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Die in New York erscheinende deutsch-jüdische Emigrantenzeitung Aufbau steht vor dem Aus

Im fünfundsechzigsten Erscheinungsjahr droht dem New Yorker deutsch-jüdischen Aufbau das Aus. Nachdem die Leserschaft des deutschsprachigen Traditionsblattes - Untertitel: "America's only german-jewish publication - founded in 1934" - in den letzten Jahren immer mehr geschwunden war und die Zeitung schon verschiedene Male vor der Schließung stand, hat jetzt der Herausgeberverein die Notbremse gezogen: Die vierzehntägig erscheinende Zeitschrift werde zum 19. Februar geschlossen, drohten Herausgeber Jerry Brunell und Vizepräsident Fritz Weinschenk, wenn sich nicht ein Finanzier für das monatliche Defizit finden läßt.

Das Budgetmanko beläuft sich derzeit, bei einer Auflage von etwa 10 000 Exemplaren, auf umgerechnet rund

8 500 Mark pro Ausgabe und wird im wesentlichen durch Spenden der Leser gedeckt. Knapp 35 000 Mark aus den letzten Jahren angehäufte Schulden sind dem Herausgeberkreis ein zu großes Risiko für die Zukunft, zumal sich zeitlich überschaubar "kein Ausweg aus dem finanziellen Dilemma präsentiert" habe. Daß es mit dem Aufbau nicht zum besten steht, ist schon seit langem ein offenes Geheimnis. Selbstkritisch gestehen sich die Zeitungsmacher ein, daß der Aufbau über viele Jahre hinweg nie professionell, sondern als Vereinsblatt geführt worden sei: "Vertrieb und Anzeigengeschäft sind in einem katastrophalen Zustand."

Seit Ende 1997 ein neuer Vorstand für den Herausgeberverein gewählt wurde, versucht die Aufbau-Crew, den Staub vergangener Zeiten abzustreifen und den publizistischen Anschluß an die Moderne zu schaffen. Die Produktion der 24 Seiten wurde im letzten Jahr auf Computer umgestellt. Allein dadurch konnten die Herstellungskosten halbiert werden. In Deutschland versucht der Aufbau sowohl neue Abonnenten als auch Anzeigenkunden für die Zeitung zu finden.

Allerdings ist der Markt in Deutschland eng, denn um die LeserInnengunst der rund 80 000 Mitglieder der Jüdischen Gemeinden buhlen nicht nur die in Bonn erscheinende Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, sondern auch noch zwei andere Publikationen: die Jüdische Rundschau aus Basel und das Israelitische Wochenblatt aus Zürich. Daß sich der Aufbau überhaupt mehr als sechs Jahrzehnte auf dem Medienmarkt halten konnte, verwunderte selbst die Blattmacher von einst. Zum 60. Geburtstag schrieb der damalige Chefredakteur Henry Marx, auch er ein Emigrant: "60 Jahre Aufbau! Wer hätte gedacht, daß eine von Exilierten für Exilierte gemachte Publikation, daß ein fremdsprachiges Blatt in Amerika dieses stolze Alter erreichen würde?"

Doch die Generation derer, für die der alte Aufbau bei der Eingliederung in eine fremde Umgebung wichtig war, verschwindet. Die Todesanzeigen in der Zeitung erzählen mit wenigen Zeilen ihre Schicksale: Walter Grünwald, früher Stuttgart, Chile, Mallorca; Alfred D. Furth, früher Frankfurt am Main; Ingeborg E. C. Tuteur, geborene Glass, früher Hamburg. Und den Kindern der EmigrantInnen, immer seltener der deutschen Sprache mächtig, fehlt der Bezug zur Zeitung.

Begonnen hatte alles einst in der jüdisch-deutschen Community von New York. Am 1. Dezember 1934 gründeten Mitglieder des German-Jewish Club den Aufbau-Reconstruction. Aus dem als Verbandsorgan geplanten zwölfseitigen Monatsblatt mit einer Auflage von 500 Exemplaren wurde durch die Flüchtlinge aus Deutschland eine renommierte Wochenzeitung. Der Aufbau gab Tips bei der Wohnungs- und Arbeitssuche und informierte die Neuankömmlinge über Einwanderungsfragen. Unter dem Chefredakteur Manfred George, einem Ossietzky-Freund und Publizisten aus dem Berliner Ullstein-Verlag, entwickelte sich die einstige Vereinspostille zu einem der führenden publizistischen Organe der deutschen jüdischen Emigration, mit einer wöchentlichen Auflage von 50 000 Exemplaren.

Thomas Mann, Lion Feuchtwanger, Stefan Zweig, Bert Brecht, Oskar Maria Graf und Herbert Marcuse schrieben für die Zeitung. 1942 bereits berichtete der Aufbau als erste Zeitung in den Vereinigten Staaten über die systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung durch die Nazis. Dem Kampf gegen den Antisemitismus und neofaschistische Tendenzen in Deutschland blieb die älteste Exilzeitung der Welt bis heute treu. Aber diese Themen brachten dem Aufbau über die Jahre auch den Ruf eines Nostalgieblattes ein, in dem jene Themen fehlen, für die sich heute die Jüngeren dies- und jenseits des Atlantiks interessieren: Popmusik, moderne Literatur, die Diskussion zwischen Orthodoxie und Reformjudentum.

Und auch wenn heute im Aufbau immer wieder mal Artikel über "Homosexualität und Judentum" publiziert werden oder sich Feministinnen mit ihrer jüdischen Identität auseinandersetzen - die Shoah und das Schicksal der EmigrantInnen dominieren die Schlagzeilen der Zeitung. Und wo jede der vielen Todesanzeigen beinahe gleichbedeutend mit der Abbestellung eines Abonnements ist, reduziert sich zwangsläufig die Zahl der LeserInnen.

Dabei hatte es sich gerade so gut angelassen. Der Redaktion gelang es nicht nur, eine neue und vor allem erfahrene Journalistin für eine zukünftige Mitarbeit zu motivieren, sondern auch einen Sponsor zu finden, der für ein Jahr ihr Gehalt bezahlt. Redaktionsmitglied Andreas Mink glaubt, daß eine Summe von 100 000 bis 150 000 Mark nicht nur über den "aktuellen Liquidationsengpaß" hinweghelfen, sondern auch erlauben würde, "unsere Zukunftspläne umzusetzen". Die Redaktion hat mittlerweile die Leser aufgefordert, für den Erhalt des altehrwürdigen Blattes tief in die Tasche zu greifen. "Den Aufbau jetzt einzustellen", findet ein Redaktionsmitglied, "hieße, all unsere realistischen Chancen in den Wind zu schreiben."