Wo waren Sie, als das Sparwasser-Tor fiel?

Harald Wassers ist Ballettlehrer

Während des im Sommer zuvor erfolgten Scheidungskrieges meiner Eltern hatte ich gelernt, daß kein Verhalten spezifisch weiblich oder spezifisch männlich ist. Abwechselnd hatten beide geweint, geflucht, gedroht, Quatsch geredet, geträumt und sich blamiert und waren mir unendlich auf die Nerven gegangen.

Ich war 14 und wohl sehr frühreif, ich verbrachte die freien Stunden zwischen der Schule und der Notwendigkeit, nach Hause zu gehen (ich hatte zwei Zuhause, denn meine Mama und Papa wollten, daß ich mich unter allen Umständen wohlfühlte), in der Bibliothek. Dort las ich alles, was ich finden konnte, unter anderem auch Fachbücher über Erziehungsfragen, die mir vor Augen führten, wie fachlich unqualifiziert mein pädagogisches Personal war - ich befürchtete daher für meinen weiteren Lebensweg absolut das Schlimmste. Aber auch politische Fragen interessierten mich, ich versuchte sogar, Marx zu lesen.

Die anstehende Fußball-Weltmeisterschaft nutzte ich in diesem ganzen Chaos enttäuschter Erwartungen und vergebens aufgebotener Gefühle als Feldversuch für mein angelesenes Halbwissen. Wenn ich mich in meiner gesellschaftlichen Analyse (ich war, wie gesagt, ein wirklich frühreifes kleines Monster) nicht vollends irrte, so lautete meine Prämisse, dann würde man bei der Begegnung zwischen der kapitalistischen BRD und der sozialistischen DDR den Unterschied der beiden gesellschaftlichen Systeme immerhin in den Bewegungen sehen können.

Sah man aber nicht, die Kicker beider Nationen agierten gleichermaßen verbissen-unschön, eben, und das fiel mir erst vor kurzem auf, als Ihre Anfrage kam, typisch deutsch, es war nichts davon zu sehen, daß der Sozialismus Menschen dazu brachte, sich etwas freier zu bewegen. Das enttäuschte mich tief.