Lafontaines kurzer Abschied

Der SPD-Chef und Finanzminister ist zurückgetreten, weil mit Schröder Politik nach seinem Gusto nicht zu machen ist - weder inhaltlich noch stilistisch.

So müssen Könige ausgesehen haben. Keine großen Despoten, keine Henry the Eighth und keine Louis Quatorze, sondern aufgeklärte Duodezfürsten des späten achtzehnten Jahrhunderts. Genußsüchtig und prinzipientreu, geliebt von den eigenen Vasallen und verhaßt bei Hof, brachten sie den überzeugten Aufklärer mit dem praktizierenden Absolutisten in eins, Modernisierer im Namen der Restauration und Konservative im Namen des Fortschritts, Machtmenschen, welche die Macht wegwerfen wie eine faulig gewordene Frucht. Schier berstend vor Energie und doch dünnhäutig und mimosenhaft, hat man Oskar Lafontaine in manchen Momenten - und das waren nicht seine schlechtesten - angesehen, wie anstrengend es für ihn war, all diese scheinbaren Widersprüche in sich zu vereinen.

Lafontaine konnte und wollte seinen Parteigängern keine Eindeutigkeit bieten. Für die Rechten in der SPD war er ein Mann der Linken, für die Linken ein Mann der Partei. Die Skeptiker sahen in ihm das Janusgesicht des Gerhard Schröder; dessen Anhänger ihren schärfsten innerparteilichen Konkurrenten. Lafontaine konnte gerade deswegen überzeugen, weil er sich jeder Zuordnung entzog - und das ist, bedenkt man das ausgeprägte Lagerdenken innerhalb der Sozialdemokratischen Partei, in jener SPD, die man noch vor Wochenfrist ohne Zögern seine sozialdemokratische Partei genannt hätte - mehr als überraschend. 93 Prozent der Stimmen erhielt Lafontaine Ende 1997 beim SPD-Parteitag in Hannover; Gerhard Schröder, der nur für einen Vorstandsposten kandidierte, schaffte keine 75 - und das galt schon als Achtungserfolg.

Mit der fulminanten Rede des saarländischen Ministerpräsidenten auf dem Mannheimer Parteitag der SPD, längst in die Parteihistorie eingegangen, hatte zwei Jahre vorher die kurze Ära Lafontaine der SPD begonnen. "Oskar", wie er von da an genannt werden sollte, überzeugte, indem er aus dem scheinbar Widersprüchlichen eine Vision formte und der SPD damit den Ausweg aus der programmatischen Krise wies. Geendet hat die Ära Lafontaine nicht erst jetzt, sondern schon im März vergangenen Jahres, als Gerhard Schröder mit dem Votum der niedersächsischen Wähler zum Kanzlerkandidaten der SPD gekürt wurde. Seitdem hat die SPD keine programmatische Krise mehr, weil sie, allen Beteuerungen ihres Kanzlers zum Trotz, kein Programm mehr hat. Dafür hat sie nun die Macht.

Das war Lafontaine denn doch zu wenig. Nicht, daß er keinen Instinkt für die Macht hätte - das hat er oft genug bewiesen. Nicht, daß er sie nicht lieben würde - durchaus auch um ihrer selbst willen. Seine Regierungszeit als saarländischer Ministerpräsident brachte nicht gerade die Reformen, die man vom angeblichen linken Visionär der SPD erwartet hätte. Doch das Bonner Regierungsamt sollte seine Laufbahn krönen, der Superminister Lafontaine sollte Spuren hinterlassen. Nur mit einem um die Abteilung "wirtschaftspolitische Grundsatzfragen" angereicherten Ministerium meinte der SPD-Chef den Staat machen zu können, der ihm vorschwebte.

Doch er mußte erfahren, daß das ganze Ministerium samt Parteivorsitz nichts taugt, wenn einer wie Schröder per Richtlinienkompetenz regiert. Wenn er ihn, ohne seinen Namen zu nennen, vor versammelter Kabinettsrunde als inkompetent anblafft und mit dem angeblichen Chaos-Patron Jürgen Trittin in einen Topf schmeißt. Wenn so etwas dann auch noch durch gezielte Indiskretion in die Springer-Presse gelangt.

Wer es war aus der Runde der Minister, der seine Notizen Bild und Welt zur Verfügung gestellt hat, darüber wird seitdem gerätselt. Der Hauptverdächtige ist sicherlich Bodo Hombach, der Kanzleramtsminister, Schröders enger persönlicher Vertrauter und wie er ein Mann der Wirtschaft. Der als intrigant bekannte Hombach machte sich gar nicht erst die Mühe, die zahlreichen Spekulationen um seine Rolle beim Lafontaine-Abschuß zu dementieren - es hätte ihm ohnehin keiner geglaubt. Doch der massige Westfale war sicherlich nicht der einzige, der es auf den Finanzminister abgesehen hatte. Daß Rudolf Scharping, der Vorgänger im Amt des Parteivorsitzenden, die Demütigung von Mannheim, wo Lafontaine ihn mit einer Kampfkandidatur vernichtend schlug, noch längst nicht verwunden hat, ist ein offenes Geheimnis. Noch in der vergangenen Woche war der Streit zwischen den beiden Südwestdeutschen wieder aufgeflammt, als es um die Finanzierung des Kosovo-Einsatzes der Bundeswehr ging.

Doch das sind Kinkerlitzchen, gemessen an den Summen, die zwischen Lafontaine und Schröder im Raum standen. Spätestens im kommenden Herbst, meinen Insider der SPD-Fraktion, hätte es zwischen den beiden Spitzenpolitikern sowieso "den ganz großen Krach" gegeben - dann nämlich, wenn es um die umstrittene Unternehmenssteuerreform geht.

In Kohls Regierungszeit waren die Unternehmensgewinne im Verhältnis zu den Reallöhnen überproportional gestiegen: Während die Nettoreallöhne von 1980 bis 1994 um nur 12,9 zunahmen, stiegen die Unternehmensgewinne um rund 156 Prozent. Trotzdem ging der Anteil der Unternehmenssteuern am Gesamtsteueraufkommen allein von 1991 bis 1995 um 41 Prozent zurück. Seit Lafontaines Wahl zum Parteivorsitzenden verfolgten die Sozialdemokraten daher verstärkt das Ziel einer Mindestbesteuerung von Unternehmen.

Noch auf dem Parteitag in Hannover im Dezember 1997 brachte der Parteivorstand, dessen Mitglied auch Gerhard Schröder war, einen europapolitischen Antrag ein, in dem es heißt: "Außerdem muß endlich der Wettlauf um niedrige Unternehmenssteuern zwischen den EU-Mitgliedstaaten beendet werden. Wer dies verkennt, höhlt die Steuergrundlage der Mitgliedstaaten aus. Wir brauchen gemeinsame Mindestregelungen insbesondere bei den Unternehmenssteuern und bei der Besteuerung von Kapitalerträgen." In seinem zur gleichen Zeit erschienenen Positionspapier "Innovationen für Deutschland" schreibt Schröder: "Die EU-Kommission fordert innerhalb der EU und darüber hinaus auch für die gesamte OECD eine Steuerharmonisierung mit der Einführung effektiver Mindeststeuern im Bereich der Unternehmens- und Kapitalertragssteuern. Diese Initiative unterstützen wir."

Kein Jahr später war im rot-grünen Koalitionsvertrag aus der Forderung nach einer Mindestbesteuerung die nach einer Höchstbesteuerung geworden: "Ziel ist", hieß es nun, "ein Unternehmenssteuerrecht, das alle Unternehmenseinkünfte mit höchstens 35 Prozent besteuert und möglichst im Jahr 2000 in Kraft tritt."

Derzeit werden von den Unternehmen erwirtschaftete Gewinne mit 45 Prozent besteuert. Darüber, daß dieser Prozentsatz zum Jahresende auf 43 gesenkt werden soll, waren sich Schröder und Lafontaine einig. Doch was kommt danach? Höchstens 35 Prozent, wie es im Koalitionsvertrag steht, sagt der parteilose Wirtschaftsminister Werner Müller, ein Schröder-Mann. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wolfgang Clement, der Schröder ebenfalls sehr nahe steht, hat gar die Zahl von 28 Prozent ins Spiel gebracht.

Gegen solche Bestrebungen wehrte sich Lafontaine von Anfang an. Zur Finanzierung des Karlsruher Familienurteils wäre er gern auch hinter den Vorgaben des Koalitionsvertrags zurückgeblieben. So kam der große Krach also schon in der vergangenen Woche, als es um die Feinabstimmung für die Einkommenssteuerreform und Ökosteuer ging, die in dieser Woche verabschiedet werden sollen. "Eine Politik gegen die Wirtschaft" sei mit ihm nicht zu machen, wetterte Schröder und drohte zwar nicht, wie Welt und Bild das interpretierten, mit seinem Rücktritt; wohl aber wieder einmal mit der Richtlinienkompetenz. Und da kam für Lafontaine der Punkt, wo er nicht mehr mitspielte.

Damit hat sich nicht nur der neben Schröder mächtigste Mann der deutschen Regierung - wie ihn die Financial Times noch zwei Tage vor seinem Rücktritt nannte -, sondern auch der einzige wirtschafts- und sozialpolitische Reformist in der Regierungsspitze verabschiedet. Der designierte Nachfolger Hans Eichel ist ein Technokrat, den Schröder an der Leine führen wird, wie er jetzt schon Müller an der Leine führt. Auch die Zukunft einer SPD unter Schröder ist mehr als ungewiß. Bis vor kurzem schaffte es der jetzige Bundeskanzler noch nicht einmal, beim ersten Anlauf in den 36köpfigen Parteivorstand gewählt zu werden, so beliebt ist er in der SPD. Wenn sich die Genossen in einem Monat treffen, um Schröder zum Vorsitzenden zu wählen, dann kann er sich auf ein Donnerwetter gefaßt machen.

Und Herr Lafontaine? In einer der letzten Pressemitteilung aus dem von ihm geführten Ministerium hieß es am Mittwoch vergangener Woche, der Chef werde am 23. März nach Aix-en-Provence reisen. Das wird er nun wohl nicht mehr tun. Denn dort trifft sich an diesem Tag der deutsch-französische Finanz- und Wirtschaftsrat mit den Zentralbankpräsidenten beider Länder, um über die monetäre Entwicklung im Euro-Gebiet und den europäischen Beschäftigungspakt zu konferieren. Darauf wird Lafontaine keine Lust mehr haben. Aber Lourmarin ist nur dreißig Kilometer von Aix. Und dort gibt es ein nettes kleines Restaurant, wo zum Kaninchen auf Knoblauchmousse ein ganz ausgezeichneter C(tm)tes du Lubéron ausgeschenkt wird.