Besatzungsstatut von Rambouillet

Goldene Brücken mit Minenfeld

"Goldene Brücken", beteuerte Joseph Fischer nach dem Scheitern der letzten Verhandlungsrunde in Rambouillet vor drei Wochen, habe man den Serben gebaut; "wieder und wieder" habe man versucht, den serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic zum Einlenken zu bewegen. "Ein hartes Stück Arbeit" sei das gewesen, hatte Fischer schon einen Monat vorher berichtet. Damals präzisierte Fischer auch, worin die Knochenarbeit des deutschen Außenministers bei den Verhandlungen bestand: Man habe versucht, die serbische Delegation zum Unterzeichnen des Rambouillet-Abkommens zu bewegen, samt, so Fischer explizit, dem "militärischen Annex".

Ausgerechnet dem albanischen Kosovo Krisen Zentrum ist zu verdanken, daß man nun weiß, was eigentlich drinsteht in diesem "militärischen Annex" - genauer gesagt im "Appendix B: Status of Multi-National Military Implementation Force" zum "Chapter 7: Implementation II" des "Interim Agreement for Peace and Self-Government in Kosovo". Spätestens, seit das in Tirana angesiedelte UCK-nahe Zentrum vergangene Woche - entgegen einer Absprache mit den westlichen Verhandlungsführern in Rambouillet - den Text des bisher lediglich von der UCK unterzeichneten Abkommens auf seiner Internet-Seite veröffentlichte (www.alb-net.com/kcc/interim.htm) weiß man, warum Fischers Arbeit so hart war: Nicht nur sollte, was bereits bekannt war, mit der Einführung eines Präsidentenamtes des Kosovo und einer eigenen Gerichtsbarkeit der erste Schritt zu einer Abspaltung der bislang zu Serbien gehörenden Provinz getan werden. Eine in schwammigen Worten gehaltene und in Teilen ebenfalls bereits bekannt gewordene Schlußbestimmung regelt, daß nach der dreijährigen Laufzeit des Abkommens "ein internationales Treffen" einberufen werden soll, welches "einen Mechanismus für eine endgültige Lösung für den Kosovo" festzulegen hat. Dies müsse "auf der Basis des Willens des Volkes" geschehen. Sprich: Eine Volksabstimmung soll die staatliche Unabhängigkeit des Kosovo festklopfen.

Doch mehr noch: Das, was die serbische Delegation unterschreiben sollte, um Militärschläge der Nato abzuwenden, wäre eine bedingungslose Kapitulation gewesen, bevor überhaupt ein Schuß gefallen war. Belgrad wurde die Bedingung gestellt, eine nach dem "Friedensschluß" zu stationierende Truppe müsse allein aus Nato-Einheiten bestehen. Auf seinem gesamten Staatsgebiet, so die Forderung der Verhandlungsführer aus den Nato-Staaten, hätte Jugoslawien zugunsten einer 28 000 Mann starken Nato-Truppe auf seine staatliche Souveränität verzichten sollen. "Nato-Personal", heißt es im Appendix B, "ist unter allen Umständen und zu jeder Zeit immun vor der Rechtsprechung der Vertragsparteien hinsichtlich jeglicher zivil-, verwaltungs-, straf- oder disziplinarrechtlicher Vergehen, die es in der Bundesrepublik Jugoslawien begehen könnte."

Dafür sollten die Nato-Truppen den Status einer Besatzungsarmee erhalten: "Nato-Personal", heißt es weiter, "genießt, einschließlich seiner Land-, Wasser- und Luftfahrzeuge, freien und ungehinderten Durch- und Zugang auf dem gesamten Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien. Dies schließt ein, ist aber nicht beschränkt auf das Recht zu lagern, Manöver durchzuführen, Stellungen auszubauen und von allen Gebieten und Einrichtungen Gebrauch zu machen, die für Nachschub, Übungen und militärische Operationen benötigt werden." So etwas wäre für jede souveräne Regierung inakzeptabel.

Diese Forderungen, so das Außenamt nach deren Bekanntwerden, seien "nur ein Platzhalter" gewesen, keineswegs habe man "die Serben vor vollendete Tatsachen gestellt". Erst nach der Unterzeichnung des Abkommens hätten Details eines "mit Belgrad noch auszuhandelnden" Abkommens über den Status der Besatzungstruppen beraten werden sollen. Davon war freilich zu jener Zeit, als in Rambouillet noch verhandelt wurde, keine Rede. Der "militärische Annex" - dessen Inhalt der Öffentlichkeit damals noch nicht bekannt war -, hieß es unisono von den westlichen Verhandlungsführern, sei "unverbrüchlicher Teil des Friedensabkommens".

Goldene Brücken? Der Text des Rambouillet-Vertrags läßt keine andere Interpretation zu, als daß Serbien in dem Schloß bei Paris vor die Alternative gestellt wurde, entweder sofort zu kapitulieren oder vorher sturmreif geschossen zu werden. "Es gibt", krächzte sorgenschwerer Stirn der deutsche Verhandlungsführer Fischer kurz vor Bekanntwerden des Vertragstextes in die Mikrofone der Rundfunkanstalten, "in dieser Frage keine unschuldige Position." Für den, der den Rambouillet-Text kennt, klingt das wie ein Geständnis.