»Eine Revolte des Kapitals«

Interview mit Rudolf Hickel, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bremen

Lafontaine ist weg - und mit ihm der kurze Winter des Keynesianismus in Deutschland?

Oskar Lafontaine stand zusammen mit seinen beiden Staatssekretären dafür, daß der Staat seine Instrumente, vor allem in der Steuerpolitik, einsetzen muß, um die binnenwirtschaftliche Nachfrage zu stärken und so durch steuerliche Erleichterungen für Gering- und Normalverdiener die Massenkaufkraft zu erhöhen. Dagegen ist unheimlich polemisiert, darüber ist gespottet worden. Daher muß man leider einen Zusammenhang herstellen: Der Rücktritt ist bewußt herbeigeführt, vielleicht sogar erzwungen worden. Lafontaines Abgang ist natürlich auch ein Ende dieser Wirtschaftspolitik. Das führt sicherlich dazu, daß sich die Politik in Bonn noch weiter an die Kapitalinteressen anpassen wird.

Und über Bonn hinaus?

Das hat natürlich auch Auswirkungen auf Euroland. Lafontaine hat eine koordinierte Beschäftigungspolitik in Euroland forciert - als Ergänzung bzw. Gegenposition zur Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Auch das ist vorbei. Ich bin als geübter Politökonom immer der Meinung, daß die realen Krisen Lösungen erzwingen. Wenn Lafontaines Politik von Schröder rückgängig, also Kohlpolitik light gemacht wird, werden irgendwann Korrekturen erforderlich, weil man damit die Arbeitslosigkeit nicht abbauen kann.

Im Moment sieht es anders aus. Selbst mit dem sehr moderaten Versuch einer Umverteilung von oben nach unten ist Lafontaine nicht durchgekommen.

Wir haben beim Steuergesetz gesehen, mit welchem Druck die Wirtschaft versucht, jedes Privileg, das sie hat, zu verteidigen. Das kann man nur als Revolte des Kapitals bezeichnen. Und alle, die angefangen haben, Reformpolitik zu betreiben, haben ein brutales Lehrstück erlebt: daß die Wirtschaft die Macht hat, so etwas in ihrem Sinne zu korrigieren.

Lassen sich gegen das Kapital nicht einmal kleinste Reformen durchsetzen?

Ich würde deswegen noch lange nicht kapitulieren. Es ist offensichtlich aber viel schwieriger, sich gegen Kapitalinteressen durchzusetzen - trotz eines Wahlsieges von Rot-Grün, der mit den Themen Arbeit, Umwelt, soziale Gerechtigkeit erzielt wurde. Jetzt kommt die Wirtschaft und sagt: Das Wahlvolk kann nicht beschließen, was es will. Was dem Kapital nicht paßt, wird eben revidiert.

Und was folgt für Sie als Anhänger einer keynesianischen Reformpolitik daraus?

Daß man wieder viel grundsätzlicher Kapitalismuskritik betreiben muß, aber - und da unterscheide ich mich von einer Radikalposition, die nur die Anatomie der Krise betreibt, aber keine neuen Wege aufzeigt -, daß man aus der Krise heraus noch schärfer deutlich macht, in welche Richtung die Politik der Reform zu gehen hat.

Oskar Lafontaine hat dabei kapituliert.

Lafontaine ist sicherlich auch ein Opfer der Intrigen geworden, die gegen ihn gesponnen wurden; er war zum Schluß doch sehr isoliert im Kabinett. Lafontaine ist zugleich ein sehr machterfüllter Mensch, er hat es seinen Gegnern immer etwas leicht gemacht, gegen ihn zu opponieren. Darüber hinaus ist die inhaltliche Position von Lafontaine - Stärkung der Binnennachfrage, beschäftigungspolitische Verantwortung der EZB-Geldpolitik, Zielzonen für die Wechselkurse -, die ich immer unterstützt habe, nicht nur in Deutschland, sondern auch in der EU praktisch gescheitert.

Lafontaine ist selbst von seinen Freunden, zum Beispiel dem französischen Finanzminister Dominique Strauss-Kahn, nicht so unterstützt worden, wie es notwendig gewesen wäre.

Die Rolle von Strauss-Kahn ist noch nicht endgültig geklärt. Man darf nicht vergessen, daß Lafontaine sich für Positionen stark gemacht hat, die von der französischen Regierung gerade im Maastricht-II-Prozeß vertreten wurden. Sogar Staatspräsident Jacques Chirac war der Ansicht, gegen die monetäre Macht bedürfe es einer fiskalischen Gegenmacht. Warum die französische Regierung dann diesen Rückzieher gemacht hat, ist mir noch nicht ersichtlich.

Vor wem ist die französische Regierung eingeknickt?

Vor der Übermacht der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik, die vertritt, Euroland und die einzelnen beteiligten Länder könnten nur bestehen, wenn sie sich ganz auf das Hegen und Pflegen des Kapitals einlassen. Da scheint ein schwerwiegender Kurswechsel zustande gekommen zu sein.