Das Vorbild New Labour

Mehr Harmonie war nie

Harmonisch sollte es werden und "sozial" - das rosa-rot-grüne Europa, wie es bis bis vor kurzem angepriesen wurde. SPD und Bündnis 90 / Die Grünen waren soeben in Bonn an die Macht gekommen, so daß - nach Rom, Paris und London - das letzte und größte Machtzentrum in der EU nunmehr von Linksparteien verwaltet wurde.

Auch zahlreiche Medien, sofern sie nicht Anhänger der konservativen Parteien waren und sich nun vor der Zukunft fürchteten, zeichneten ein schönes, frohes und buntes Bild von Europa, und selbstverständlich kam auch das Zauberwort "sozial" immer wieder vor. Denn das Europa-Projekt, das von den Vorgängerregierungen begonnen worden war, würde nun von dem Makel befreit, ein "Europa allein der Märkte" zu sein. Selbst ein Teil der Redaktion der französischen links-alternativen Wochenzeitung Charlie Hebdo war aus dem Häuschen, Redakteur Gérard Biard entdeckte sogar seine Liebe zu Gerhard Schröder - als progressive Alternative zu Lionel Jospin.

Frohe Aussichten auf die nahe Zukunft also - doch dann kam alles anders: Ein Streit ums Atom hier, eine Auseinandersezung um die Finanzierung der EU dort, nationale Befindlichkeiten auf allen Seiten. Vor diesem Hintergrund trafen sich am Montag vergangener Woche 20 sozialdemokratische und sozialistische Parteien, die meisten unter ihnen an der Regierung, im norditalienischen Mailand.

Ziel dieser in der Europäischen Sozialistischen Partei (ESP) zusammengeschlossenen Formationen sollte sein, sich gemeinsam auf die kommende Europa-Parlamentswahl vorzubereiten und die Konturen der künftigen EU-Entwicklung zu skizzieren: also Initiativen zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Damit gäbe es dann Beschäftigung, somit Wachstum, damit wiederum Wohlstand für alle. Doch was ein richtiger "wind of change" werden sollte, endete als schwacher Lufthauch.

Zuerst verdarb Gerhard Schröder die Stimmung. Die französische Tageszeitung Le Parisien faßte die Äußerungen des deutschen Kanzlers so zusammen: "Es ist schön, eine europäische Vision zu haben, aber man sollte zuallererst unsere konkreten Probleme lösen, das heißt die Finanzierung der EU." Anders gesagt: Deutschland will weniger zahlen, über den Rest wird später geredet.

Großbritanniens Regierungschef Tony Blair durfte am nächsten Tag nachlegen. Zwar habe er nichts gegen den Vorschlag zu einem EU-weiten Bündnis für Arbeit, aber auch "die Unternehmen" würden "nachgiebige Regeln" benötigen, denn, so Blair, "für die Beschäftigten kommt Sicherheit durch Flexibilität, nicht durch zu starre Arbeitsgesetze". Soll heißen: Gearbeitet wird so, wie die Bedürfnisse der Betriebe es vorschreiben. Samstags, sonntags, nachts - mit Freizeitausgleich am Dienstag, Donnerstag oder wann immer es paßt.

Diese Flexibilität in der Programmatik von New Labour - Blair zieht die Wendung "nachgiebige Regeln" vor - hat bereits seit geraumer Zeit die deutsche Sozialdemokratie inspiriert. Das europäische Sozialistenbündnis scheint zu folgen: Außer einem für den 27. Mai in Paris geplanten Auftritt der ESP-Spitzenpolitiker ist nur ein Manifest aus dem Treffen der vergangenen Woche hervorgegangen. Interessant daran ist nur seine Banalität.

Und doch wirkt New Labour auf manche noch immer anziehend: "Es gibt kaum einen Unterschied zwischen New Labour und den deutschen grünen Realisten", erklärte Antje Vollmer vor knapp zwei Wochen der Pariser Tageszeitung Libération. Als Selbstkritik wird Vollmer das nicht gemeint haben.