Mudder, Mørke, Metallica

Wen interessiert schon die Berlinale? Impressionen vom Festival des neuen dänischen Films in Berlin

Peter Brødsgaard ist ganz verliebt in Berlin. "So ein Kulturangebot", schwärmt der modebewußte junge Mann (braunes Hemd mit Schulterklappen, Schlabberhose). Können wir ihm glauben? Peter ist gerade von Tiergarten nach Neukölln gezogen - nicht gerade der Bezirk, in dem sich Volksbühne und Mahnmal-Debatte gute Nacht sagen. Es sei denn, man nimmt das Leben in Neukölln insgesamt als eine große Schaubühne - dann wären die tollen Reportagen des Spiegel ("Krimineller Brennpunkt") die Rezensionen!

Peter hat also recht und hat heute abend selbst was anzubieten: das Festival des neuen dänischen Films. Der Praktikant an der Königlich Dänischen Botschaft wieselt am Eröffnungsabend geschäftig wie ein Intendant durch das Café des Berliner Kinos Filmbühne am Steinplatz. Am Zustandekommen des Festivals hat Peter als Chef-Organisator offenkundig einen hohen Anteil - und das ist schon ein Grund, ultranett zu sein.

Dänisches Kino ist zur Zeit der Renner. Daran sind Lars von Trier und die Dogma-Gruppe schuld (Jungle World, Nr. 37/98). "Zurück zu den Wurzeln!" fordern die Regisseure. Der Film "Das Fest" von Dogma-Mann Thomas Vinterberg ist jetzt ins Kino gekommen, von Vinterberg sind während des Dänischen Filmfestes Frühwerke zu bestaunen. Dogma heißt: Nur Handkamera und authentische Schauplätze. Um dieses revolutionäre Konzept zu finanzieren, dreht man Werbespots und hin und wieder ein paar Softpornos fürs Fernsehen.

Das wäre doch auch eine Strategie für kleine unabhängige Wochenzeitungen. Wo doch bekannt ist, daß die Jungle World eine extraordinäre Beziehung zu Südskandinavien pflegt. Während eines Redaktionsausflugs im letzten Sommer lernte man einander kennen. Und Peter hat die Zeitung sogar schon mal gelesen.

Damit ist das eine Thema des Abends erstmal abgehakt. Die andere Säule der dänischen Allgemeinbildung sind Kenntnisse des Films "Portland", der hier leider nicht läuft, weil er das einfach nirgendwo tut. Doch! Das Opus des Regisseurs Nils Arend Arden war in Deutschland auf der Berlinale 1996 zu sehen. Eine bizarre Aufführung: Zu Beginn saßen gut 800 Menschen im Zoo-Palast, nach einer halben Stunde waren es noch drei.

"Portland" ist von vorn bis hinten gelb eingefärbt, als musikalische Untermalung dient der immergleiche Heavy-Metal-Gitarrenriff. Ein Name wie Zement und Dänen bauen daraus stabile Gebäude: Es geht um zwei Brüder, und der eine sitzt in einem Kittchen Marke Stammheim. Als er rauskommt, wohnen die beiden in einem Keller ohne Fenster. Die Wände sind schwarz. Für einen Drogendealer kaufen die Jungs alten Menschen in trüben Betonburgen Medikamente ab, deren Verfallsdatum überschritten ist. Der Drogenboß ist ein ruppiger Mann. Wer nicht folgsam ist, dem läßt er die Arme mit Baseball-Keulen brechen oder was in die Schnauze hauen. Das bißchen, was geredet wird, können die Schauspieler auch husten usw.

Peter verneint die Frage, ob der Königlich Dänische Botschafter kommt. Dafür hat er den Königlich Dänischen Gesandten Erik Farsø Madsen, Botschaftsrat für Presse und Kultur, im Sortiment - der Mann da vorne, der aussieht wie der Schauspieler Pete Postlethwaite und an jedem Arm eine schicke Frau hat. Charmant, charmant - Dänemark kann stolz sein auf seinen Kulturattaché. Peter flutscht, nicht weniger charmant, nun hinfort wie ein nasses Stück Seife, und nur manchmal schaut der blonde Wirrschopf mit dem lachenden Gesicht durch die Menge am Büffet. Wo wie überall auf der Welt die Lachsbrötchen als erstes weg sind.

Natürlich weiß Erik Fars¿ Madsen, was die Jungle World ist, und "Portland" hat er auch gesehen. "Der ist in Dänemark durchgefallen." Aber das ist er in Deutschland auch. Erik sagt ein paar freundliche Worte über den deutschen und den dänischen Film, den neuen Botschaftskomplex in Berlin, zu dessen Bau sich alle skandinavischen Länder zusammengetan haben - er soll im Grundriß sogar die Form einer Landkarte der skandinavischen Länder haben. Tolle Idee! Wenn es stimmt, was man aus Oslo über Rockerbanden hört, ferngelenkte Raketenangriffe, Nazi-Schergen, Vergewaltigungen ... Auch die Norweger können über Gefängnis und Dark Metal mitreden! Da möchte man zu gern mal beim Small Talk am Kopierer dabei sein.

Erik kneift mich sanft in den Arm, um das Gespräch elegant überzuleiten bzw. um dem langweiligen Reportergequatsche elegant ein Ende zu setzen. Er stellt mich Jens ?rntzen vor, ein berühmter dänischer Film- und Fernsehschauspieler, wie er von sich selbst sagt. Denn sonst wäre er gar nicht hier, erläutert er. Er hätte nämlich überhaupt keine Kohle gehabt, um den Eröffnungsfilm des Dänischen Filmfestes zu drehen, denn auf die wartet man in Dänemark Jahre. "The Glasshouse Prisoner" ("Blomsterfangen") hat er fast allein finanziert. Thema: Gefängnis. Filmmusik: Metallica.

Arntzen läßt ein paar sehr taktvolle Bemerkungen über Berlin-Kreuzberger Autonomenzirkulare und "Portland" fallen. Wenn Arntzen aber von seinem Film spricht, denkt man, "Blomsterfangen" sei eine kitschige Sozialschmonzette. Es gehe um das Alleinsein im verfallenden Wohlfahrtsstaat, der Film sei ein Plädoyer für "Schieß mich tot!", ein Sohn auf der Suche nach seinem Vater. Aber Vorsicht, hier geht es um dänische Kultur, und dänischen Regisseuren wird an ihrer berühmten Kopenhagener Filmhochschule wohl eher wenig Detlev Buck serviert.

"Blomsterfangen" zeigt zwar einen Sohn auf der Suche nach seinem Vater, aber das Ganze hat einen gesellschaftlichen Hintergrund: Dänische Gefängniswärter berichten von Söhnen, die ihre Väter nie kennenlernten, weil die Männer noch aus der Zeit vor der Geburt des Kindes jahrzehntelang Knast abzubrummen hätten. Erst wenn die Jungen selbst kriminell würden und eingesperrt, könnten sie den Alten kennenlernen - hinter Gittern. Zudem wurde die Produktion laut ?rntzen maßgeblich von dem filmsoziologischen Fakt beeinflußt, daß es 1998 nur vier dänische TV- oder Kino-Produktionen gab, in denen der Titelheld kein Doppelmörder war. Knast mit Rockmusik, lautet die dänische Lebensmaxime. Da muß man Zugeständnisse an die Sehgewohnheiten machen.

"Blomsterfangen" erzählt von der zitierten dänischen Sorte Familienzusammenführung am Beispiel eines jugendlichen Drogendealers und eines väterlichen Totschlägers - für die Inhaltsangabe kann hier aber leider keine Garantie übernommen werden: Alle Dänen sind bekanntlich nicht nur blond, begeistert von Gefängnissen und Heavy Metal, "stinkkonservativ" (Arntzen: "We like to see enemies"), wenn es um die Einführung des Euro geht, sondern auch groß, wenn sie im Kino vor dir sitzen. Und das stört leider die Lektüre der Untertitel von "Blomsterfangen". Einwandfrei jedoch ist es möglich, der anrührenden Ansprache Erik Fars¿s zu lauschen - hier eine Kurzfassung: "Bei uns wird viel diskutiert übers Filmemachen ... Dogma-Konzept ... Novellenfilme in der Tradition dänischer Erzähler ... Anderson ... Tania Blixen ... Filmhochschule Kopenhagen. Liebe Gäste, ich wünsche viel Vergnügen. Wir zeigen Ihnen die Abgründe der dänischen Seele."

Das alles erzählt er mit einem strahlenden Lächeln, obwohl dem Zuhörer schwant, diese Filmhochschule müsse ein wüster Ort sein, wo Menschen in fensterlosen Räumen ganztags zum Metallica-Hören gezwungen werden. Was sollten auch Leute sonst mit ihren Filmschaffenden anstellen, die bei einer Fußball-Europameisterschaft "We are red, we are white, we are Danish dynamite!" skandieren?

Schnell noch mal nachrecherchiert bei Dietrich Kuhlbrodt, der den Schlafwagenschaffner in Lars von Triers "Europa" spielte: "Dänemark? Ski und Rodel gut!" Na prima, Glück gehabt.

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Nachsatz: Birgitte Torborge, Jura-Studentin aus Kopenhagen, fand im Text keine Erwähnung. Schade! Es soll nicht verschwiegen werden, daß auch sie bei einem Gläschen Sekt im Dänen-Test - Zement- und Zeitungskenntnisse - gut abschnitt. Birgitte ist seit vier Jahren in Berlin - "manchmal muß man eben unglaublich weit weggehen von zu Hause". Sie hat eine Halbtagsstelle in der Botschaft. "Portland" hat sie zwar nicht gesehen, aber auf jeden Fall davon gehört. Ihrem Freund möchte sie ein Abo der vorliegenden Zeitung schenken. "Der ist so ein Schreibtischrevolutionär."