Tomaten für Mandela

Am Rande des Berliner Gipfels schloß die EU ein Freihandelsabkommen mit Südafrika ab

Der neue preiswerte Sorgenbrecher kommt derzeit vom Kap der Guten Hoffnung. Über mehrere Tausend Kilometer Entfernung importiert, sind südafrikanische Weine dennoch häufig billiger als vergleichbare europäische Produkte. Umgekehrt haben italienische Dosentomaten den südafrikanischen Markt erobert. Denn obwohl das Land am Kap selbst massenhaft Tomaten anbaut, sind die von der EU subventionierten Importe immer noch günstiger als einheimische Erzeugnisse.

Wenn sich Nelson Mandela im April aus der Politik verabschiedet, wird er seinem Land ein lang erwartetes Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union hinterlassen. Nach mehr als vier Jahren zähen Ringens wurde am Rande des vergangenen Berliner EU-Gipfels eine Einigung erzielt. Damit löst die EU ein Versprechen ein, das sie Mandela unmittelbar nach dessen Amtsantritt im Jahr 1994 gegeben hatte: Man fühle sich verpflichtet, dem seit Jahrzehnten wegen des Apartheidregimes isolierten Südafrika wirtschaftlich unter die Arme zu greifen, hieß es damals. Ein Jahr später begannen die Verhandlungen.

Bilaterale Freihandelsabkommen zwischen der EU und Ländern der AKP-Gruppe (Afrika, Karibik, Pazifik) sollen in Zukunft die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit Europas mit den Ländern des Südens prägen. Von den einseitigen Handelspräferenzen, die die EU der sogenannten Dritten Welt im Rahmen des Lomé-Abkommens einräumte und die im Jahr 2000 auslaufen, will sie nichts mehr wissen (Jungle World, Nr. 11/99).

Südafrika wurde nach den Jahrzehnten der Apartheid erst im Juni letzten Jahres Mitglied des Lomé-Abkommens. Seine Mitgliedschaft ist allerdings besonderer Art: Südafrika ist zwar stimmberechtigtes Mitglied der AKP-Gruppe, kommt jedoch nicht in den Genuß der Handelserleichterungen, die die EU den anderen AKP-Ländern gewährt. Zum einen deshalb, weil die Präferenzen ohnehin auslaufen. Zum anderen, weil Südafrika innerhalb der AKP das Land mit dem höchsten Bruttoinlandsprodukt ist und als bereits weitgehend "entwickelt" gilt. Bleibt die Möglichkeit, free trade mit der EU auszuhandeln.

Das in Berlin verabschiedete Abkommen sieht vor, daß beide Seiten schrittweise Zölle und andere Handelshemmnisse abbauen. Die EU muß innerhalb von zehn Jahren 95 Prozent ihres Marktes für Importe aus Südafrika öffnen. Das Land am Kap öffnet sich zu 86 Prozent für europäische Exporte, und zwar innerhalb eines Zeitraums von zwölf Jahren. Nicht von der Vereinbarung betroffen sind auf EU-Seite vor allem agrarische Güter. Südafrika wird lediglich für zwei Drittel seiner landwirtschaftlichen Erzeugnisse freien Zugang zu den europäischen Märkten erhalten.

Mehrmals drohten die Verhandlungen zu scheitern. Umstritten war vor allem, in welchem Umfang Europas Märkte für landwirtschaftliche Erzeugnisse Südafrikas wie Obst, Blumen, Fisch oder Wein liberalisiert werden sollten. Bis zuletzt ging es um die Reduzierung einzelner Zollsätze für bis ins Lächerliche spezifizierte Produkte: gefrorene Orangen und Dosentomaten beispielsweise. Insbesondere südeuropäische EU-Länder wie Spanien, Portugal und Griechenland beklagten in diesem Zusammenhang Nachteile für die einheimischen Bauern durch die zu erwartende Konkurrenz aus Afrika: Die EU sei "zu großzügig" gegenüber Pretoria.

Im Gegenzug warf Südafrika der EU Protektionismus vor. Südafrikanische Unternehmer und Gewerkschaften erklärten, die EU habe wohl Angst vor Konkurrenz, obwohl sie ihre Bauern ohnehin schon mit Milliardensubventionen unterstütze. Jedes Mal, wenn die südafrikanischen Verhandlungsteilnehmer Zugeständnisse machten, würden die Europäer neue Bedingungen stellen. Es sei zu fragen, ob das Abkommen für Südafrika überhaupt noch gewinnbringend sei. Im Februar erklärte denn auch Südafrikas Handelsminister Alec Erwin, wenn die EU das Abkommen nicht bald unterzeichnen könne, bedeute dies, sie sei nicht in der Lage, die Interessen von Entwicklungsländern wirklich ernstzunehmen.

Einen wichtigen Streitpunkt in den Verhandlungen bildeten Ursprungsbezeichnungen alkoholischer Getränke. Spanier und Portugiesen erklärten, sie könnten es nicht hinnehmen, daß Südafrika Flaschen mit der Aufschrift "Sherry" und "Porto" in die ganze Welt ausführe. Diese Bezeichnungen dürften lediglich Weine aus dem spanischen Jerez bzw. aus Portugal tragen. So albern dieser Streit klingt - Südafrikas Handel mit diesen Getränken hat einen Umfang von jährlich 123 Millionen US-Dollar, und es befürchtet den Verlust von bis zu 10 000 Arbeitsplätzen, wenn es dazu gezwungen wird, die Bezeichnungen zu ändern. Aber die Europäer lenkten nicht ein, und so einigte man sich schließlich darauf, daß Porto und Sherry aus Südafrika in Zukunft "Tawny" oder "Ruby" heißen müssen. Oder sie dürfen eben nicht mehr in die EU ausgeführt werden.

Ein anderes Mal war es Kanzler Schröder, der die Verhandlungen in eine Sackgasse manövrierte. Ihm ging es jedoch nicht um Handelsfragen. Schröder verlangte einfach, eine "Rücknahmeverpflichtungsklausel" für illegal eingereiste Flüchtlinge aus Südafrika in das Abkommen aufzunehmen. Südafrikas Staatspräsident Mandela reiste im Januar eigens nach Deutschland, um Schröder umzustimmen. Es geht eben nicht nur um Waren, sondern auch um Menschen.

Nach allerlei Hin und Her ist das Abkommen nun doch abgeschlossen. Die EU-Vertreter überschütten sich ob ihrer vermeintlichen Großzügigkeit selber mit Lob: Kanzler Schröder und der bereits zurückgetretene EU-Kommissionspräsident Jacques Santer schickten nach der Einigung in Berlin einen Brief an Nelson Mandela, in dem von einer "festen Partnerschaft" die Rede ist.

Das Abkommen sei ein Ausdruck von "Freundschaft und Solidarität".

Die südafrikanischen Unterhändler räumen gegenüber Kritikern ein, das Abkommen könne "negative Auswirkungen auf bestimmte Sektoren" haben. Man erwarte jedoch eine "insgesamt positive" Entwicklung. Einige Gewerkschafter sehen das aber anders. Ende letzten Jahres protestierten sie in Südafrika vor den Botschaften der EU-Länder und verurteilten die "Versuche der EU, unser Land zu rekolonialisieren". Fischer befürchten, daß südafrikanische Gewässer zukünftig auch von spanischen Fangflotten ausgebeutet werden dürfen. Subventioniertes Obst und Gemüse aus Europa könnte den Markt am Kap überschwemmen und lokale Erzeuger ruinieren. Das gilt beispielsweise für die erwähnten Dosentomaten.

150 000 Tonnen Tomaten in Dosen stellt das Land pro Jahr her. An ihrer Produktion hängen 3 000 Vollzeitarbeitsplätze und weitere 4 000 Saisonkräfte. Doch Dosentomaten aus Europa - billig dank EU-Subventionen - drängen verstärkt auf den südafrikanischen Markt. Erst im Januar dieses Jahres sah sich Pretoria gezwungen, den Einfuhrzoll auf europäische Dosentomaten von 23 auf 30 Prozent zu erhöhen, um die massenhafte Einfuhr nach Südafrika zu stoppen. Doch die europäischen Produkte sind in den südafrikanischen Supermärkten sogar billiger zu haben als einheimische. Im November letzten Jahres mußte ein Obst- und Gemüseerzeuger, der bis zu 2 000 Arbeitskräfte jährlich beschäftigte, schließen. Seine Waren ließen sich nicht mehr absetzen.