Krümel am Rand

EU und AKP-Staaten verhandeln über ein Lomé-Folgeabkommen. Entwicklungspolitik ist out, Freihandel in

Was wird aus Entwicklungspolitik in Krisenzeiten? Seit September letzten Jahres verhandelt die Europäische Union mit der Gruppe der AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) über eine Abwicklung des Lomé-Abkommens. Dieses Vertragswerk ist die Grundlage der entwicklungspolitischen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit der EU mit den mittlerweile 71 AKP-Ländern und bildet gleichzeitig die Grundlage der europäischen Nord-Süd-Politik.

Das erste Lomé-Abkommen wurde im Jahr 1975 in der togolesischen Hauptstadt zwischen den europäischen Regierungschefs und ihren Kollegen aus den ehemaligen Kolonien geschlossen. Das aktuell gültige Abkommen, Lomé-IV, läuft im Februar 2000 aus. Bis dahin müssen sich die Verhandlungspartner über die Ausgestaltung eines möglichen Nachfolgeabkommens einig werden.

Für die Unterzeichner sollte das Lomé-Vertragswerk einst ein vorbildliches Modell für sogenannte "paritätische Zusammenarbeit" zwischen Nord und Süd sein. Handelspräferenzen sollten den AKP-Länder den Zugang zu den europäischen Märkten erleichtern, und durch Fonds zum Ausgleich von Erlösschwankungen (Stabex und Sysmin) sollte Ausfuhrstabilität und -kontinuität erreicht werden. Ergänzt wurde dies durch Maßnahmen zur Förderung von Privatinvestitionen, Strukturanpassungsprogramme und Entwicklungshilfe seitens der EU.

Die Bilanz der Zusammenarbeit ist ernüchternd. Nach 25 Jahren ist vom angeblichen "paritätischen Geist" nicht mehr viel übrig. Viele Staaten sind in noch höherem Ausmaß als zuvor vom Weltmarkt abgekoppelt, 41 der 50 ärmsten Länder der Erde liegen im AKP-Raum. Der Handel der EU mit den AKP-Staaten geht seit Jahren zurück und erscheint in aktuellen Statistiken vollkommen unbedeutend. Fast alle Länder exportieren immer noch die gleichen Produkte nach Europa wie in der Kolonialzeit, und das bei sinkenden Preisen.

Angesichts dieser Entwicklung stünde eine gründliche Überarbeitung der Lomé-Zusammenarbeit eigentlich auf der Tagesordnung. Doch die Erwartungen der AKP-Seite und der EU an ein Folgeabkommen sind so unterschiedlich wie das Ergebnis offen. Von der AKP wird gefordert, das derzeit gültige Abkommen ohne grundsätzliche Veränderungen fortzuführen. Vor einer schnellen und ungeschützten Liberalisierung des Handels wird gewarnt.

Doch die EU hat andere Pläne. Sie fordert die Abschaffung der Exporterlösfonds Stabex (Agrarprodukte) und Sysmin (mineralische Rohstoffe) und will die entsprechenden Gelder lieber in einen Fonds zur Finanzierung von Hilfsprojekten stecken.

Zudem verweist sie auf die Welthandelsorganisation (WTO). Die sieht in den einseitigen Handelspräferenzen, die die EU den AKP-Staaten gewährt, eine Verzerrung des freien Welthandels. Eine bislang geltende Ausnahmeregelung läuft gleichzeitig mit Lomé-IV im Jahr 2000 aus. Nicht zuletzt wegen des sich zuspitzenden Bananenstreits zwischen der EU und den USA, dem dieselbe WTO-Regelung zugrundeliegt, zeigt sich die EU nicht gewillt, einen erneuten WTO-waiver zu erwirken.

Anstelle der bestehenden Handelspräferenzen strebt die EU die Schaffung regionaler Freihandelszonen mit den AKP-Staaten an. Dadurch soll die WTO-Kompatibilität der Zusammenarbeit sichergestellt und neuerlich die vielbeschworene "schrittweise und harmonische" Integration der Entwicklungsländer in den Weltmarkt bewerkstelligt werden. Die AKP-Staatengruppe würde dadurch voraussichtlich in ihre Einzelteile zerfallen. Sie könnte nicht mehr mit einer Stimme sprechen - was in einer heterogenen Staatengruppe ohnehin schwer genug ist.

WTO-Regeln sind jedoch kein Naturgesetz. Einseitige Handelspräferenzen sind für ungleiche Partner unabdingbar. Vom Standpunkt der Entwicklungspolitik müßte genau an diesem Punkt eine WTO-Reform ansetzen. Die Welthandelsorganisation - sofern man nicht gleich ihre Abschaffung fordert - müßte entwicklungskonform gemacht werden, nicht die Entwicklung WTO-konform.

Ähnlich argumentiert auch die Paritätische Versammlung AKP-EU, ein Gremium, das je zur Hälfte aus AKP- und EU-Parlamentariern besteht. In einem Berichtsentwurf über die zukünftigen Beziehungen heißt es: "Wir müssen der allgemeinen Vorstellung entgegentreten, daß der freie Fluß des Handels, der Finanzen und der Informationen den Wohlstand in allen Bereichen fördert."

Bei der letzten Verhandlungsrunde zwischen EU und AKP-Ländern, die Anfang Februar in Dakar (Senegal) stattfand, wurde deutlich, daß inzwischen einige Mitgliedsstaaten Zweifel an den Plänen der EU hegen. Die EU müsse alternative Möglichkeiten in Betracht ziehen, eventuell an den bisherigen Präferenzen festhalten oder sie sogar ausweiten, heißt es jetzt.

Der Verhandlungsrunde in Dakar hat die internationale Presse wenig Aufmerksamkeit gewidmet, obwohl sich hochrangige Politiker aus allen 71 AKP-Staaten, aus den 15 EU-Mitgliedsländern und aus der EU-Kommission ein Stelldichein gaben, und obwohl Lomé ein Kernthema der Entwicklungspolitik wie auch der Außenwirtschaftspolitik ist. An der geringen Außenwirkung der Verhandlungen kann man ablesen, was der Entwicklungspolitik insgesamt seit Jahren widerfährt: Der Fall in die Bedeutungslosigkeit - trotz zunehmender globaler Verarmung.

In der Bundesrepublik ist der Anteil der Entwicklungszusammenarbeit am Bruttosozialprodukt zwischen 1982 und heute von 0,48 auf 0,28 Prozent gesunken. Das stets propagierte Ziel, 0,7 Prozent vom BSP für Kooperation mit der "Dritten Welt" einzusetzen, ist nichts als ein beliebter Scherz auf internationalen Konferenzen. Im Schnitt wenden die Industrieländer gerade mal 0,2 Prozent ihres jeweiligen Bruttosozialprodukts für die Peripherie auf - ein Almosen.

Die EU konzentriert ihre Mittelvergabe an Drittländer immer mehr auf die mittel- und osteuropäischen Beitrittskandidaten, auf die ehemalige Sowjetunion und auf die Mittelmeer-Anrainer. Für die "traditionellen" Entwicklungsländer bleibt nicht mehr viel übrig.

Der Anteil der AKP-Staaten an den gesamten Entwicklungsleistungen der EU ist von 1994 bis heute um mehr als die Hälfte gesunken. Sie stehen jetzt vor folgender Alternative: Freihandelsabkommen mit der EU und weitere Öffnung ihrer Märkte, so wie derzeit in Südafrika und Mexiko geplant, oder Verschwinden in der Bedeutungslosigkeit mit gelegentlichen EU-Nahrungsmittelhilfen. Entwicklungszusammenarbeit outet sich hier als eine Art Sozialhilfe für diejenigen, die mit dem modernisierten weltweiten Kapitalismus nicht zurecht kommen.

Aber trotz abnehmender Bedeutung kann sich der Entwicklungsausschuß des Europäischen Parlaments ein paar Erfolge zugute halten. Das Not- und Nahrungsmittelhilfeprogramm (Echo) der EU, jahrelang zur billigen Entsorgung europäischer Agrarüberschüsse mißbraucht, wurde auf Drängen von Europaabgeordneten umgestaltet. Die EU kauft ihre Hilfsgüter heute bevorzugt in den betroffenen Regionen ein, anstatt ihre Überschüsse unter dem Deckmantel der "humanitären Hilfe" zu verwerten und Weizen zu liefern, wenn Reis fehlte. Wenigstens diese Art der Ausbootung lokaler Märkte ist damit gestoppt.

Die Zukunft der Lomé-Kooperation steht derweil noch in den Sternen. Die EU-VertreterInnen müssen die Frage beantworten, ob sie nur hin und wieder ein paar Krümel vom EU-Kuchen für die AKP-Staaten fallenlassen wollen. Damit würden sie das Siechtum von Lomé besiegeln. Man könnte dann eigentlich auf weitere Verhandlungen verzichten und - mit ein bißchen Partnerschaftsrhetorik - alles so weiter laufen lassen wie bisher. Zwecks WTO-Konformität würden dann langfristig Freihandelsabkommen die berühmte "paritätische Zusammenarbeit" ersetzen.