Wasp in der Wüste

"Dusty In Memphis": Eine Plattenbeschreibung aus Anlaß des Todes von Dusty Springfield

Ein hallender Raum, dezente Streicher, eine Alt-Stimme: "Rouuund". Round, rund, an alle Erinnerungen, die das Wort hervorruft, von den ehrwürdigen Mythologien der Geschlossenheit und der Wiederkehr bis Van Goghs ekstatischem "La vie est ronde", von den Regelkreisen der Kybernetik bis zu Ringelreihen und Mutterbrust scheint dieses langgezogene "rouuund" anzuknüpfen.

Und doch widerruft die Stimme gleichzeitig die Bedeutungen von Vollkommenheit und Unendlichkeit, die dem Runden, Abgerundeten stets anhaften. "Round", so wie es Dusty Springfield phrasiert, ist unrund; sollte es vollkommen sein, dann so vollkommen wie der Tod; sollte es unendlich sein, dann so unendlich wie das Vegetieren in einem Kerker ohne Türen.

Später sagte die Sängerin, sie habe tief, sehr tief Luft holen müssen, um das zu singen: "Round, like a circle in a spiral, like a wheel within a wheel, never ending, all beginning, on an ever spinning reel, like a snow-ball down a mountain or a carnival balloon, like a carousel that's turning, running rings around the moon, like a clock whose hand is sweeping past the minutes of its face, and the world is like an apple whirling silently in space ..." Nach diesem letzten, drolligen, selbstironischen Vers markieren die Streicher eine wirbelnde Abwärtsbewegung, als ob der Weltapfel in einen tiefen Abgrund stürzte. "... Like the circles that you find in the windmills of your mind ..."

Dann setzen, sehr zart, ein Schlagzeug, ein Baß und eine spanische Gitarre ein. Man hört verhallte Kastagnetten, man hört von verwischten Spuren, halb vergessenen Träumen, von Tunneln, die in Tunnel münden. "The Windmills of Your Mind" inszeniert das In-sich-Kreisen einer fensterlosen Monade. Das ist gewiß ein ungewöhnliches Thema für einen Popsong. Und man versteht, warum sich Dusty Springfield mit Händen und Füßen wehrte, das zu singen.

Auf Einladung von Atlantic-Chef Ahmet Ertegun war sie im Sommer 1968 nach Memphis gereist, um eine R&B-Platte aufzunehmen. Die Britin war vorgelassen worden in ein Heiligtum der schwarzen Musik, und sie war sich dessen bewußt: Hier hatte einst Wilson Pickett gestanden, dort Aretha Franklin. Springfield fröstelte vor Ehrfurcht, als man sie durchs Studio führte.

Sie, die ihre Hits bisher stets selbst produziert, ja sogar die Aufnahmen allein abgemischt hatte, war zum ersten Mal bereit gewesen, sich einem Produzententeam zu beugen - und zwar einem der besten, das die Zeit zu bieten hatte: Jerry Wexler, Tom Dowd und Arif Mardin. Die Rhythm Section waren die legendären Memphis Cats, die u.a. Elvis begleitet hatten.

Und darin liegt das Geheimnis von "Dusty In Memphis": Auf der einen Seite eine britische Popsängerin, eine Wasp (White Anglo-Saxon Protestant), die eine unbritische, Nicht-Pop-, Nicht-Wasp-Musik machen und einer Kultur, die sie verehrt, ihre Reverenz erweisen will: R&B, Soul, Black Music. Auf der anderen Seite ein R&B-Produzententeam, das gerade das Theatralische, Spleenige dieser Künstlerin reizte, ihre Sophistication.

So kam es zu einem Streit, weil Springfield darauf bestand, ausschließlich R&B-Songs aufzunehmen, während die Produzenten ihr Pop-Merkwürdigkeiten wie "The Windmills of Your Mind" (von A. und M. Bergman und Michel Legrand) oder das Randy-Newman-Psychodrama "I Don't Want to Hear It Anymore" aufdrängten.

In seinem Roman "Sonnenfieber" hat Walter Abish mit bösem Witz herauspräpariert, wie sehr die Nicht-Wasps die glänzende Oberfläche der Wasp-Welt als etwas ihnen Unerreichbares verehren. Und so flach und glatt, so "cold and empty" diese Kultur - es ist im Grunde die unsere - sein mag, hat sie doch etwas hervorgebracht: Neurosen. Man darf trotz allem dankbar sein. Nicht-Wasps beneiden uns darum, weil sie häufig weder Zeit noch Kraft haben, Neurosen zu züchten.

Springfield sollte also, nach Meinung ihrer Produzenten, diese glatte neurotische Welt-in-einer-Welt darstellen, den dekadent gewordenen britischen Pop inmitten einer - sehr zurückgenommenen - R&B-Umgebung. Zu unserem Glück gab sie nach.

Und es ist nicht die schlechteste Ironie dieser doppelbödigen Aufnahme, daß auch in den typischen R&B-Stücken - etwa in den Goffin/King-Songs "So Much Love" und "I Can't Make It Alone" - die eine Welt sich in der andern spiegelt, die eine Kultur die andere befragt und eine die andere nach Kräften mißversteht. "My world was cold and empty", eine Blues-Phrase als Hausfraueneinsamkeit, "There never was a prayer for us", ein Soul-Seufzer als Großstadt-Agnostizismus.

Noch mehr gilt das für typische Wasp-Melodramen wie "In the Land of Make Believe" von Burt Bacharach oder Newmans "Just One Smile"; sie errichten ein land of make believe, wo einst die Kapelle stand, aus der die Gospels drangen. Ausholende große Geste - grundiert mit funky Kommentaren. "Just a Little Lovin'" von Barry Mann und Cynthia Weil, der Song, mit dem die Platte beginnt, ist der bereits vollendete Zynismus: "Just a little lovin', early in the morning, beats a cup of coffee for starting off the day". Springfield, in ihrem kostbaren R&B-Mißverständnis befangen, singt dies aber nicht so, als sei es ein kleiner städtischer Spaß, sondern eine mit ganzer Seele ergriffene Hoffnung: "This old world would'nt be half as bad, it would'nt be half as sad, if each and everybody in it had a little lovin' early in the morning."

Tom Jones hätte daraus eine Anzüglichkeit gemacht, Sandie Shaw eine Belanglosigkeit. Dusty Springfield interpretiert es mit so großem Ernst, so großer Trauer, daß man wirklich glauben könnte, es fehle uns an nichts anderem als an ein paar Berührungen, bevor es zur Arbeit geht. Nicht die Versagung allein, sondern die Versagung noch dieser banalen Winzigkeit - "a little lovin' in the morning" - macht die Sängerin zu ihrem Thema.

Es geht noch trauriger. "I Don't Want to Hear It Anymore" von Randy Newman evoziert bitterste Einsamkeit: Verlassen sein und dann auch noch durch die dünnen Wände die anderen über die eigene Liebeskatastrophe tuscheln hören. "The talk is so loud, and the walls are much too thin"; Springfield kostet die ganze Qual der Situation aus. Es ist die große Kunst, auf die sich nur dusty Wüstenbewohner verstehen, die sich bekanntlich vom Saft halbvertrockneter stachliger Pflanzen ernähren: noch im Schmerz die Lust herauszuschmecken. "Dusty In Memphis" ist neben vielem anderen auch eine der melancholischsten Platten der Pop-, oder sollte man sagen: R&B-Geschichte?

Dusty Springfield, die dieses Meisterwerk vor dreißig Jahren innerhalb einer Woche eingespielt hat, ist am vorvergangenen Dienstag im Alter von 59 Jahren gestorben.

Dusty Springfield: "Dusty In Memphis". Atlantic 1969 (CD-Edition: Rhino 1992)