EZB trotzt der Inflation

Duisenbergs Donquichotterie

"Keine Inflationsgefahr" vermeldete Wim Duisenberg, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), stolz, als er vergangene Woche bekanntgab, daß seine Behörde den Zinssatz vorerst nicht senken werde. Nach Meinung des EZB-Präsidenten ist es vor allem der Standfestigkeit des Frankfurter Instituts zu verdanken, daß der Geldwert stabil bleibt. Eisern trotzen Duisenberg und seine Mannen (das finnische EZB-Direktoriumsmitglied Sirkka Hämäläinen ist die einzige Frau in den oberen Etagen des Euro-Towers) den ständigen Forderungen populistischer Politiker nach einer Senkung der Leitzinsen.

Doch im Eifer des Gefechts hat die EZB nur die Preissteigerung im Sinn - und verliert dabei die Arbeitslosigkeit und die drohende Rezession aus den Augen. Denn hohe Leitzinsen sind zwar eine wirksame Waffe gegen die Inflation, gleichzeitig verteuern sie jedoch Kredite und dämpfen damit die Investitionsfreudigkeit von Unternehmen. Und wo nicht investiert wird, entstehen keine Arbeitsplätze.

Duisenbergs Kampf gegen die Preissteigerung mutet daher wie eine Donquichotterie an, denn für die Inflationsgefahr, die er beständig an die Wand malt, gibt es tatsächlich keine Anzeichen. Die offizielle Teuerungsrate liegt im Null-Komma-Bereich, und diese berücksichtigt nicht einmal die Verbilligung durch technischen Fortschritt, das heißt, sie wird ermittelt, indem beispielsweise der heutige Preis eines VW Golf mit dem Preis eines Golf von vor zehn Jahren verglichen wird; tatsächlich entspricht die heutige Golfklasse dem Standard eines BMW-Modells Ende der achtziger Jahre.

Bei Ökonomen gilt daher die Faustregel, daß von der offiziellen Inflationsrate noch ein dreiviertel Prozentpunkt abzuziehen ist, um die tatsächliche Preissteigerung zu ermitteln - und schon befinden wir uns im Bereich der Deflation. Angebracht wäre daher die Frage an Duisenberg, welche Drogen man in seiner Clique zu konsumieren pflegt, die solch wahnhafte Inflationsängste hervorrufen; zumal auch kein Grund dafür spricht, daß die Preise in nächster Zeit kräftig steigen werden: Wegen der Wirtschaftskrisen an allen Ecken und Enden der Welt - Asien, Lateinamerika und Rußland - sinkt dort die Nachfrage, worauf die Hersteller gewöhnlich mit Preissenkungen reagieren - und mit Blick auf den zu erwartenden niedrigeren Absatz halten sich auch viele Unternehmen mit Investitionen zurück. Tatsächlich befindet sich der weithin beachtete CRB-Futures-Index, der die Rohstoffpreise in nächster Zukunft antizipiert, auf dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren.

Duisenberg weist zwar nicht völlig zu Unrecht immer wieder darauf hin, daß der Leitzins sich auf einem sehr niedrigen Niveau befindet, doch solange keine inflationären Tendenzen in Sichtweite sind und auch keine konjunkturelle Überhitzung droht, gibt es keinen Grund, ihn nicht noch weiter zu senken.

Mit ihrem starren Blick auf die Inflation haben die Verantwortlichen in der EZB nicht nur Konjunktur und Arbeitslosigkeit sträflich ignoriert, sie scheinen auch die Deflationsgefahr zu übersehen. Denn wenn die Verbraucher erst einmal annehmen, daß die Preise in naher Zukunft sinken und ihre Einkäufe daher verschieben, ist nicht nur, wie zur Zeit in Japan zu sehen, eine Rezession gewiß - im Gegensatz zur Inflation ist einer Deflation durch eine Geldmengensteuerung nicht beizukommen.