Der Plural von Onna

"Looking for Fumiko" oder: Hatte Japan eine Frauenbewegung? Japanische Regisseurinnen auf der 7. "femme totale" in Dortmund

Über mangelndes internationales Interesse kann das asiatische Kino eigentlich nicht klagen. Das Forum der Berlinale hat schon immer asiatische, darunter auch japanische Filme gezeigt, und in den letzten Jahren hat auch das breite Publikum seine Begeisterung für den südostasiatischen Film entdeckt, die ihren vorläufigen Höhepunkt in dem Kinoerfolg "Hanabi" fand. Es waren allerdings immer Filme von Männern, die im Westen ein Bild von japanischer Kultur und Gesellschaft vermittelten.

Um dieses Defizit zu beheben, haben sich die Organisatorinnen des in Dortmund stattfindenden Frauenfilmfestivals "femme totale" auf die Suche nach den Regisseurinnen des japanischen Kinos gemacht. "Nach dem letzten Festival vor zwei Jahren haben wir gemerkt, daß wir doch sehr US-lastig sind, eigentlich gar nichts aus Afrika und Asien zeigen", sagt Bettina Schiele, Koordinatorin der Japan- Reihe bei der "femme totale". Und so begannen umfangreiche Recherchen, deren Ergebnisse am vergangenen Wochenende zu sehen waren.

Das Eintauchen in die japanische Kinoszene verlief nicht ohne Schwierigkeiten - was schon bei den Namen anfing. So galt eine Zeitlang Sanae Yamamoto als erste japanische Regisseurin, bis sich herausstellte, daß es sich um einen Mann handelt, um einen in den zwanziger Jahren bekannten Animationsfilmer. Mittlerweile kann als gesichert gelten, daß die 1904 geborene, 1975 verstorbene Tazuko Sakane, die zunächst als Assistentin von Kenji Mizoguchi arbeitete, mit dem 1936 produzierten "Hatsu Sugata" als erste Regisseurin in die Kinogeschichte Japans einging. Nach einem Dutzend Filmen bekam sie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings nur noch Jobs als Scriptgirl. Dennoch stellt Sakane eine Ausnahme dar; erst seit Mitte der neunziger Jahre gelang es Frauen, als Regisseurinnen das Kino Japans mitzuprägen.

"Hätte Madame Butterfly eine 8-mm-Kamera zur Hand gehabt, hätte sie nicht, in Kummer versunken, auf Pinkerton warten müssen." Dieser zunächst flapsig wirkende Komentar der in Deutschland lebenden japanischen Journalistin Fumiko Matsuyama, die gemeinsam mit Bettina Schiele die Reihe organisierte, verweist auf ein Grundproblem der japanischen Gesellschaft, die nicht nur wesentlich länger als westliche Gesellschaften feudal organisiert war (und sich erst seit den Siebzigern in rapidem Tempo verändert), sondern auch nur langsam von der Tradition Abschied nimmt, daß Frauen sich den Männern unterordnen müssen.

In ihrem 1993 entstandenen Dokumentarfilm "Looking for Fumiko" geht Nanako Kuriharas dem Ausbruch der Frauen aus dieser patriarchalen Tradition nach. Die Regisseurin hatte bereits seit einigen Jahren in New York gelebt, als sie Fumiko kennenlernte, die an der kurzen, aber intensiven Phase der japanischen Frauenbewegung in den frühen siebziger Jahren beteiligt war. Nach Fumikos Tod kehrte Kurihara nach Japan zurück, um mehr über die dortige Frauenbewegung zu erfahren, und recherchierte, was aus den damals beteiligten Frauen geworden ist. Für das deutsche Publikum ist dieser Dokumentarbeitrag in zweierlei Hinsicht interessant, vermittelt er doch zum einen einen Einblick in die hierzulande wenig bekannte Phase Anfang der siebziger Jahre, als sich in Japan zeitgleich mit anderen Ländern eine Frauenbewegung formierte, und zeigt zum anderen, wie unvollständig diese Phase dokumentiert ist.

Die Filmautorin beginnt ihre Suche in Fumikos Heimatstadt Sapporo. Dort hatten Frauen im Jahr 1972 ein Camp organisiert, das zu verschiedenen Frauenthemen Diskussionsforen einrichtete. Aber die Frauen konnten es sich im Camp auch einfach nur gutgehen lassen - nicht unwichtig in einer Gesellschaft, die Frauen keinen eigenen Wert, kein eigenes Leben zugesteht. Eine der damaligen Teilnehmerinnen erinnert sich, daß zwar keine "ernsthaften Diskussionen" geführt worden seien, aber über Masturbation habe man plötzlich sprechen können - was bis zu diesem Zeitpunkt nicht möglich schien. Schätzungen, wie viele Frauen sich in der Bewegung engagierten, schwanken zwischen 1 000 und mehreren 10 000 Frauen.

Eine von ihnen, die Kurihara als "japanische Gloria Steinem" bezeichnet, suchte sie auf. Die Frau, die aus der Bewegung gegen den Vietnam-Krieg kam, erinnert sich, daß die dort organisierten Männer Frauen als "Toiletten" bezeichneten, daß eine sexuell mißbrauchte Frau auch in solchen politischen Gruppen schutzlos blieb. Und so begannen Frauen mit dem Pamphlet "Wir sind nicht länger Toiletten", sich gegen die ihnen angetane Gewalt zu wehren. Eine der Veteraninnen betont: "Wir waren keine Bewegung gegen Männer, wir waren für uns."

Es galt, die hartnäckige Konvention aufzubrechen, daß Männer mit ihrer Firma "verheiratet" sind und Frauen mit ihren Kindern. Bis zu jenem Zeitpunkt, als die Frauenbewegung intervenierte, kannte die japanische Sprache keinen Plural des Wortes Onna (Frau). Die Frauenzeitschrift Onna Eros, die auch in ihren Hochzeiten lediglich eine Auflage von 10 000 erreichte, trug mit dazu bei, daß sich dies änderte. Eigentlich wollten die Frauen nur Werke von US-Feministinnen veröffentlichen, aber dazu war kein Verlag bereit und so machten sie sich selbst an die Arbeit.

Vieles, was die Frauen in dieser Dokumentation erzählen, erinnert an die Emanzipationskämpfe der Europäerinnen oder Amerikanerinnen. Aber Emiko, Mitbegründerin von Onna Eros, verweist auf die Unterschiede: Die Veränderung der Situation von Frauen betreffe die Männer in viel stärkerem Maße, als dies im Westen der Fall sei. In einer Gesellschaft, die, wie die japanische, die westlichen Vorstellungen von Individualismus zurückweist und in der alle viel stärker miteinander verbunden und voneinander abhängig sind, verändere die Emanzipation von Frauen die gesamte Gesellschaft.

Japan hat keine staatliche Filmförderung, und Stiftungen oder Sponsoren halten sich in wirtschaftlich schlechten Zeiten wie diesen auffällig zurück; zudem fördern sie ohnehin keine Independent-Produktionen. Insofern bietet die Zeit an einer der Filmschulen noch die besten Möglichkeiten. Die Studierenden - etwa 50 Prozent sind Frauen - können frei von ökonomischem Druck ihre Projekte realisieren und haben auf Studenten-Filmfestivals die Möglichkeit, ihre Arbeiten zu präsentieren. Andere Möglichkeiten ergeben sich in der allmählich entstehenden Independent-Szene, die mit extrem wenig Geld Filme produziert, allerdings zumeist keinen Verleih finden.

Die Kurzfilmerin Rie Matsubara, die ihren Experimentalfilm "A lid of me" in Dortmund präsentierte, betrachtet das Filmemachen eher als Selbstverwirklichung. Sie arbeitet als Illustratorin und finanziert so ihre Filmprojekte. Matsubara hofft, irgendwann einen längeren Film drehen zu können. Anders Kei Fujiwara, eine renommierte Theaterregisseurin, deren philosophischer Splatterfilm "Organ" in Dortmund gezeigt wurde. Fujiwara nutzt das Theater und sein Personal für ihren Film über die Gefangenschaft des Menschens in seinem Körper. "Für mich sind alle Philosophien über Leben und Tod, der Humanismus und unterschiedliche Ansichten über die Seele eng verflochten mit der Tatsache, daß unter einer dünnen Hautschicht Fleisch liegt. Unter diesem Aspekt ist das Thema Organverpflanzung für mich von größtem Interesse."

Aber die Erfolge einiger japanischer Regisseurinnen und die Freude darüber, ihre Filme jetzt auch in Deutschland sehen zu können, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß das japanische Kino nach wie vor eine Männerdomäne ist. Die japanische Filmmachervereinigung zählt 650 Mitglieder, davon sind lediglich 13 Frauen. Natürlich sind nicht alle Regisseurinnen organisiert. Sachi Hamano, Regisseurin von "In Search of a Lost Writer" schätzt die Zahl japanischer Regisseurinnen auf etwa 40. Die wenigsten erhalten allerdings die Chance, Spielfilme zu inszenieren, zumeist arbeiten die Regisseurinnen im Bereich des Dokumentarfilms und finanzieren sich über Fernsehaufträge.

Eine weitere Einnahmequelle bietet der Kulturfilm, das sind zumeist von Firmen in Auftrag gegebene Arbeiten zu spezifischen Themen, wie Gesundheitswesen, Heimatgeschichte oder Kabuki-Theater. Seit der 8-mm-Bewegung und erneut mit der Ausweitung des Videoschaffens sind viele Regisseurinnen zugleich im Experimentalfilmbereich aktiv.