Kurs auf den Krieg

Mit Lafontaines Währungs- und Finanzkonzept scheitert der Versuch einer Zähmung der deutsch-europäischen Außenpolitik. Ein Kommentar

Lafontaine geht, der Krieg kommt. Während der Finanzminister seinen Rücktritt erklärt, schwört der Außenminister seine europäischen Amtskollegen auf Nato-Militärschläge gegen Jugoslawien ein - ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrates, das heißt unter Bruch des Völkerrechts. Und der sogenannte Verteidigungsminister gibt letzte Instruktionen an deutsche Panzer, die zum dritten Mal in diesem Jahrhundert Serbien um deutscher (oder deutsch-österreichischer) Interessen willen überfallen sollen.

Wer erinnerte sich da nicht an Lafontaines Spott während des Bosnien-Krieges 1995, "einige Helden" aus der SPD "plapperten mit dem Champagnerglas in der Hand" die Kriegsparolen der Kohlregierung nach? Er lehnte den Einsatz deutscher Tornados auf dem Balkan ab, sein klares Nein auf dem Mannheimer SPD-Parteitag im selben Jahr ermöglichte seinen Triumph über den designierten Vorsitzenden, der schon damals ungeniert für den Militarismus warb, den er heute als Regierungsmitglied praktiziert. In der Realpolitik steckte Lafontaine freilich zurück, suchte den Konsens mit dem rechten Flügel - um gleichzeitig geräuschlos, auf dem unverdächtigen Feld der Fiskal- und Finanzpolitik, die ökonomische Basis dieser aggressiven Politik zu zerstören.

Daß bei tektonischen Kräfteverschiebungen ein kleiner Riß in der Steuerpolitik einen Umbruch der ganzen Gesellschaftsformation zur Folge haben kann, ist nichts Ungewöhnliches. Das Ende der goldenen zwanziger Jahre und der Übergang zu den präfaschistischen Präsidialkabinetten wurde eingeleitet mit einem fiskalischen Zerwürfnis der Mitte-links-Regierung - die SPD wollte die Steuererhöhungen der Bürgerlichen nicht mittragen, die Koalition platzte. Und wie jetzt die Große Steuerreform und der verantwortliche Minister am Widerstand der Industrieverbände gescheitert ist, so scheiterte die ähnlich epochal gedachte "Reichsfinanzreform" des Kanzlers von Bülow 1909/10 - und damit der Versuch einer ökonomischen Stabilisierung des Wilhelminismus ohne Expansion. Für Bülow kam Bethmann-Hollweg - ein Verbündeter der Obersten Heeresleitung, der Schlieffen und Ludendorff.

Als Credo von Lafontaines Geld- und Fiskalpolitik wird in der Regel die soziale Gerechtigkeit, der Ausgleich zwischen arm und reich gesehen. Dies ist eine Reduktion, werden doch so die außenpolitischen Implikationen des "Modells Lafontaine" übersehen: die Schaffung eines einheitlichen EU-Wirtschaftsraumes, der die Widersprüche der alten Nationalökonomien auf dem Kontinent überwindet und die Konkurrenz mit den anderen Triadenmächten USA und Japan zumindest nicht verschärft. Ob ein solcher supranationaler Kapitalismus ohne imperialistische Züge möglich ist, mag man mit Marx, Lenin und Hilferding bezweifeln. Schon der ernsthafte Versuch verdient aber in einer Zeit, in der selbst Clintons Wirtschaftsberater Martin Feldstein vor transatlantischen Kriegen warnt, Respekt und nähere Prüfung.

Lafontaine wollte das US-Wirtschaftswunder in Europa wiederholen: Da die EU-Staaten, ganz anders als Deutschland und vergleichbar den USA,

90 Prozent ihres Handels auf ihrem Binnenmarkt abwickelten und nur zehn Prozent (BRD: 22 Prozent) auf den Weltmarkt exportierten und dieser Weltmarkt ohnedies in einer Kontraktionsphase begriffen sei, sei ein nachfrageorientierter Aufschwung ebenso wünschenswert wie möglich. Allerdings müsse man dazu, ähnlich wie die Federal Reserve und im krassen Widerspruch zur Bundesbank, eine expansive Geldpolitik betreiben. Also runter mit den Zinsen, dadurch Bereitstellung von billigem Kreditgeld für Neuinvestitionen und Massenkonsum, Schluß mit der Drei-Prozent-Orthodoxie bei den Maastrichtkriterien.

Lafontaine kritisierte, daß Deutschland "bei hoher Preisstabilität mit einer staatlich unterstützten Senkung der Kosten real abzuwerten versucht und die Partner damit in die Deflation treibt". Diese "deutsch-nationale Angebotspolitik" (Lafontaine) habe der Bundesrepublik zwar gewaltige Exportüberschüsse beschert, die übrigen EU-Staaten aber in einen Dumping-Wettlauf getrieben und niederkonkurriert. Statt Weltmarkt- forderte der Finanzminister Europa-Orientierung, statt der Inflation solle eher die Deflation bekämpft werden.

Nach dem Sturz Lafontaines wird das deutsche Kapital versuchen, Hartwährungsfetischismus und Angebotspolitik auch der übrigen EU zu oktroyieren. Gelingt dies - etwa indem sich in der Europäischen Zentralbank die Hochzinsler Tietmeyer/Duisenberg durchsetzen und nicht der französische Nationalbankchef Trichet -, so wäre eine gefährliche Destabilisierung der Weltwirtschaft die Folge. Nach dem Kollaps der Emerging Markets in Fernost, Rußland und Südamerika werden die Exportüberschüsse des Weltmarktes nur noch durch die USA aufgesaugt. Dafür bezahlen die USA mit steigendem Handelsdefizit und einer wachsenden Überschuldung von Industrie und Haushalten - man kauft sich koreanische Computer und japanische Autos auf Pump. Dieses deficit spending ist jedoch nur möglich, weil ständig Auslandskapital in die USA einströmt. Das System muß kollabieren, wenn das internationale Kapital von Amerika nach Europa umgelenkt wird - weil ein Tietmeyer-gehärteter Euro den Anlegern attraktiver erscheint als der Dollar -, und wenn gleichzeitig die EU sich weigert, einen kaufkräftigen Binnenmarkt aufzubauen, der ähnlich dem der USA Weltmarktüberschüsse aufnehmen kann.

Wie zielstrebig sich das deutsche Kapital auf die Konfrontation mit den USA vorbereitet, zeigt schließlich Lafontaines letzter Kampf: Er mußte gehen, als er die schwarzen Kassen der Großkonzerne steuerlich anzapfen wollte - allein die Allianz, neben der Deutschen Bank das zweite Flaggschiff des deutschen Finanzkapitals, hat bislang 25 Milliarden Mark am Fiskus vorbei gebunkert. Was als "Risikorückstellung für Schadensfälle" deklariert wird, ist ein Reptilienfonds, mit dem die Münchner Versicherer in den letzten Jahren das Gros der europäischen Konkurrenz aufgekauft haben. Eine Krise der USA würde zwar die Weltkonjunktur abwürgen - für diese Reptilien wäre sie aber ein Glücksfall, denn sie brächte die Eröffnung des nordamerikanischenn Schnäppchenmarkts. Das läßt man sich von einem Minister nicht vermasseln.