Beschwichtigungskrieg

Das Sprengstoff-Attentat auf die Wehrmachtsausstellung ist der neueste Höhepunkt der schwarz-braunen Rebellion gegen die Tatsachen

Es war zwanzig vor fünf am frühen Dienstagmorgen, als die Bombe explodierte. Ein metergroßes Loch tat sich in der Außenwand der Saarbrücker Volkshochschule auf, Fensterscheiben splitterten. An der gegenüberliegenden Klosterkirche zerbarsten die frisch renovierten Kirchenfenster.

An jeder der bislang dreißig Stationen der Wanderausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht. 1941-1945" gab es Proteste von CDU/CSU und Vertriebenenverbänden, von den neofaschistischen Republikanern und von Soldatenvereinigungen. Zehnmal marschierten bislang militante Neonazis. Kein anderes Thema hat den Schulterschluß von extremen Rechten und Rechtskonservativen bis hin zu bürgerlich-konservativen Kräften so befördert wie die von dem ehemaligen Münchener CSU-Vorsitzenden Peter Gauweiler beschworene "Wiederherstellung der Ehre von Millionen von Deutschen". Kein Wunder, daß die Rechten sich provoziert fühlen - liefert die Ausstellung doch in eindrücklichen Bildern den Beleg dafür, daß der Mythos von der "ehrbaren Wehrmacht" nichts weiter war und ist als die kollektive Lebenslüge von Millionen von Deutschen.

Seit sie 1995 in Hamburg erstmals gezeigt wurde, hat die Ausstellung in regelmäßigen Abständen Rechte jeder Couleur mobilisiert. Radikalisiert hat die massenmedienwirksame Hetze gegen die Ausstellung und ihre MacherInnen vom Hamburger Institut für Sozialwissenschaften der damalige Münchener CSU-Vorsitzende Peter Gauweiler, der dem Institut zwei Jahre später vorwarf, "einen kollektiven Vernichtungskrieg gegen die Deutschen" zu führen. Gauweiler ging auch Institutsleiter Jan Philipp Reemtsma direkt an. Der solle "doch besser eine Ausstellung über die Toten und Verletzten machen, die der Tabak angerichtet hat, den er verkauft hat".

Darauf folgte die bislang größte Massendemonstration von Alt- und Neonazis in Deutschland seit Mitte der siebziger Jahre: 5 000 von ihnen marschierten am 1. März 1997 unter der Parole "Unsere Großväter sind keine Verbrecher" durch München. Angemeldet hatten den Aufmarsch die Neonazi-Partei NPD und deren Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN). Weitere Massenaufmärsche an den Orten, in denen die Ausstellung gezeigt wurde, sollten die Vormachtstellung der NPD in der deutschen Neonaziszene festigen. Dennoch hatten bürgerlich-konservative Politiker keinerlei Hemmungen, mit der extremen Rechten an einem Strang zu ziehen.

Neben Gauweiler hat sich dabei vor allem die CDU-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, verdient gemacht. Als die Ausstellung Anfang April 1997 von München nach Frankfurt am Main kam, war es Steinbach, die mit Teilen der örtlichen CDU die Hetze lostrat. Die Ausstellungseröffnung mußte unter starkem Polizeischutz stattfinden; rund 100 Neonazis versuchten zu stören.

Auch in Saarbrücken sorgte ein informelles Bündnis von CDU bis NPD für Bombenstimmung gegen die Ausstellung. Schon vor deren Eröffnung hatte Peter Müller, der Landesvorsitzende der CDU, Ministerpräsident Reinhard Klimmt (SPD) scharf angegriffen, weil der die Schirmherrschaft über die Ausstellung übernommen hatte. Wenige Tage nach der Ausstellungseröffnung marschierten am 20. Februar unter Führung von NPD und JN rund 350 Neonazis durch Saarbrücken. Parallel dazu lief eine von NPD und JN ebenso wie aus CDU-Kreisen gesteuerte Leser- und Drohbrief-Kampagne auf den Seiten der Lokalzeitungen. Und einen Tag vor dem Anschlag hatten zwei CDU-Politiker unter dem Titel "Unsere Väter waren keine Mörder" großformatige Zeitungsanzeigen geschaltet.

Tags darauf kommentierte ein Sprecher des LKA Saarbrücken den Anschlag mit den Worten: "Das waren Profis, denn es handelte sich hier um einen professionell gebauten Sprengsatz, der eine sehr heftige Explosion erzeugt hat." Die Täter hätten offenbar abgewartet, bis die Polizeistreifen, die die Ausstellung mehrmals stündlich patrouilliert hätten, abgezogen seien.

Rechte Brandanschläge und Bombenbasteleien haben im Saarland Tradition. Ende 1990 explodierte in Saarlouis während einer Veranstaltung zum Thema "Den Nationalsozialismus überwinden" eine Rohrbombe, mit der offensichtlich die Elektrik der Halle außer Betrieb gesetzt und für Panik unter den 800 Veranstaltungsteilnehmern gesorgt werden sollte. Im November des selben Jahres wurde nur durch Zufall unter der Außentreppe des PDS-Büros in Saarbrücken ein Sprengsatz entdeckt und rechtzeitig entschärft. Zwei Jahre später scheiterte ein rechter Anschlag auf das selbstverwaltete Zentrum Komm in Saarlouis, weil der Zünder defekt war und anstelle einer Explosion nur einen Brand auslöste. Zuletzt wurden bei einer Hausdurchsuchung im Juli 1997 bei Antonio Fanara, dem in Friedrichsthal-Bildstock ansässigen, mutmaßlichen Anführer der lokalen Neonaziszene, unter anderem eine Panzerfaust, Rohrbomben und Sprengstoff gefunden.

Nach Ansicht von AntifaschistInnen aus dem Saarland waren die Anschläge bis Mitte der neunziger Jahre vor allem dem Spektrum der Freiheitlichen Arbeiterpartei (FAP) zuzuordnen. Nach deren Verbot im Jahr 1995 habe sich ein Großteil der Kader in der NPD organisiert, wie Peter Strumpler, der jetzige Führer der Kameradschaft Saarlouis-Saarlautern, und der JN-Landesbeauftragte Ulrich Diehl.

Schon zu Beginn der siebziger Jahre - damals gegen die Ostverträge der sozialliberalen Regierung - haben militante Alt- und Neonazis beim Thema Revisionismus zu Sprengstoff und Brandflaschen gegriffen. Zwei der Protagonisten des Naziuntergrunds der siebziger Jahre, Manfred Roeder und Peter Naumann, sind auch jetzt wieder mit dabei.

Der heute 70 Jahre alte verurteilte Naziterrorist und NPD-Bundestagskandidat Manfred Roeder gehört seit Beginn der Ausstellung zu den Scharfmachern im Nazispektrum: Schon im Juni 1996 hatte er in Erfurt gemeinsam mit einigen Thüringer Neonazis versucht, die Ausstellung mit Farbbeuteln zu beschädigen. Im September 1997 führte Roeder in Marburg gemeinsam mit Kadern der Sauerländer Aktionsfront und Republikanern zwei vergleichsweise kleine Kundgebungen gegen die Ausstellung durch.

Auch Peter Naumann, ehemaliger stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungen Nationaldemokraten, agiert im Umfeld der NPD. Der Diplom-Chemiker aus Wiesbaden/ Frielendorf mit dem Spitznamen "Das Bombenhirn" hatte unter anderem Ende der siebziger Jahre mit der Sprengung eines Sendemastes versucht, die Ausstrahlung der Filmserie "Holocaust" zu verhindern. Bei den jüngsten NPD-Aufmärschen gegen die Ausstellung in Hannover Ende Dezember letzten Jahres und am 20. Februar in Saarbrücken trat Naumann als Redner der Abschlußkundgebungen auf.

Während Roeder und Naumann die Linie vorgeben, koordinieren die Hamburger Neonazi-Kader Thomas Wulff und Christian Worch den braun-schwarzen Gleichschritt auf den Straßen. Mit dem Parteienprivileg der NPD im Rücken, die bisher die meisten der insgesamt zehn Aufmärsche gegen die Ausstellung anmeldete, mobilisieren die beiden Kader aus der ehemaligen Kühnen-Struktur Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front vor allem im militanten Spektrum der "freien Nationalisten". Sie sorgen damit für dringend benötigte Gemeinschaftserlebnisse zur Rekrutierung des rechten Nachwuchses und für die "Normalisierung" rechtsextremer Auftritte im Bewußtsein von Medien und Bevölkerung. Mit der Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" gab Wulff zuletzt in Magdeburg bei einer NPD-Kundgebung, die sich gegen die doppelte Staatsbürgerschaft richten sollte, den Ton an. Rund 800 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet brüllten mit.

Wo Parteipolitiker eine klare Abgrenzung nach rechts vermissen ließen, so Reemtsma, "haben sich Extremisten zu Ausschreitungen ermuntert gefühlt". Und wo Kritik in verbale Nähe zur Gewaltbereitschaft gerate, zeige sich, "daß es nicht um kontroverse Bewertungen von Tatsachen geht, sondern um eine emotionelle Rebellion gegen die Tatsachen-Feststellung selbst". Nach Ansicht von Reemtsma wurden in der Kritik an der Ausstellung immer wieder "die Grenzen zum Rechtsradikalismus überschritten". Beim Adressaten CDU/CSU erntete der Historiker nur Schweigen. Die Ausnahme: Saar-CDU-Chef Müller. Er freute sich vor allem, daß die Anzeige seiner Parteifreunde erst einen Tag vor dem Bombenanschlag erschienen war und dem "wahnsinnigen Einzeltäter" bestimmt nicht als Ermutigung gedient habe. Als wenn es noch weiterer Ermutigung bedurft hätte.