seiner Niederschlagung geholfen, indem sie die regimetreuen Elitetruppen bewußt verschonten und Kampfhubschrauber, die wirksamste Waffe der Guerillabekämpfung, von dem nach der irakischen Kapitulation verhängten Flugverbot ausdrücklich ausnahmen.

Doch in den vergangenen acht Jahren haben die für den Machtwechsel vorgesehenen ehemaligen hohen Offiziere und Funktionäre des Regimes, deren wichtigste Organisation gegenwärtig die von Ex-Geheimdienstchef Wafiq Samarai geführte Ina ist, trotz der Fraktionierung innerhalb des irakischen Herrschaftsapparates keinen einzigen Putschversuch unternommen. Die Frage, wie die politische Entwicklung nach dem Sturz des Regimes kontrolliert werden kann, ist also weiterhin ungelöst. Die kurdischen Parteien, in deren Territorium türkische Militäreinheiten seit Sommer vergangenen Jahres ständig präsent sind, haben jedenfalls kaum Spielraum. Die schiitischen Organisationen dagegen haben wenig Grund, auf die US-Linie einzuschwenken.

Zumal die Richtung Washingtons unklar bleibt: Will die US-Regierung angesichts der bisherigen Erfolglosigkeit und der wachsenden Kritik an ihrer perspektivlosen Embargo- und Bombardierungspolitik in Gang setzen, was sie 1991 sabotierte? Oder handelt es sich nur um einen propagandistischen Coup?

Bisher wurde die Lage im Südirak konsequent ignoriert. Dort lebt der größte Teil der schiitischen Bevölkerungsmehrheit - die Schiiten machen etwa 55 bis 60 Prozent der Gesamtbevölkerung des Irak aus. Noch Mitte Dezember 1998 diente der Bericht des obersten UN-Waffeninspektors Richard Butler, der außer schon länger bekannten Fakten und einigen Nebensächlichkeiten nichts enthielt, den USA als Legitimation für ihre Bombardements. Daß irakische Truppen zur gleichen Zeit einen Vernichtungsfeldzug gegen schiitische Guerillaeinheiten durchführten, war der US-Regierung keine Erwähnung wert.

Die überwiegend islamistischen schiitischen Organisationen galten wegen ihrer Verbindungen zum Iran als destabilisierender Faktor. Immerhin könnte hinter dem US-Angebot die späte Erkenntnis stecken, daß die schiitischen Organisationen eine eigenständige politische Kraft sind und als einzige existierende Vertretung der schiitischen Mehrheit bei einer politischen Neuordnung nicht übergangen werden können.

Der schiitische Islamismus wie der kurdische Nationalismus verdanken ihren Erfolg der Unterdrückungspolitik des Baath-Regimes. Entstanden in den fünfziger Jahren, blieb die Ausstrahlung der anfangs fast ausschließlich von Geistlichen getragenen islamistischen Bewegung zunächst gering. Die radikalisierte schiitische Jugend sympathisierte damals eher mit der Kommunistischen Partei. Erst nach deren Zerschlagung in den siebziger Jahren und der wachsenden konfessionellen Diskriminierung gewann der Islamismus im Irak eine Massenbasis. Zur einflußreichsten Organisation entwickelte sich die in den sechziger Jahren gegründete Daawa-Partei (Partei der Islamischen Mission - DP), daneben hat vor allem die Organisation der Islamischen Aktion (OIA) Bedeutung.

Der die Wiedergeburt ("Baath") der arabischen Nation anstrebende Baathismus bedient sich der völkischen Ideologie insbesondere der deutschen Nationalisten des 19. Jahrhunderts. Im Irak entwickelte sich daraus unter anderem eine Arabisierungspolitik in den kurdischen Gebieten im Nordirak sowie ein antipersischer Rassismus: Nach dem Angriff auf den Iran 1980 betrachtete das irakische Regime die Schiiten als potentielle "Perser" und startete eine massive Repressionskampagne gegen die schiitische Geistlichkeit. Die Zahl der Opfer wird auf 2 000 geschätzt, mehrfach schossen Soldaten auf schiitische Prozessionen. Die ursprünglich säkuläre Orientierung des Baathismus wurde so Schritt für Schritt zugunsten einer "Sunnitisierung" des Regimes aufgegeben.

Durch die Repression wurden die Strukturen der schiitischen Opposition stark geschwächt, und die Führung floh in den Iran, wo sie sich zum Sciri zusammenschloß. DP und OIA wollten sich jedoch nicht vom Iran vereinnahmen lassen und distanzierten sich Ende der achtziger Jahre vom iranischen Modell. Die Bedingungen im Irak, erklärte die DP, erforderten Kompromisse und eine Zusammenarbeit mit nichtschiitischen und nichtislamistischen Gruppen, ohnehin würden Zwangsmaßnahmen wie im Iran die Bevölkerung dem Islam entfremden. Daraufhin spaltete sich eine proiranische Fraktion ab, einige DP-Funktionäre mußten den Iran verlassen. Die iranische Unterstützung für den Aufstand 1991 und die Guerillaaktivitäten in der Zeit danach war deshalb zurückhaltend.

Da die irakische Armee sich aus allen großen Städten des Südens während des Aufstandes für einige Wochen zurückziehen mußte, konnte sich das Regime in Bagdad über seinen Rückhalt in dieser Region keinen Illusionen hingeben. Saddam Hussein benutzte das UN-Embargo als Herrschaftsinstrument und benachteiligte den Süden bei der Nahrungs- und Medikamentenzuteilung. Auch die konfessionelle Diskriminierung wurde verschärft: Nur ein kleiner Teil der zerstörten schiitischen Einrichtungen durfte wieder aufgebaut werden, die Geistlichkeit unterwarf man strikten Kontrollen, religiöse Stiftungen und Sozialeinrichtungen wurden dem Staat unterstellt oder zerschlagen. Das Regime radikalisierte die "Islamisierung" zu einem sunnitischen Militärfundamentalismus, begleitet durch antischiitische Artikel in der irakischen Presse.

Trotz mehrerer Feldzüge und einem großangelegten Programm der Trockenlegung von unzugänglichen Sumpfgebieten gab es im Süden immer Guerillaaktivitäten, die offenbar im vergangenen Jahr stärker geworden sind. Nach Angaben des Sciri wird die schiitische Guerilla von Milizen der Landbevölkerung unterstützt. Diese Meldungen sind aber ebensowenig überprüfbar wie das berichtete Ausmaß der Kämpfe.

Daß es im Südirak Kämpfe gab, bei denen das Regime auch schwere Waffen einsetzte, wurde mittlerweile aber von den USA bestätigt. In Basra und anderen südirakischen Städten kam es zu Massenverhaftungen und Hinrichtungen, in mindestens einem Fall wurden Offiziere erschossen, weil sie beim Kampf gegen die schiitische Guerilla versagt oder Befehle verweigert haben sollen.

Auch im arabisch-sunnitischen Zentralirak scheint die Unruhe zu wachsen. Daß die Irakis langsam die Geduld mit Saddam verlieren, bedeutet allerdings nicht, daß sie Hunderte Cruise Missiles, acht Jahre Hunger und eine Million Tote einfach so vergessen werden. Deswegen bemühen sich die Oppositionsgruppen, Distanz zu den USA zu halten - schließlich wollen sie nach dem Sturz Saddams von der irakischen Bevölkerung akzeptiert werden.

Bisher haben neben den Monarchisten nur INC und Ina das US-Angebot im Rahmen des "Iraq Liberation Act" angenommen. Der in der US-Botschaft in Ankara stationierte Sondergesandte Frank Ricciardone soll deshalb weitere Bündnisgespräche mit anderen Gruppen führen. Die kurdischen Parteien Puk und KDP zeigen sich aber distanziert. Und am deutlichsten äußerte sich der Sciri-Repräsentant in Großbritannien: "Wir haben nicht darum gebeten", erklärte ihr Vertreter in Großbritannien, Hamid al-Bayati, "Unterstützung aus den USA würde den Ruf der Opposition im Irak schädigen."