Grenzen dicht in Süd-Ost

Otto Schily nutzt die Schengen-Präsidentschaft dazu, auch die Süd-Ost-Grenzen der EU stärker abzuriegeln

Das Jahr begann gut für Otto Schily: 1998, gab der deutsche Innenminister Anfang Januar bekannt, sei die Zahl der in der Bundesrepublik gestellten Asylanträge erstmals unter 100 000 gefallen. Im selben Zeitraum griff der Bundesgrenzschutz über 90 000 "Illegale" an der deutschen Ostgrenze auf. Zufrieden zeigte sich der neue Innenminister auch über die Kooperation mit den osteuro-päischen Nachbarn: Vor allem Polen habe in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit Fortschritte gemacht.

Doch Schily sieht sich erst am An-fang: "Darauf aufbauend müssen weitere Schritte der konkreten Zusammenarbeit unternommen werden, um die illegale Einreise zu unterbinden". Im Klartext: Die europäischen Außengrenzen müssen noch hermetischer gegen Asylsuchende abgeschottet werden.

Und das nicht nur im Osten. Einen ersten Schritt, der mit der Übernahme des EU-Ratsvorsitzes durch die BRD zusammenfällt, kündigte das Innenministerium ebenfalls schon im Januar an: Der Bundesgrenzschutz werde einen Verbindungsbeamten an die deutsche Botschaft in Athen entsenden, um dort "gemeinsam mit der griechischen Regierung die Schleuserkriminalität zu bekämpfen". In gleicher Funktion sind BGS-Beamte bereits in Bulgarien, Polen und Tschechien tätig.

Besonders die griechisch-türkische Grenze gilt den europäischen Flüchtlingsbekämpfern als zu durchlässig, da sie im Gegensatz zu den deutschen oder den österreichischen Staatsgrenzen nur schwer kontrollierbar ist. Hunderte von Inseln ermöglichen es Schleppern, Flüchtlinge bei Nacht für horrende Summen nach Griechenland zu schleusen. Danach geht - so sie nicht gestoppt wird - die Flucht über Italien weiter. Durchgangsstation für alle ist dabei die Türkei, die sich mehr und mehr zu einem Auffangplatz und Transitlager für Flüchtlinge aus Irak, Iran, Afghanistan, Sri Lanka und weiteren asiatischen sowie afrikanischen Ländern entwickelt hat.

Aufgeschreckt von den Bildern überladener Flüchtlingsschiffe, die im letzten Jahr an der italienischen Adria-Küste landeten, hatte schon für die alte Bundesregierung Innenminister Manfred Kanther (CDU) die Zerschlagung der "Südroute" für Flüchtlinge zur Chefsache erklärt. Auf EU-Ebene wurde bereits 1997 eine Expertenkommission gegründet, die sich mit dem Problem beschäftigen sollte. Fernziel dieses Gremiums war es, ein Abkommen mit der Türkei zu schließen, um die Weiterflucht zu verhindern. In einem internen Papier vom Oktober 1997 hieß es, daß die "ideale Lösung ein Rücknahmeabkommen mit der Türkei" sei, "das auch für Angehörige für Drittstaaten Geltung haben" solle. Im Gegenzug sicherte man der Türkei Hilfe bei der Bekämpfung illegaler Flüchtlinge - vor allem aus dem Nordirak - zu.

Nicht ohne Stolz melden türkische Stellen nun Teilvollzug, obwohl noch gar kein Abkommen unterzeichnet ist. So berichtete die halbamtliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu Anfang Januar, daß alleine in der Provinz Edirne, in der sich der einzige türkische Grenzübergang zu Griechenland befindet, im vergangenen Jahr 12 178 Flüchtlinge, die in den Nachbarstaat ausreisen wollten, aufgegriffen und 10 000 von ihnen umgehend in ihre Heimatländer abgeschoben wurden. 15 000 Iraker wies die Türkei so in den letzten drei Jahren in den Nordirak zurück. Ähnlich hoch dürften die Zahlen bei abgeschobenen Iranern und Flüchtlingen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken liegen.Rechnet man die aus Edirne vorliegenden Zahlen auf alle türkischen Westprovinzen und die Metropolen Istanbul und Ankara hoch, in denen regelmäßig Razzien auf "Illegale" stattfinden, dürfte die Zahl die von der deutschen Ostgrenze gemeldeten erreicht haben.

Im Gegensatz zu Deutschland und seinen östlichen Nachbarstaaten aber ist die Türkei in dem - für hiesige Innenminister - beneidenswerten Zustand, an keine internationalen Verträge gebunden zu sein. Denn die Regierung in Ankara ratifizierte die Genfer Flüchtlingskonvention nur mit dem Zusatz, daß sie ausschließlich für europäische Flüchtlinge Geltung hat. Folglich können asiatische Staatsbürger ohne lästige Restriktionen abgeschoben werden.

Obwohl die türkische Regierung im letzten Jahr ausgiebig von den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten Gebrauch machte, scheinen den deutschen Behörden immer noch zu viele Flüchtlinge griechisches Hoheitsgebiet zu erreichen.

Dabei sind sie auch in diesem Vorposten Schengen-Europas keinesfalls sicher. Vielmehr häufen sich Berichte, daß griechische Sicherheitsbeamte aufgebrachte Flüchtlingsschiffe aus der Türkei wieder zurückzuschicken, ohne den Betroffenen ein Asylverfahren zu gewähren.

Diese Praxis ist selbst nach den Schengen-Regularien, denen auch wohlwollende Geister nicht nachsagen werden, flüchtlingsfreundlich zu sein, schlicht illegal. Den BGS-Beamten, der nun in Athen helfen soll, die "illegale Einwanderung nahe am Ausgangsherd zu bekämpfen" (Manfred Kanther), wird das in seiner Ratgebertätigkeit jedoch kaum beeinflussen. Eher ist damit zu rechnen, daß die noch offenen "Schlupflöcher" an der Südostgrenze der EU unter deutschen Ratsvorsitz weiter "gestopft" werden. Daß parallel dazu noch der letzte Rechtsschutz, den die Genfer Flüchtlingskonvention den Betroffenen zumindest theoretisch bietet, de facto außer Kraft gesetzt wird, scheint dabei niemanden zu stören.

Im Gegenteil: Indem die Türkei weiter in die europäische Antiflüchtlingspolitik eingebunden wird, ist eine unbürokratische Abwicklung des Problems gewährleistet.