Deutschland sagt danke

Schlingensiefs "Berliner Republik" in der Berliner Volksbühne. Oder: Bundes-Christoph als der letzte Idealist zwischen Windhuk und Wedding

Das Beste hängt im Schaukasten vor der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz: Oskar Lafontaine schüttelt dem Schauspieler Bernhard Schütz die Hand, die Schauspielerin Irm Hermann lächelt aus der neuen Mitte. Der Hintergrund sieht nach Volksbühnen-Innenraum aus. Und Bernhard Schütz wie Gerhard Schröder, Irm Hermann wie Doris Köpf. Nur Oskar Lafontaine sieht aus wie Oskar Lafontaine. Aber ist er es auch wirklich? Wer sind die anderen? Und warum? Das Foto ist gestochen scharf, farbig und wirkt nicht retuschiert.

Kein Wunder, denn es ist echt und wurde Anfang März aufgenommen, als der Minister zum Wahlkampf-Start der Berliner SPD in die Hauptstadt geeilt war. Tja, Rücktritt hin oder her, so fällt ein bißchen vom echten Glamour der vielbeschworenen Berliner Republik auf "Die Berliner Republik oder Der Ring in Afrika", eine Boulevardkomödie, geschrieben, inszeniert und darstellerisch ergänzt von Christoph Schlingensief. Der wollte im Herbst selbst Bundeskanzler werden, fuhr dann aber, als es nicht klappte, nach Afrika. Die vom Leben furchtbar enttäuschte Leni Riefenstahl hat das einst nicht anders gemacht, nur daß sie nicht Bundeskanzler werden wollte, sondern sauber. Was sie mit Schlingensief erst recht verbindet, der auch immer zum Reinemachen trompetet, selbst wenn die Putzkolonne gerade durchgezogen ist.

Ergo taucht Riefenstahl in Schlingensiefs Posse als besessene Filmerin in der Gestalt von Doris, des Bundeskanzlers vierter Gattin, auf, faselt von ihrem Schnittcomputer und ähnlichem mehr. Überhaupt sind alle da, die immer da waren, wenn im letzten halben Jahr jemand da sein sollte: Gerhard Schröder (Bernhard Schütz), Joseph Fischer (Werner Brecht), Bodo Hombach (Michael Klobe), Michael Naumann (Joachim Tomaschewsky), Martin Walser (Winfried Wagner). Wem die Bunte zu bunt und Das goldene Blatt zu glitschig ist, greift als Alternative gern zum Society-Schlingensief. Der hat schon Adolf Hitler und Michael Kühnen, Rosa Luxemburg und Helmut Kohl, Rudi Dutschke und Bertolt Brecht durch den Fleischwolf seiner Bigger-than-life-Camouflagen gedreht und, ganz antiautoritärer Cordhosen-Pädagoge, für den deutschen Stammtisch aufbereitet.

Schlingensief ist so etwas wie die Bild-Zeitung für den markenbewußten Kultur-User. Jetzt wird er zum Namibia-Attaché, um dort unser aller erstarrte Nationalseele zu kurieren. So viel Sorge um die Volksgesundheit schmückte nicht einmal den CDU-Scharfmacher Peter Hintze.

In der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwest-Afrika erhoben sich 1903 die Hereros und Namas gegen ihre Besatzer, die in Lagern die Einheimischen vernichteten oder als billige Arbeitskräfte ausbeuteten. Diese Geschichte bildet den nebulösen Hintergrund, vor dem sich Schlingensiefs "Die Berliner Republik" abspielt.

Zwei Millionen Afrikaner stehen vor der Hauptstadt. Trotz des Machtwechsels herrscht ein Entscheidungsnotstand, was auch daran liegt, daß sich Gerhard und Doris nicht leiden können - er nennt sie vor Parteifreunden "Leni" und malträtiert ihre trainierten Oberarme, sie will ihn nicht küssen und auch kein schwarzes Kind mit ihm machen. Schröder beabsichtigt, Richard Wagners "Ring des Nibelungen" in der Wüste aufführen. Vielleicht beginnt und endet "Die Berliner Republik" deshalb mit dem mystischen "Rheingold"-Vorspiel.

Als Doris den Naumann erschlägt, gibt es den Trauermarsch aus der "Götterdämmerung" und bei Walsers Auftritt mit einer Plastik-Tüte inklusive Porno-Videos und Drogen den Riesenmord. Mit voller Wagner-Hose ist leicht stinken, wie schon die Nazi-Propaganda effektvoll demonstrierte. Schlingensiefs "Theater, das aus der Zukunft kommt" findet in der künftigen Berliner Schröder-Wohnung statt, von Bühnenbildnerin Anna Viebrock als zweigeschossiges Neubau-Provisorium mit Gipskarton-Wänden und schlecht schließenden Türen entworfen. Kein Wunder, daß Gerhard gerne dagegen tritt. Der Bundeskanzler ist cholerisch, geil und hat Angst, weil er keine Angst mehr hat.

So bringt Schlingensief eine sehr menschliche Note in die sehr unmenschliche Politik, und es steht zu befürchten, daß er es, trotz aller Faxen, im Grunde wieder ernst meint. Doris ruft meistens "Hilfe, Polizei!" Einmal wird sie gegenüber der Haushälterin Freia deutlich: "Gehen Sie in den Keller und heizen Sie den Führerbunker!" Schröder bietet einem Mann im Rollstuhl, der Schmidt sowie Schäuble genannt wird, Whisky an, und überschüttet die reglose Gestalt dann damit. Eine Afrikanerin wird als "Schnakela Patiwarongo aus Namibia vom Goethe-Institut" vorgestellt, darf nichts sagen und muß wie die anderen Schwarzen vorführen, wie der Neger singt und lacht. Bunt gekleidet haben die lustigen Afrikaner das Schrödersche Domizil besetzt und trommeln und tanzen. Das ist sehr schön, und Schlingensief darf mittun.

Das neue Bundeskanzleramt macht den Eindruck "eines zu Stein gewordenen Unglücks", fachsimpelt Doris, die im wahren Leben "Deutschland sagt danke" antworten soll, wenn ihr jemand Feuer gibt. Freia schwenkt SPD-Fähnchen und ißt pausenlos Bananen, bis der Regisseur sie wegschickt, weil er für sie keine Aufgabe mehr weiß. Schröder schreit "Mörder!" ins Publikum. Das Publikum schweigt. Schröder wischt die Treppe auf. Dabei schweigt jetzt er. Schlingensief attestiert ihm ein "trojanisches Endzeitlächeln", und "das haben wir auch alle". Der Schauspieler Bernhard Schütz jedenfalls hat es und führt es überzeugend vor. Bloß sitzt bei ihm der Schlips nicht so eng wie beim bekannten Original, dafür ist der dunkelrot.

Knallrot hingegen ist das Abendkleid von Irm Hermann als Doris, was sehr sinnig deutsche Vergangenheit, Gegenwart, und wer weiß, was noch alles, symbolisiert. Das hat sich Schlingensief, der Schelm, fein ausgedacht, auch wenn er ansonsten eher auf Gefühle setzt, große Gefühle natürlich: "Kotzt dich die emotionale Lügenmaschine hier an? Mein Gott, ich weiß genau, wie du fühlst." Aber Gott ist tot, was sollte der noch empfinden? Das ist Schlingensiefs Problem: So schnell er auch die neuesten Trends verfolgt, er kommt immer einen Schritt zu spät. Im Angebot hat er dabei viel "wir", wenig "ich". So trifft er alle und niemand, meist daneben und manchmal auch nichts: Ein cleverer Universal- Dilettant, der so gerne Herbert Achternbusch wäre und doch nur ein feuilletonistisch geadelter Michael Graeter bleibt.

Eine Stunde lang dreht sich "Die Berliner Republik" hektisch im Kreis. Rauf auf die Treppe, runter vom Balkon. Mal mit Wagner, dann mit Geschrei. Schließlich steht Schröder im gläsernen Fahrstuhl, läßt eine moralinwirre Gardinenpredigt ab und zieht sich, was längst zu befürchten war, vollständig aus. Dann fährt er, breit grinsend, in den Keller und ward nicht mehr gesehen.

In der zweiten Stunde zeigt Schlingensief vor allem Filme, die er gerade in Namibia gedreht hat. Er fragt eine Namibierin auf deutsch, ob sie Wagner kennt, und lächelt dann mit ihr ins Bild. Das Bild wackelt, aber Schlingensief verharrt ungerührt: Dabei sein ist alles. Ansonsten spielt er sich selbst, gibt den Schauspielern Anweisungen, setzt sich auf's Sofa, plärrt und kräht. So erweist sich der Bundes-Christoph als der letzte Idealist zwischen Windhuk und Wedding.Wer sonst nähme Politiker so ernst und Politkergattinnen so wichtig? Um den Preis des Mitmachens ist Schlingensief zu jeder Hommage bereit. Immer im Schatten der Meinungsmacher, um dort, kalkuliert aufmüpfig, brav selbst Meinungen machen zu dürfen.

Am Anfang und am Schluß fassen sich die Darsteller an den Händen, schauen ins Publikum und haben einander ganz parteitag-lieb. Oder kirchentaglieb. Oder naturvolk-lieb. Mit Schlingensief in die Wüste. Mit Schröder zurück. Deutschland sagt danke.

"Die Berliner Republik oder Der Ring in Afrika". B/R: Christoph Schlingensief. Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin. Vorstellungen am 31. März, 1.,11., 12., 16., 17. und 30. April