Erst filtern, dann browsen

Werbung und Anti-Werbung im Internet. Das Vollwaschprogramm von Siemens

Während die meisten von uns gelernt haben, Anzeigen mit Nichtbeachtung zu strafen und Fernsehwerbepausen anderweitig zu nutzen, läßt sich die Reklameflut im World Wide Web nicht so einfach ignorieren. Der Aufbau der animierten Banner, der laufenden Schriften und mit Knöpfen und Signets überladenen Rahmen der Webwerber im heimischen Rechner dauert oft zehnmal länger als das Laden der Seiteninhalte.

Dieser grafische Overkill kostet nicht nur Nerven, sondern auch Telefongebühren; und da man alle Hände voll zu tun hat, die aufdringlichen Pop-Ups wegzuklicken, mit denen die Werbetreibenden so etwas wie Interaktion herstellen möchten, läßt sich die vertrödelte Zeit nur selten sinnvoll umwidmen.

Das Freeware-Programm "Web Washer", das Siemens privaten Nutzern seit Januar zum kostenlosen Runterladen zur Verfügung stellt, stößt deshalb auf gehörige Resonanz: Mehrere Hundert Downloads pro Tag zählen die Münchener derzeit nach eigenen Auskünften. "Web Washer" wirkt als zuschaltbarer Filter vor dem Browser und sorgt unter anderem dafür, daß Pop-Up-Fenster unterdrückt und Grafiken mit für Bannerwerbung typischem Format gar nicht erst geladen werden. Das verhindert Werbeeinblendungen zwar nicht restlos, reduziert die unerwünschte Produktinformation jedoch erheblich. Je nach Art und Inhalt der besuchten Seiten wird zwischen zehn Prozent und einem Drittel der vorgesehenen Datenmenge ausgesiebt. Das Surfen wird spürbar beschleunigt.

Nicht jeder ist von der neuen Software begeistert. Da sich kommerzielle Websites fast durchgehend über Werbung finanzieren, sehen viele Anbieter düstere Zeiten anbrechen, sollten sich Programme wie Siemens' "Web Washer" beim Publikum durchsetzen. Zwar gibt es brauchbare "Bannerkiller" oder "Ad Blocker" schon etwas länger, aber mit der geballten Technologie- und Werbemacht eines Konzerns wie Siemens scheint die weitflächige Verbreitung nun erstmals realistisch. Der "Web Washer" ist kostenlos unter www.siemens.de/

servers/wwash zu besorgen. Die für Privatanwender kostenfreie Distribution begründet der Konzern damit, daß sich das Programm wegen des vertrauensvolleren Feedbacks schneller und kundenorientierter entwickeln und verbessern ließe. Das Waschprogramm sei als "kleiner Beitrag für den Weg in eine verantwortungsbewußte Informations- und Kommunikationsgesellschaft" anzusehen.

Soviel Altruismus stimmt natürlich mißtrauisch. In einer Aktion namens "Web Master gegen Konzerne" hatten sich deshalb interessierte Anbieter zusammengeschlossen. Sie warfen Siemens in einem Offenen Brief vor, "mit ISDN und allen anderen Technologien gutes Geld (zu) verdienen und nun das Medium nach Ihren Vorstellungen auch noch inhaltlich umstrukturieren und beeinflussen (zu) wollen". Auf assoziierten Webseiten wurde zu einem Boykott von Siemens-Produkten aufgerufen. Die Aktion floppte jedoch, und die Seite wurde Ende Januar wieder geschlossen. Zugunsten der Werbeinteressen ließ sich nämlich weder die Solidarität der Netzbenutzer noch die Aufmerksamkeit der Medien in genügendem Maße erringen.

Mit den Erfolgsdaten, die Siemens in die Öffentlichkeit hinausposaunt, dürfte sich das mediale Interesse aber mittlerweile eingestellt haben. Daß sich allein dieser PR-Effekt für den ja nicht grundsätzlich sympathischen Konzern ausgezahlt haben könnte, ist anzunehmen, und daß man bei der hauseigenen Öffentlichkeitsarbeit auf die Interessen von Kleingewerbetreibenden nicht allzuviel Rücksicht nimmt, ist auch klar. Ob sich das Angebot des Internet durch Werbewaschprogramme allerdings erheblich verändern wird, steht auf einem anderen Blatt. Wenn erst einmal so viele Bannerkiller verwendet werden, daß sich die Fiktion, jeder Net-Surfer habe auch Kontakt mit der Werbung, nicht mehr aufrecht erhalten läßt, sinken wahrscheinlich lediglich die Werbepreise.

Zunächst einmal üben sich aber viele Anbieter in Gelassenheit. Einige gehen davon aus, daß die Werbung im Net von den meist konsumgeneigten Nutzern ausdrücklich erwünscht sei. Andere bauen wahrscheinlich darauf, daß innovative Programmierer die Werbefilter zukünftig mit leichter Hand umgehen können. "Schützen Sie Ihre wertvolle Werbung vor der Eliminierung", wirbt eine Stuttgarter Webagentur bereits im Internet und verspricht dem Kunden "eine Dienstleistung, die Ihre Investition in Bannerwerbung schützt" bzw. "Werbung, die auch ein Web Washer kommender Generationen nicht erkennt". Die Revolution fällt also aus. Dafür ist das Wettrüsten eröffnet.