Von Nutzen und Netzen

Auf dem Amsterdamer Kongreß "Next 5 Minutes 3" wurde lieber an alten Radios als an einer Medientheorie gebastelt

Jahre, nachdem die Linke entdeckt hat, daß es ein globales Datennetz namens Internet gibt, geht es noch immer um die Frage, was tun im Medienparadies, und mit welchen Inhalten soll man es füllen? An Gelegenheiten, dies zu diskutieren, fehlte es vergangenes Wochenende in Amsterdam, wo zum dritten Mal der Medienkongreß "Next 5 Minutes" (N5M3) stattfand, zumindest nicht.

Vom 12. bis zum 14. März trafen sich Computerfreaks, Medienaktivisten, Künstler, Radio- und VideomacherInnen, denen wohl vor allem eins gemeinsam ist: Sie haben "ihr" Projekt - im Internet, in der Videogruppe oder im Lokalradio - und nutzen den Kongreß als Forum, um die eigenen Kampagnen vorzustellen.

Daß N5M3 jedoch mehr als ein reiner Medienkongreß sein will, wird an Veranstaltungen deutlich, die sich im Grenzgebiet zwischen Kunst, Computertechnik und linker Politik bewegen - die Ethik des "Hacktivism", die Diskrepanz zwischen Aktivismus und "Net.Aktivism" sollen erörtert werden. Oder auch: "Was ist radikale Software?" Im Unterschied zu Computerkongressen wie HIP (Hacking in Progress) oder dem Kongreß des Chaos Computer Clubs versucht man in Amsterdam, die Thematik nicht nur aus technischer Perspektive zu erörtern.

Bereits bei der Opening Party im Squat Entrepodok erhielt eines der Kongreßmotti - "lowtech, slowtech, notech" - unvermittelt Aktualität, als unter der Last des Piratensenders "Patapoe" wiederholt die Stromversorgung zusammenbrach. Was bei den Partygästen für Gelächter sorgte und wahrscheinlich auf schlampig verlegte Stromleitungen zurückzuführen ist, gehört in anderen Ländern zur Normalität.

"How low can you go" spielt auf die Idee des Low-Techs an und versteht sich als Kritik an einem in den westlichen Industriestaaten geprägten Begriff von High-Tech, der die reale Situation von großen Teilen der Weltbevölkerung komplett ausblendet; die Rede vom "globalen" Datennetz, so der Ansatz vieler auf dem Kongreß vertretenen Gruppierungen, nährt die Illusion von der Verfügbarkeit eines Systems, das tatsächlich nur von einem Bruchteil der Weltbevölkerung genutzt werden kann.

Zwar ist diese Erkenntnis ebenso alt wie das Netz selbst, dennoch ist sie bisher weitgehend folgenlos geblieben. Für die TeilnehmerInnen des Kongresses steht daher die Notwendigkeit konkreter Interventionen außer Frage; die Entwicklung von Alternativtechnologien hatte konsequenterweise einen hohen Stellenwert: Im Veranstaltungsort "Paradiso" wurden Radiosender zusammengelötet, mit veralteten Computermodellen Musik gemacht - wie sich das anhört, demonstrierte u.a die Rockband 386 DX aus Moskau. Oder auch dies: Scherenschnitte wurden als Basis- oder Urmedium gepriesen.

Zu den vielversprechenden Veranstaltungen zählte die unter dem Titel "Art of Campaigning" von Geert Lovink moderierte Diskussion mit Gruppen wie Paper Tiger TV aus den USA, Chance 2000 oder auch die Clean Clothes Campaign. Allerdings bestimmten auch hier die unmittelbaren Alltagserfahrungen eine Diskussion, die nur selten über die bloße Projektbeschreibung hinauskam. Statt sich in einen Mediendiskurs einzuklinken, wurde Werbung fürs eigene Projekt betrieben. Kein Wunder, viele Gruppen blicken auf jahrelange taktische Medienarbeit zurück und begriffen den Kongreß als Plattform, um sich multimedial selbst zu präsentieren.

"Wer macht Medien für wen?" wurde zu einer zentralen Problemstellung des Kongresses. Ein Aktivist der Clean Clothes Campaign, die sich für korrekte Arbeitsbedingungen in den "Billiglohnländern" einsetzt, stellt die Frage, wo denn die ArbeiterInnen aus den Fabriken in dieser Kampagne auftauchen.

Viele Veranstaltungen stehen durch die offene Struktur zusammenhanglos nebeneinander, und lediglich Gruppen wie "June 18" schaffen es, über den eigenen Horizont hinauszublicken, und zeigen Möglichkeiten einer Integration zwischen bisher lediglich global agierenden Gruppen auf.

Auch mehrere Internet-Radios hatten sich auf den Weg nach Amsterdam gemacht und schnitten einen wirren Mix aus Musik, Interviews und Diskussionen zusammen. Der Piratensender Vrij Keyser oder Radio 100 sendeten live in den "Realraum" Amsterdam, und nach einigen technischen Problemen lief auch der im "Paradiso" installierte Piratensender wieder.