Heiser wie Meiser

... aber schneller als Arabella. Daily-Talkerin Nicole stellt Ehen vor Gericht

"Nicole", die neue Daily-Talk-Show auf Pro 7, verspricht die "Entscheidung am Nachmittag" (Eigenwerbung). Die blonde Moderatorin Nicole empfängt zerstrittene Paare, verliebte, aber schüchterne Teenager oder schwule Dreierkonstellationen, in denen jeder jedem mißtraut. Eigentlich nichts Neues, der Dreh an der Sache ist allerdings: Die Kontrahenten müssen sich nach Aufforderung durch die TV-Ombudsfrau in Sekundenschnelle entscheiden, ob und wie sie ihre angeschlagene Beziehung weiterführen wollen.

Da gab es dann z.B. in der Pilotsendung ein Ehepaar um die 20, das schon nach wenigen Monaten des Zusammenlebens über Entfremdungsprobleme klagte. Nicole wußte Rat: Weil die jugendlich-attraktive Gattin ihrem Angetrauten vorwirft, es klappe nicht in der Beziehung, weil er nie mit ihr tanzen gehe, hat die Moderatorin ihr ein paar Abende zuvor einen temperamentvollen Tänzer zugeführt, mit dem sie dann so richtig abhotten ging. Auch dem an seiner Männlichkeit zweifelnden Jüngling wurde eine unternehmungslustige Dame an die Seite gestellt.

Nachdem den Eheleuten während der Aufzeichnung die Vergnügungen des anderen in Filmeinspielungen präsentiert wurden, reagierten sie zunächst schwer beleidigt und waren rasend eifersüchtig aufeinander - außer Nicole natürlich, denn die hatte nach der finalen Provokation die Frage parat: "Könnt ihr euch vorstellen, eure Beziehung erst einmal fortzusetzen, und versprecht ihr, in Zukunft mehr auf die Wünsche des anderen einzugehen?" Die Angesprochenen heben ein Schild mit der Aufschrift hoch: "Ja!" Toll, Nicole. Eine ganze Ehe gerettet!

In einem Marktforschungsgespräch, bei dem über die Nullnummer-Aufzeichnung diskutiert wurde, waren die meisten Teilnehmer von der neuen Sendung allerdings nicht sehr begeistert, von der Moderatorin im Post-Girlie-Outfit dagegen sehr: "Mal was anderes!" - "Hat bei den ganzen Idioten ja ganz gut vermittelt!" - "Geile Hose hatte die an!" - "Hatte ja 'ne ganz gute Figur!"

Beim Versuch der differenzierten Beurteilung des neuen Formats geriet man dann jedoch arg aneinander. Während die Skeptiker-Fraktion stur ihre These vertrat, diese Sendung sei nun wirklich ganz schön unverschämt (noch unverschämter als "Arabella") und besitze eine neue Qualität, was die "verletzende" Behandlung der "Gefühle der Gäste" angehe, konterten die Verfechter des Mobbing-Fernsehens, jugendlich-lässig in ihren Stühlen zurückgelehnt, mit dem hohen Unterhaltungswert der "Die sind so dumm, die können ja gar nicht echt sein"-Talk-Gäste.

"Nicole" stellt unter den zahlreichen Daily-Talks wohl wirklich ein neues Format dar. Elemente, die man schon aus den bisherigen Talk-Shows kennt, werden noch zugespitzt. Medienwissenschaftler, die sich mit dem Phänomen der Seelen-Striptease-Sendungen befaßt haben, behaupten, man könne sich zwischen zwei Talk-Show-Typen unterscheiden: Der eine sei der problemorientierte Typus, wie z.B. die Runden mit Hans Meiser oder Ilona Christen; der andere der eher publikumsorientierte, wie die Sendungen mit Bärbel Schäfer, Arabella Kiesbauer oder Birte Karalus.

Auf diesen Unterschied beruft sich auch Ilona Christen, wenn sie ihre Kollegin Birte Karalus öffentlich angreift und diese beschuldigt, die "Qualität" und die "Ernsthaftigkeit" der Daily-Talks zu gefährden, oder auch wenn die bayerische Familienministerin "Arabella" "jugendgefährdende Inhalte" unterstellt.

Allerdings geht diese Unterscheidung von der Annahme aus, daß eine Talkshow die Möglichkeit bietet, einen Sachverhalt "problemorientiert" darzustellen. Dabei ist das Mittel der Auseinandersetzung in allen Talkshows ein Sprechen, das diese Bezeichnung nicht mal verdient hat. Das Über-Alles-Sprechen als vermeintlich unbändiges Ausdrucksmittel menschlicher Kommunikation und Auseinandersetzung verheißt das Sprechen über etwas, obwohl es in Wirklichkeit um gar nichts geht - zumindest nicht um "das Problem". Das wandelt sich zum austauschbaren Gegenstand, der nicht mehr Grund, sondern nur noch Anlaß zum Sprechen ist.

"Nicole" inszeniert beide Formen des Sprechens - den als "problemorientiert" und den als "publikumsorientiert" bezeichneten Talk, und so entsteht nicht nur ein neues Produkt, sondern geradezu der Idealtypus dieses Genres und trägt damit zugleich zur Produktdiversifizierung bei.

Hans Meiser kann in der Talk-Landschaft den altväterlich-paternalistischen Part übernehmen, der sich entweder besonnen die Sorgen und Nöte seiner Gäste anhört, um danach zum gutgemeint-mitmenschlichen Ratschlag überzugehen, oder er erörtert ein Thema, das, am Ende der Sendung, nochmal von ihm zusammengefaßt und in ein vermittelndes Schlußwort gepackt wird. Bärbel Schäfer ist dagegen für die offene, hemmungslose Konfrontation zuständig und ist weder an einer Vermittlung noch am objektiven Vergleich unterschiedlicher Meinungen, noch am direkten Aufklären von Widersprüchen interessiert.

Nicole aber übernimmt beide Rollen zugleich: fürsorgende Mutti und autokratische Richterin, die den schwelenden Konflikt vor dem Publikum noch mal so richtig anheizt. Hemmungslose Klarheit ist das Motto, nicht das 45minütige Daherpalavern wie in den bisher bekannten Talk-Runden. Eine Entscheidung muß gefällt werden - egal, ob es wirklich eine ist, oder ob der Kandidat nur aus Verlegenheit sein "Ja!"-Schild hebt. Das Publikum spielt bei "Nicole" mehr als in anderen Sendungen den Ko-Moderator, der gewollt den Streit schürt oder verzweifelt zur gewünschten Versöhnung ruft, als ginge es um seine eigenen Belange.

Die Rolle des Publikums als Ko-Moderator ist bereits durch die Plazierung der Zuschauer im Studio festgeschrieben. Hier gibt es keine Distanz mehr zwischen Gästen und Zuschauern wie z.B. bei "Vera am Mittag" oder "Hans Meiser", wo das Publikum sich gelegentlich mal einmischt, sondern es sitzt nur wenige Meter vom Kandidaten-Tresen entfernt auf einer steil aufsteigenden Tribüne. Aber nicht nur die Studioarchitektur ist perfekt für solcherlei Zerfleischungsszenen, auch die dramaturgische Inszenierung ist akkurat arrangiert: Sind die Akteure versöhnt (oder auch nicht), müssen sie sogleich aus der Kulisse verschwinden, um den neuen Gladiatoren im Schaukampf Platz zu machen.

Schlag auf Schlag wird gnadenlos der Geständniszwang durchgesetzt. Exhibitionismus nicht versus Voyeurismus, sondern als perfektes Paar. Die Zeiten sind halt härter geworden - Eintrittskarten für "Nicole" kann man unter der Nummer vorbestellen, die im Abspann eingeblendet wird.