Ostalgie ist weniger die Bildung einer Ost-Identität, als vielmehr die Bildung einer Opfer-Identität

Ostalgie führt zu Rassismus

Die Opfermasche der Ostler ist nicht nur wehleidig, sondern auch gefährlich.
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Das Gebiet der ehemaligen DDR als Kolonie. Die Wessis als böse Kolonisierer, als fremde Besatzer, als Eindringlinge, Störenfriede, Imperialisten, Okkupationsoffiziere. Die Ossis als Opfer fremder Mächte, ausgebeutet, erniedrigt und verkauft.

Bekanntlich sehen das einige so. Wir anderen belächeln das vielleicht oder tun diese Sicht der Lage leichtfertig als verrückt, romantisch oder vernagelt ab. Doch das Gedankenspiel, das mit dieser Opfermasche ins Rollen gebracht wird, darf keineswegs unterschätzt werden. In letzter Konsequenz ist es faschistoid. Es schweißt Menschen zur Opfergemeinschaft zusammen, die nichts verbindet als ihre nationale und historisch-kulturelle Identität.

Ein Beispiel für die gefährliche Dynamik dieses Diskurses: Der telegraph spricht von "Kolonisierung". Der Vorsitzende des Kuratoriums ostdeutscher Verbände, Wolfgang Richter, nennt es schon "Apartheid". Und der PDS-Bundestagsabgeordnete Rolf Kutzmutz äußerte schließlich über einen CSU-Politiker, der Subventionen für Ostdeutschland kürzen wollte: "Er stigmatisiert die Ostdeutschen in einer Weise, wie es andere bayerische Politiker vor einem dreiviertel Jahrhundert mit den Juden begannen." Die Wende als Fast-Holocaust. Das ist der Höhepunkt einer Geschichtsklitterung, die nur eines zum Ziel hat: Die Ostler kollektiv als unschuldige Opfer zu präsentieren und alles Böse der Welt als von außen kommend zu projizieren. Das unterstützt Haß gegen Fremde, Fremdenhaß.

Der Westen habe die DDR "erobert", ist das Leitmotto dieser Lügengeschichte. Natürlich hat "der Westen" alles dafür getan, der DDR das Licht auszudrehen. Das ändert nichts daran, daß die große Mehrheit der DDR-Bevölkerung ihren Staat und das dazugehörige System satt hatte und endlich Kapitalismus, Kohl, Videorecorder und schließlich auch die Wiedervereinigung haben wollte. Wer das leugnet, und das tun zwangsläufig alle, die von Eroberung sprechen, muß dafür Gründe haben oder völlig vernebelt sein. Im Kolonisierungsdiskurs wird gerne damit argumentiert, daß es gewaltige Kapitalströme aus dem Osten in den Westen gebe, also daß Westunternehmen im Osten Gewinne einfahren. Woran liegt das denn? Ganz einfach daran, daß die Ossis, die so geil auf den Kapitalismus waren, nicht die Kohle hatten, ihn selbst zu machen. Jedenfalls sind die wenigsten über die Würstchenbude auf dem Autobahnparkplatz hinausgekommen. Und wenn doch, dann schleppen sie heute ihr Sonnenstudio oder irgendein anderes unprofitables Kleinstunternehmen wie einen Klotz am Bein durchs Leben und fordern - mit eifrigster Unterstützung der PDS - von den Bonner Fremdherrschern mehr Unterstützung für den Mittelstand. Kapitalbesitzer, die nun einmal - sorry - ganz grundlegend zum Kapitalismus dazugehören, mußten zwangsläufig aus dem Westen kommen. Das hätte man aber vorher wissen können.

Die Ostler sind ja auch nicht grundsätzlich Wendeverlierer. Ich lebe seit dem Frühjahr 1990 im Osten und verkehre seitdem hauptsächlich mit ehemaligen DDR-BürgerInnen. Und ich kenne nicht eine oder einen, dem oder der es heute materiell schlechter geht als vor dem Mauerfall. Die jungen Ostdeutschen, die ich kenne, wären in der DDR erbärmlich gescheitert, weil es allesamt keine Anpasser sind. Sie hätten den autoritären Cordhütchenmief nicht überstanden. Von den etwas älteren waren nicht wenige im Knast. Da reichte es, beim Sprühen eines Anarcho-Spruches oder der versuchten illegalen Ausreise erwischt zu werden. Das alles soll das BRD-System nicht rechtfertigen, ich will nur sagen: Auch als Antikapitalist war man nicht unbedingt in der DDR besser aufgehoben.

Ostalgie ist weniger die Bildung einer Ost-Identität, als vielmehr die Bildung einer Opfer-Identität. Opfer-Identitäten suchen ihre Feinde außerhalb. Statt sich selbst zu hinterfragen, schlagen sie dem Fidschi auf der Straße die Nase ein. AusländerInnen gehen in den meisten ostdeutschen Gegenden nur mit Angst auf die Straße, aber die "Gesellschaft für Bürgerrechte und Menschenwürde" läuft mit Parolen wie "Gleiche Rechte für Ostdeutsche - Für Recht und Würde!" bei Demos herum.

Man könnte fast Mitleid bekommen - selbst mit dem rassistischsten Pack. Und so hat ja auch Gollwitz funktioniert. Ellen Brombachers Hühnerstaatstheorie, nach der die Ossis auf der zweituntersten sozialen Stufe stehen, und daher hauptsächlich Krisenopfer und statt zu verurteilen zu bemitleiden sind, dient zur Rechtfertigung noch des letzten rassistischen Drecks. Darüber sollten wir als Linke reden.