Beresowski in der Bredulljewski

Der Medienmogul und Jelzin-Vertraute Boris Beresowski gerät unter den Druck der Staatsanwaltschaft

Russische Zeitungen zu lesen ist die hohe Schule der Polit-Exegese: Zu wissen, wer wann was getan oder gesagt hat, ist für den Leser eine nutzlose Information, solange er nicht auch weiß, wer diese Information gedruckt hat - und warum.

Am Freitag vergangener Woche etwa war es die größte Moskauer Tageszeitung Moskowski Komsomolez, die sich damit brüstete, der Staatsanwaltschaft endlich zum Sieg über Boris Beresowski, den einflußreichsten Finanz- und Medienmogul des Landes, zugleich Exekutivsekretär der GUS, verholfen zu haben. Der 25 Jahre alte Journalist Alexander Cheinstein beanspruchte das Verdienst für sich: "Wie Sie sich vielleicht erinnern können", schrieb er an seine Leser in einem Artikel auf der Titelseite, "begann alles mit meiner Geschichte vom 20. Januar."

An diesem Tag hatte Cheinstein über die Atoll Security Agency berichtet. Sie werde nicht nur von Beresowski kontrolliert, behauptete er, sondern der mächtige "Oligarch" benutze sie auch, um Boris Jelzins Tochter und politische Beraterin Tatjana Datschenko abzuhören. Besonders pikant dabei: Beresowski, den der ehemalige stellvertretende Premierminister Boris Nemzow einmal einen "modernen Rasputin" genannt hatte, ist selbst einer der engsten Vertrauten Datschenkos und der Präsidentenfamilie. Vor drei Jahren hatte er viel Geld in Jelzins erfolgreiche Kampagne zur Wiederwahl gesteckt und gilt seither als der mächtigste unter den sogenannten Oligarchen, die durch ihre wirtschaftliche Macht großen Druck auf die russische Politik ausüben können.

Doch nun geht es Schlag auf Schlag. Erst wurde der Fernsehsender ORT dem Konkursrichter unterstellt. Obwohl mehrheitlich in Staatsbesitz, ist es in Moskau ausgemachte Sache, daß Beresowski den Sender mit Hilfe offener und versteckter Minderheitenanteile kontrollierte und dazu nutzte, politischen Druck auszuüben. Damit ist es erst einmal vorbei.

Der Niederlage bei ORT folgte die Atoll-Abhöraffäre. Kaum hatte die Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang die Büros der von Beresowski dominierten Ölfirma Sibneft durchsucht, konnte sie gleich den nächsten Akt anlegen: Cheinstein hatte darüber berichtet, wie in einer von Beresowski dirigierten Schweizer Firma, die für die Fluggesellschaft Aeroflot die Devisenzahlungen abwickelt, etwa 80 Prozent der Gewinne in harter Währung versickerten.

Einen Tag, nachdem die Staatsanwälte auch Aeroflots Büros nach Beweisen gefilzt hatten, feuerte der Vorstandsvorsitzende Waleri Okulow den Fracht-Manager Leonid Itskow und den Finanzdirektor Alexander Krasnenker. Beide waren von der Autofirma LogoVAZ zu Aeroflot gekommen. Mit LogoVAZ hatte der ehemalige Mathematikprofessor Beresowski den Grundstein zu seinem Öl-, Banken- und Medienimperium gelegt. Auch hier war die Präsidentenfamilie nicht weit: Aeroflot-Chef Okulow, der den beiden ihre Papiere aushändigte, ist der Schwiegersohn von Boris Jelzin.

Wer nun den Durchblick verliert, ist in guter Gesellschaft. Auch in Moskauer Finanz-, Politik- und Medienzirkeln ist das Rätselraten darüber groß, was eigentlich passiert. Bisher galt der Jelzin-Vertraute Beresowski als unantastbar. Besonders der enge Kontakt zum Präsidenten und dessen einflußreicher Tochter schützten ihn vor allzu aufdringlichen Fragen der Justiz.

Doch Jelzin ist seit langem schwer krank. Im Moment liegt er mit einem blutenden Magengeschwür im Sanatorium. Zweimal erst erhob er sich in diesem Jahr vom Krankenbett, ließ sich in den Kreml fahren und schlug mit der Faust auf den Tisch, um zu zeigen, daß es ihn noch gibt. Beim ersten Mal mußten mehrere hohe Politiker dafür mit ihren Jobs bezahlen, vergangene Woche nun der Generalstaatsanwalt Juri Skuratow. Der war zwar der am längsten amtierende seit der Auflösung der Sowjetunion. Davon abgesehen fiel er aber nur dadurch auf, daß er seinen markigen Worten, mit denen er ankündigte, die Korruption im Staat bekämpfen zu wollen, nie Taten folgen ließ. "Aus gesundheitlichen Gründen" bat er nun Jelzin, seine Entlassungsurkunde zu unterschreiben, und begab sich tags darauf in die Herzklinik.

Da durchwühlte sein Nachfolger Juri Tschaika schon die Akten, die seine Angestellten, unterstützt von maskierten und schwerbewaffneten Spezialeinheiten der Polizei, bei Beresowskis Sibneft beschlagnahmt hatten. In Moskau ist es seit längerem guter Brauch, derartige Aktionen möglichst martialisch zu inszenieren und die Videoaufzeichnungen davon anschließend dem Fernsehen zuzuspielen, damit die Zuschauer den Eindruck haben, die Justiz unternehme etwas. "Die Korruption hat bei russischen Bürokraten nie dagewesene Ausmaße angenommen", schob Tschaika mediengerecht hinterher, "nur in Venezuela, Nigeria, Pakistan und Kamerun ist es noch schlimmer als bei uns." Woher er das so genau weiß, wird sein Geheimnis bleiben, doch zumindest sieht es so aus, als sei er angetreten, diese Zustände zu ändern.

Ob es ihm gelingt, hängt vor allem von der Unterstützung ab, die Tschaika von politischer Seite erhält. Hier kommt nun die wichtigste Figur des derzeitigen Machtkampfs ins Spiel: der amtierende Premier Jewgeni Primakow. Der Kompromißkandidat, der nur deshalb den Sprung auf den Thron geschafft hatte, weil das Parlament Boris Jelzin eine Lektion erteilen wollte und nach Sergej Kirijenkos Entlassung Jelzins Wunschkandidat Viktor Tschernomyrdin die Unterstützung versagt hatte, zeigt sich als politisches Schwergewicht. Die ersten vier Monate seiner Amtszeit nutzte der ehemalige Außenminister und KGB-Chef dazu, seine Position zu sichern und wichtige Stellen mit Vertrauten zu besetzen, um sich Rückhalt für eventuell ausbrechende politische Kämpfe zu verschaffen.

Den wird er jetzt bitter nötig haben, denn mit seiner neuesten Forderung hat er Jelzin den Fehdehandschuh hingeworfen: Primakow wollte, daß der Präsident auf sein konstitutionell verbrieftes Recht verzichtet, die Regierung ohne Zustimmung des Parlaments, der Duma, entlassen zu können. Den Zeitpunkt für diesen Schritt hatte er sich gut überlegt. Denn Jelzin war nicht nur gesundheitlich schwach, sondern auch auf die Hilfe des erfahrenen Taktikers Primakow angewiesen, um den Haushalt für 1999 durch die Duma zu bekommen. Im Gegensatz zu Jelzin genießt der Veteran des Kalten Krieges das Vertrauen der kommunistischen Parlamentsmehrheit.

Primakows Kalkül ging jedoch nur teilweise auf. Zwar willigte Jelzin am Freitag - am selben Tag also, an dem auch der Haushalt verabschiedet werden sollte - ein, die Regierung gegebenenfalls nur nach Beratungen mit der Duma zu entlassen. Gleichzeitig erklärte er, damit keine Kompetenzen abzugeben, die ihm durch die Verfassung garantiert sind. Der Widerspruch ist ein scheinbarer: Sollten die Konsultationen mit dem Parlament zu keiner Einigung führen, kann den Präsidenten weiterhin niemand daran hindern, dem Premier den Stuhl vor die Tür zu setzen. Und Primakows Funktion für Jelzin hat seit vergangenem Freitag enorm an Bedeutung verloren, nachdem die Duma den Haushalt hatte passieren lassen.

Bisher hatte Primakow wiederholt versichert, keine Ambitionen auf den Präsidentenposten zu haben. Er sei zu alt, erwiderte der 69jährige - Jelzin ist 68 Jahre alt - auf Nachfragen. Seine Taten legen andere Schlüsse nahe, kommentierten einige Moskauer Zeitungen die Ereignisse der letzten Tage, vor allem den Machtkampf mit Beresowski. Denn den soll Primakow eröffnet haben, indem er dem Reporter Cheinstein durch den Geheimdienst FSB Akten über Beresowskis Machenschaften zuspielen ließ. Anschließend konnte er dann die Presseberichte dazu nutzen, ihm den Staatsanwalt ins Haus zu schicken.

Dieser Erfolg könnte sich als Scheinsieg erweisen. Denn Beresowski wird nun alles daransetzen, seinen Einfluß bei Jelzin geltend zu machen, um den verhaßten Widersacher aus dem Amt zu treiben.