Fischer gut, Quote gut

Die Quote bleibt, die Krise auch: Auf ihrem Europa-Parteitag in Erfurt verschieben die Grüne eine inhaltliche Auseinandersetzung in das Jahr 2000

Die Frau, die den Kompromiß ausgehandelt hatte, gratuliert als erste. Lachend läuft Angelika Beer über das Podium, vorbei am Rednerpult und den beiden grünen Vorstandssprecherinnen, hin zu ihrem Außenminister, der an einem Tisch am rechten Rand der Parteitags-Bühne sitzt.

Politische Pazifisten geben sich ein Stelldichein: Joseph Fischer hievt seine schwarze Aktentasche auf den Tisch und lächelt zufrieden, als Beer ihn umarmt. Vor Jahren bei den Grünen undenkbar, gibt er ihr als Dankeschön noch einen Kuß auf die Hand.

Den hat sich die selbsternannte Antimilitaristin auch verdient. Mit geradezu realsozialistischer Mehrheit haben die 650 bündnisgrünen Delegierten am zweiten Tag ihres Erfurter Europa-Parteitags einem Papier die Zustimmung erteilt, das den außenpolitischen Kurs Fischers bei den Kosovo-Verhandlungen unterstützt. Daß es zu dem Kompromiß-Papier kam, hat Fischer Beer zu verdanken. Stundenlang hatte sie sich am Samstag darum bemüht, die Verfasser eines kritischen Kosovo-Antrags zum Einlenken zu bewegen. Wenige Tage vor Wiederaufnahme der Rambouillet-Gespräche und dem Besuch des grünen Patriarchen bei dem der Serben in Belgrad, sollten Fischer keine Knüppel zwischen die Beine geworfen werden.

Beer hat Erfolg. Als am Samstagabend klar ist, daß sich Fischer mit seiner Forderung nach Umstrukturierung der Parteiführung nicht durchsetzen kann, gönnen ihm die Delegierten wenigstens einen politischen Erfolg. Außenpolitische Kontinuität garantiert: Die Parteilinken Christian Ströbele und Uli Cremer ziehen ihren Antrag zurück, scheinbar flügellos unterstützt die Delegiertenkonferenz den Realo-Entwurf, "das Bemühen der Kontaktgruppe, über die Nato-Mitgliedsstaaten hinaus andere Länder - insbesondere Rußland - für eine Beteiligung an den multilateralen friedenssichernden Einheiten zu gewinnen", selbstverständlich mit angemessener Beteiligung Deutschlands. Als ob es kein Partei-Programm gäbe, das Bundeswehreinsätze nur mit Uno-Mandat erlaubt, ergänzen sie lapidarisch: "Darüber hinaus soll ein mandatierender Beschluß des UN-Sicherheitsrates herbeigeführt werden."

Fischer packt nach dem Beschluß am Samstagabend die Tasche, am Sonntag taucht er gar nicht mehr auf in den Erfurter Messehallen. Die Angst vor einem neuen Magdeburg, neuerlichen Vorwürfen der Medien also, immer noch nicht regierungsfähig zu sein, ist gebannt, die Koalitionsfähigkeit gesichert. Statt über einen Ausweg aus dem Dilemma zu diskutieren, wie eine Regierungspartei an oppositionellen Positionen festhalten kann, bestimmen grüne Selbstfindung, Kandidatenwahl und Absegnung des Programms für die Europawahlen im Juni den Verlauf des Parteitag. Alles, nur kein Aufbrechen der alten Flügelkämpfe wollte die Parteiführung, schließlich steht den gebeutelten Grünen ein Superwahljahr bevor.

Der inhaltliche Teil des dreitägigen Europaparteitags war mit dem Kosovo-Beschluß eigentlich schon vorbei. Zwar verabschiedeten die Delegierten am Sonntag noch eine Resolution, die das "provokative, erpresserische Auftreten der Atomindustrie" und die "Unentschlossenheit des Kanzlers und seiner Partei" kritisiert. Was Umweltminister Jürgen Trittin bei den nächsten Konsensgeprächen mit dem Beschluß anfangen soll, interessierte sie nicht - den grünen Ministern und der Ministerin wurde der Rücken freigehalten, insbesondere Fischer.

Wo Partei-Kritik an der Nato-Strategie nur den eigenen Außenminister in Bedrängnis bringt, hält man sich bei den Grünen seit der Regierungsübernahme zurück: Die Passage aus dem Ströbele-Papier, wonach der Kosovo-Konflikt, "bei dem die Nato ohne völkerrechtliche Legitmation monatelang immer wieder mit Militärschlägen gegen Jugoslawien gedroht hat" eng verknüpft sei mit der "neuen Nato-Strategie, in der die Nato-Selbstmandatierung für Militäreinsätze über das Völkerrecht gestellt und damit faktisch das Gewaltmonopol der Uno außer Kraft gesetzt werden soll", fällt heraus. Statt dessen beschwört man den politischen Willen und "die Entschlossenheit der reichen westlichen Industriestaaten".

Daß Deutschland auch unter grüner Regierungsbeteiligung im illustren Kreis der Großmächte mitmischen soll, darüber sind sich die grünen Delegierten einig. Darüber, daß es dazu, wie von Fischer eine Woche vor Beginn des Parteitages im Spiegel eingefordert, einer Reform der Parteistrukturen bedarf, nicht.

Die politische Krise, die den Grünen seit ihrer Niederlage bei der Hessen-Wahl so heftig bewußt geworden ist, hatte Fischer im Vorfeld des Parteitages dazu genutzt, die basisdemokratischen Reste der grünen Strukturen in Frage zu stellen. Doppelspitze, Trennung von Amt und Mandat, sowie die Quotierung nach Flügel-, Herkunfts- und Geschlechtsproporz - all das müsse überdacht werden: "Die Krise bewältigt man aber nicht, indem man sich eine Parteistruktur leistet, die nicht belastungsfähig ist. Für solche Krisen hält man sich dann die eiserne Reserve namens Fischer. Aber so geht das nicht", vertraute er dem Spiegel an - um auf der Delegiertenkonferenz Kreide zu fressen.

Wolfgang Ullmann, scheidender Europa-Abgeordneter, sorgte dafür, daß Fischer nicht zum Zuge kam. Als Ullmann die Delegierten fragte, ob denn "irgend jemand im Saal glaubt, daß wir die Hessenwahl verloren haben, weil wir den Mißbrauch der Verquickung von Amt und mitmachen, weil wir zwei Vorstandssprecherinnen haben?" tönte lauter Beifall auf. Sie glaubten es nicht, und Fischer hielt danach auch nicht mehr die Rede, die er ursprünglich halten wollte.

Statt dessen griff er Ullmanns Forderung an die Partei, daß sie endlich "regieren lernen" müsse, auf und stellte es der Basis frei, sich bis zur Mitte der laufenden Legislaturperiode eine neue Struktur zu geben: "Wenn es einer machen kann, soll es einer machen, wenn es zwei oder drei Vorsitzende sind, sollen die es machen." Und wenn denn elf Vorsitzende den Job besser machen können, dann halt elf. Gerne sei er dazu bereit, die Finger von der Strukturdebatte zu lassen, "wenn wir lernen zu regieren".

Was sie eigentlich wollten, war den Delegierten wahrscheinlich selbst nicht so klar. So entschieden sie sich am Freitag zunächst dafür, eine breit angelegte Strategiedebatte zu führen - mit gesetzten Redebeiträgen der Parteispitze: Lediglich fünf Minuten sollte einem Dutzend ausgeloster Delegierter zur Kritik bleiben, den Vorstandssprecherinnen und Ministern gestand man fünfzehn Minuten zu, Fischer gleich dreißig.

Doch nachdem Kerstin Müller, neben Rezzo Schlauch Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Fischers Argumentation, daß es sich beim Quotierungssystem um eine Quotierung der Flügel und nicht einen Ausdruck der Frauengleichberechtigung handele, abgebügelt hatte, wollten die Delegierten nicht mehr diskutieren. Müller hatte Fischers Quoten-Vorstoß auf den Punkt gebracht: "Das sind wieder einmal nur Machtkämpfe."

Gunda Röstel, die als Reala und Ossa und Frau gleich die dreifache Quote erfüllt, nutzte die Delegiertenentscheidung zur Vertagung der ganzen Debatte. Bis zur nächsten Vorstandssprecherwahl im Dezember 2000 sollte sich die Partei gründlich überlegen, wie die Führungsspitze danach aussehen solle. Bis dahin solle man sich auf die anstehenden Wahlkämpfe konzentrieren.

Was ja auch der eigentliche Grund der Zusammenkunft war: Kaum beachtet, schaffte es die Parteilinke, immerhin sechs der ersten zehn Plätze mit ihren Vertretern zu besetzen. Als dann auch noch Frieder-Otto Wolf, der Brüsseler Koordinator der linken Grünen, auf Platz acht der Liste gesetzt wurde, konnte selbst Ströbele wieder lachen. Beschwingt setzte er sich am Samstagabend auf ein Klapprad und drehte eine Freudenrunde durch die Halle.

Doch was heißt eigentlich noch links? Auch Wolf hatte sich in Brüssel für den Bundeswehreinsatz stark gemacht. Und so schließt sich der grüne Kreis.