Endlösung der Entschädigungsfrage

Der Fonds der Bundesregierung wird deutsche Konzerne, die vom KZ-System profitierten, endgültig von allen Forderungen befreien

So paradox es klingt: Die Ankündigung der Bundesregierung und deutscher Großunternehmen, einen Fonds zur Entschädigung von Nazi-Opfern einzurichten, ist die endgültige Absage an eine angemessene Regelung der Ansprüche von Überlebenden.

Auf der Aktionärsversammlung seines Konzerns drückte es Siemens-Chef Heinrich von Pierer Mitte Februar so aus: Gezahlt werde nur, wenn es für die deutschen Unternehmen Rechtssicherheit gebe. Nicht nur die Überlebenden, die Zahlungen aus dem Fonds annehmen, verzichten damit auf weitere zivilrechtliche Ansprüche - die Unternehmen wollen eine international verbindliche Garantie, nie wieder belangt zu werden. Die deutschen Verbrechen sollen endgültig verjähren, und zwar auch jene, deren Opfer gar nicht in dem Fonds als entschädigungsberechtigt anerkannt sind. Das paßt auch dem deutschen Staat, der mit zwei Stiftungen alle übrigen Ansprüche abdecken will, um Diskussionen über die volksgemeinschaftliche Vernetzung von Staat und Wirtschaft im Nationalsozialismus zu vermeiden.

Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Schering AG. Der Pharma-Konzern will in den Fonds gar nicht einzahlen, denn, so der angestellte Historiker der Firma, man habe ja nur 400 Zwangsarbeiterinnen ausgebeutet. Weil diese Zahl so gering sei, sehe man keinen Grund zu zahlen, schließlich seien die meisten sicherlich schon gestorben. Sollten sich doch noch Überlebende melden, werde man aber sicher eine Regelung finden. Was ganz verschwiegen wird: Schering war an Menschenversuchen im Konzentrationslager Auschwitz beteiligt. Der Konzern ließ Medikamente und Methoden zur Sterilisation an Frauen testen.

Diese Versuche fanden unter Aufsicht der SS-Ärzte Carl Clauberg und Johannes Göbel im Block 10 des Stammlagers Auschwitz I statt. Viele Frauen starben an den Folgen der Operationen oder der Medikamentenbehandlung, viele Frauen wurden in Gaskammern ermordet, nachdem sie als Versuchspersonen mißbraucht worden waren. Die Dreistigkeit, zuzugeben, man habe 400 Zwangsarbeiterinnen ausgebeutet, um zu verschweigen, daß man darüber hinaus für den Tod Hunderter Frauen verantwortlich ist - das ist die Wahrheit über die humanitäre Geste der deutschen Unternehmen.

Eine heute in den USA wohnende Überlebende, die in Auschwitz vom KZ-Arzt Josef Mengele für Versuche mißbraucht worden war, hat nun angekündigt, eine Sammelklage der Opfer der Menschenversuche einzureichen. Mengele testete unter anderem Medikamente und machte Grundlagenforschung für die IG-Farben-Firma Bayer.

Schering, Siemens und eine Reihe weiterer Unternehmen wollen sich ein für alle Mal vom Makel der Beteiligung und Bereicherung am Nationalsozialismus reinwaschen. Der Fonds solle einen "Schlußstrich" ziehen, so der Chef der Deutschen Bank, Rolf Breuer. Es könne nicht angehen, daß die Deutschen noch über Generationen mit Ansprüchen der Opfer konfrontiert würden. Eine Botschaft, die gern gehört wird, vor allem bei denen, deren Beteiligung an den Nazi-Verbrechen gerichtsbekannt ist. Auch Bayer, BASF und Hoechst, die größten IG Farben-Nachfolgefirmen, wollen in den Fonds einzahlen - damit ihre Beteiligung an Giftgasmord und Vernichtungskrieg nicht thematisiert wird. Die Unternehmen erhoffen sich, daß der Auseinandersetzung um ihre Verantwortung für den deutschen Faschismus der Stachel realer Ansprüche gegen sie gezogen wird. Der Rest ist eine Frage des Gewissens.

Darüber hinaus spricht die Ungleichbehandlung der Überlebenden für sich, die je nach Wohnort und je nachdem, wo sie Zwangsarbeit leisten mußten, mehr (in den USA und westlichen Staaten, Zwangsarbeit in Industriebetrieben) oder weniger (in Osteuropa, Zwangsarbeit in der Landwirtschaft) Geld bekommen sollen.

Diese Ungleichbehandlung ist ein Erfolg der Bündnisgrünen, die seit Jahr und Tag eine Differenzierung der Zahlungen fordern. Seit Dezember letzten Jahres nehmen Vertreter der grünen Bundestagsfraktion an den Sitzungen der "Arbeitsgruppe Hombach" teil, die nach dem Treffen Gerhard Schröders mit den Spitzen der deutschen Industrie bei Kanzleramtsminister Bodo Hombach eingerichtet worden war und eine Einigung unter den Unternehmen aushandeln sollte, die bis dahin sehr unterschiedlicher Auffassung über die Gründung einer Stiftung waren.

Die sicherlich abseitigste, aber darin auch wieder bezeichnendste Folge dieses Fonds läßt sich am Beispiel der IG Farbenindustrie AG aufzeigen: Am 25. März 1999 wird die Firma IG Farbenindustrie AG in Liquidation (IG Farben) mit einer Aktionärsversammlung fortsetzen, was sie seit 45 Jahren tut: sich abwickeln.Was im Falle der DDR nur wenige Jahre in Anspruch nahm, beschäftigt die Aktionäre und die Liquidatoren genannten Vorstandsmitglieder des Unternehmens seit Jahrzehnten. Schon mehrmals mußte der Termin für eine angesetzte Liquidation verschoben werden: Einmal Ende der achtziger Jahre, als man sich die Rückgabe des von der sowjetischen Besatzungsmacht enteigneten Grundbesitzes auf dem Gebiet der ehemaligen DDR erhoffte; zum zweiten Mal jetzt.

Noch im Herbst vergangenen Jahres schien eine Liquidation absehbar; die Aktionärsversammlung konnte nicht stattfinden, weil sich nach Protesten in den vergangenen Jahren und der Ankündigung des bundesweiten Bündnisses gegen IG Farben, die Aktionärsversammlung 1998 zu verhindern, niemand fand, der der IG Farben noch Räume vermietet hätte. Inzwischen aber hat die Stadt Frankfurt am Main sich bereiterklärt, den Aktionären städtische Räume zu überlassen.

Auch unter den Aktionären war die Stimmung schlecht, nachdem das Bundesverwaltungsgericht gegen die Rückgabe entschieden hatte. Vom einst größten Chemiekonzern der Welt ist heute nur noch ein Restvermögen von knapp 30 Millionen Mark übrig, alle möglichen kleinen und großen Profiteure der Vernichtung hatten sich bedient. Außerdem erreichten Überlebende aus den USA mit der Drohung, Sammelklagen gegen deutsche Unternehmen einzureichen, in Deutschland eine große Öffentlichkeit - die "Haifische im Anwaltsgewand", wie die Rechtsanwälte der Opfer in Deutschland mittlerweile genannt werden, stellten Forderungen, die für einige Unternehmen, wie z. B. Degussa, existenzbedrohend waren.

Mit IG Farben ging es unweigerlich bergab. Bis sich mit der Ankündigung des Fonds der deutschen Wirtschaft, der mit "Vergangenheit, Verantwortung, Zukunft" zu tun haben soll, alles änderte. Erneut wittern die Liquidatoren ein gutes Geschäft, und aus ihrer Sicht wäre es auch unverantwortlich, es nicht wenigstens versucht zu haben. Dieses Mal geht es nicht um die Besitzungen in der Ex-DDR, sondern um solche in der Schweiz. Noch kurz vor Kriegsende wurden mehrere Hundert Millionen Reichsmark - genaue Zahlen sind bisher noch unbekannt - auf Konten der Schweizer IG Farben-Tochter Interhandel transferiert. Nach dem Krieg wurde diese Firma samt dem Vermögen von der Schweizer UBS-Bank übernommen.

Um an diese Werte heranzukommen, haben sich die beiden neuen Liquidatoren Volker Pollehn, Rechtsanwalt aus Mölln und ehemaliger CDU-Staatssekretär in Schleswig-Holstein, und der CDU-Bundestagsabgeordnete Otto Bernhardt aus Rendsburg etwas Besonderes ausgedacht: Auf der kommenden Aktionärsversammlung soll, geht es nach dem Willen der Liquidatoren, eine Stiftung zur Entschädigung beschlossen werden. Weil aber das Firmenvermögen die Ansprüche nie und nimmer abdecken würde, so die Liquidatoren auf einer Pressekonferenz am 22. Februar, solle sich die UBS doch an der Stiftung beteiligen.

Mit einem Mal sind die Liquidatoren der IG-Farben-Abwicklungsgesellschaft die Fürsprecher der Opfer und fordern, das in der Schweiz befindliche Vermögen - nach Angaben von Bernhardt 4,4 Milliarden Mark - müsse den Opfern zugänglich gemacht werden. Angekündigt wurde, daß etwa zwei Drittel des Vermögens in eine Stiftung einfließen sollen. Das heißt, es bleibt noch über eine Milliarde Mark für IG Farben übrig - ein riesiges Vermögen quasi als Vermittlungsprovision.

So macht man Profit mit der Entschädigung. Die anderen Unternehmen verfolgen kein anderes Ziel, auch wenn es für sie eher darum geht, Expansionsmöglichkeiten abzusichern. Außer der Bereitschaft, sich die Rechtssicherheit zu erkaufen, haben die Unternehmen nichts erklärt; alle anderen Punkte sind noch offen, wie Hombach am Mittwoch vergangener Woche im Bundestag erklärte. Am Wochenende reiste Hombach zum zweiten Mal in dieser Sache in die USA, um über ein Abkommen zu beraten, das deutsche Unternehmen schützen soll. Verhandlungen mit den Verfolgten-Verbänden sollen nach wie vor in jedem Fall vermieden werden.