Platz an der Öko-Sonne

Die erste Stufe der Ökosteuer-Reform ist ein Erfolg des grünen Wirtschaftsflügels: Energieintensive Betriebe werden entlastet, die Privatverbraucher zahlen drauf

Den Kanzler dürfte der persönliche Angriff nicht tangiert haben. "Cashmere? Teure Schuhe? Edle Zigarren? Brauche ich nicht. Ich brauche die 630 Mark!" heißt es auf rund einer halben Million Postkarten, die die CDU seit Anfang April in die gesammelten Briefkästen der Republik verschickt.

Ziel des außerparlamentarischen Werbefeldzugs sei es, so Generalsekretärin Angela Merkel bei der Präsentation der Kampagne in der letzten Woche, daß "Säcke voller Post" bei Gerhard Schröder im Kanzleramt landeten: Schließlich könne es nicht sein, daß eine Rentnerin die Einnahmen aus ihrem 630-Mark-Nebenjob versteuern müsse, eine Millionärsgattin ohne weitere Einkünfte hingegen nicht. Die Regelung müsse sofort vom Tisch.

"Sozial ungerecht!" "Wirtschaftlich unsinnig!" zeterte die Unionsfrontfrau im Konrad-Adenauer-Haus. Pünktlich zur Einführung der neuen 630-Mark-Regelung und der Ökosteuer zum 1. April setzt die Union damit zur zweiten außerparlamentarischen Kampagne seit ihrem Wechsel auf die Bonner Oppositionsbänke an. Doch während sie beim Kampf gegen die doppelte Staatbürgerschaft noch auf die inneren Sicherheitsbedürfnisse von Innenminister Otto Schily (SPD) setzen konnte und vor allem die Grünen als ideologische Multi-Kulti-Verfechter im Visier hatte, sind es nun die Öko-Ökonomen, die sich über die Unions-Kampagne am meisten freuen dürften.

Schließlich waren es die Neoliberalen in der Grünen-Bundestagsfraktion, die - kaum war Oskar Lafontaine zurückgetreten - die Steuerkonzepte der eigenen Koalition unter Beschuß nahmen. Der Ex-Finanzminister hatte die Gründe für seinen Rücktritt noch nicht einmal genannt, da hatte der Wirtschafts-Flügel auch schon ein Strategie-Papier erstellt. "Initiative für Investitionen, Arbeit und Umwelt", überschrieben Matthias Berninger, Christine Scheel und Oswald Metzger ihre Thesen, maßgeblich bearbeitet, so die taz, wurde das Papier vom Stuttgarter Realo Fritz Kuhn - der am Mittwoch die Nachfolge von Heiner Flassbeck, Lafontaines keynesianischem Vordenker im Bonner Finanzministerium, antritt. Mehr Angebots- und weniger Nachfragepolitik will Kuhn: Auch deshalb hat ihn der kommende Finanzminister Hans Eichel (SPD) zum neuen Staatssekretär auserkoren.

Da die Regierung Schröder gewählt worden sei, um die Arbeitslosigkeit abzubauen, so die Autoren, die die Grünen wahlweise zur Familien- oder Mittelstandspartei ummodeln wollen, müsse erstes Ziel nun sein, die Investitionsbedingungen in Deutschland zu verbessern. Die Vorschläge, die Berninger und Co. präsentieren, könnten denn auch aus dem Handbuch der FDP stammen: Senkung des Spitzensteuersatzes auf bis zu 23 Prozent (Christine Scheel, Vorsitzende des Finanzausschusses) und der Sozialabgaben um 2,4 Prozent. Erreicht werden solle das durch die Errichtung eines Niedriglohnsektors, sowie durch "noch klarere ökologische Lenkungssignale".

Die Erleichterung der Metzger-Boys nach der Verabschiedung der ersten Stufe der Öko-Steuerreform macht deutlich, was sie unter "ökologischer Lenkung" verstehen: die finanzielle Entlastung sowohl der Industrie als auch des Mittelstandes - auf Kosten des Kleinverbrauchers. All das, was in grünen Parteiprogrammen zur Notwendigkeit der steuerlichen Belastung von energieintensiven Betrieben geschrieben steht - die Gruppe um Berninger, Metzger und Kuhn reduziert es auf ihren kapitalistischen Kern: Hereingeholt werden sollen die Steuererleichterungen der Unternehmen durch Mehrwertsteuererhöhungen und Einschnitte bei den Sozialausgaben. Vor allem kleine und mittlere Betriebe sollten von einfachen Genehmigungsverfahren profitieren - der Sozialstaat aber trotzdem gestärkt werden: "Die Mittel aus der Ökosteuer dürfen nicht dazu führen, daß der Reformdruck der sozialen Sicherungssysteme nachläßt."

Was den Wirtschafts-Grünen für die Zukunft lieb ist, ist ihnen für die gerade verabschiedete erste Stufe der Ökosteuer nur billig. Selbst BASF-Vorstandschef Jürgen Strube, bislang einer der schärfsten Kritiker des Projekts, war mit den Nachbesserungen zufrieden: "Die zusätzliche Belastung durch eine Energiesteuer ist zumindest für dieses Jahr - mit rund 15,6 Millionen Mark, von denen 13 Millionen durch sinkende Beiträge zur Rentenversicherung wieder zurückkommen - weitaus geringer ausgefallen, als es die ersten Pläne der Koalition im Herbst befürchten ließen."

Na dann. Was den Verbrauchern an erhöhten Energiekosten (sechs Pfennig mehr Mineralölsteuer je Liter; Heizöl: vier Pfennig mehr; Gas: 0,32 Pfennig je Kilowattstunde; Strom: zwei Pfennig) zugemutet wird, komme ihnen doch, so Wirtschaftsminister Werner Müller nach dem Ökosteuer-Beschluß, über die Senkung der Rentenbeiträge (von 20,3 auf 19,5 Prozent) wieder zugute: 11,3 Milliarden Mark erhofft sich die Regierung aus den Einnahmen der Ökosteuer - eine Familie mit Durchschnittseinkommen von knapp 5 000 Mark könne so mit einer Entlastung von 92 Mark im Monat rechnen.

Vom ursprünglichen Ziel der ökologischen Steuerreform freilich ist nichts übriggeblieben. Weder schafft die Reform neue Arbeitsplätze, noch dürfte bei den Unternehmen nach den deutlichen Entlastungen der Anreiz geschaffen worden sein, den Ausstoß des Treibhausgases CO2 wirklich zu senken. Nach einer Berechnung des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) könnte der CO2-Ausstoß um vier Tonnen jährlich zurückgehen - gerade mal drei Prozent der von Rot-Grün angestrebten Minderung von 140 Millionen Tonnen.

Viel zu tun noch für die Öko-Ökonomen. Aber wenn es nur hilft, dem Kanzler gegen die diffamierenden Kampagnen der Union zur Seite zu stehen, machen rechte Grüne wahrscheinlich alles. Oder, wie es so schön in dem Metzger/ Kuhn-Papier heißt: "Die Regierung Schröder kann auf diesem Wege für unser Land einen Platz an der Sonne sichern."