Nachbarn, ich hör' euch trapsen

Mazedonien, Albanien und Ungarn werden zunehmend in den Nato-Angriff auf Jugoslawien verwickelt. Während die UCK für den Kampf gegen die Serben rekrutiert, befürchtet man in Skopje den baldigen Kollaps des Landes Mazedonien in Bedrängnis

Seit Mittwoch vergangener Woche hat sich Tichomir Ilievski, Staatssekretär im mazedonischen Außenministerium in Skopje, daran gewöhnt, angepöbelt zu werden. Ständig läutet das Telefon und empörte Anrufer beschweren sich über das Schicksal der etwa 150 000 Kosovo-Flüchtlinge, die das kleine Land seit Beginn der Nato-Luftangriffe auf Jugoslawien aufgenommen hat.

Zuerst war das völlig überfüllte Lager Blace direkt an der Grenze zum Kosovo Anlaß für Kritik: Sanitäre Anlagen fehlten, die mazedonischen Wachmannschaften halfen ihren Befehlen schon mal durch Prügel nach. Doch in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch letzter Woche leerte sich das Lager Blace erstaunlich schnell: Über Nacht wurden etwa 30 000 Menschen mit Bussen an einen vorerst unbekannten Ort gekarrt. Die UN-Flüchtlingshochkommissarin Sadako Ogata vermutete bei ihrem Besuch in Skopje am vergangenen Donnerstag gar, die Flüchtlinge seien wieder zurück nach Serbien geschafft worden. Jedenfalls sei der Aufenthaltsort von etwa 10 000 Menschen derzeit unbekannt.

Staatssekretär Ilievski kann die Aufregung nicht ganz verstehen: "Wir haben dem UNHCR ganz deutlich gesagt, wohin wir die Flüchtlinge bringen: Ein Drittel von ihnen kam bei mazedonisch-albanischen Familien unter, ein Teil wurde auf eigenen Wunsch und Verlangen der albanischen Regierung nach Albanien gebracht, einige verließen das Land in Richtung Türkei. Der Rest von ihnen wurde in Lagern untergebracht, in denen auch die nötigen sanitären und medizinischen Einrichtungen vorhanden sind", so Ilievski gegenüber Jungle World. Am Freitag waren die verschwundenen Flüchtlinge im Lager von Senkovec plötzlich wieder aufgetaucht.

Das Land südlich des Kosovo steht nun kurz vor einem politischen und wirtschaftlichen Kollaps. Appelle an die EU und an Nato-Staaten, Flüchtlinge aufzunehmen und nicht bloß Unterstützung vor Ort zu leisten, fanden keinen großen Widerhall. Statt dessen werden jene Nato-Soldaten, die ursprünglich in Mazedonien stationiert worden waren, um das dahingeschiedene Abkommen von Rambouillet zu überwachen, zur Hilfe in den Flüchtlingslagern abkommandiert.

Aber selbst das wird nicht lange währen. Die Nato benötigt derzeit jeden verfügbaren Mann an der neuen Front im Kosovo, das Flüchtlings-Management wird man also bald wieder den Mazedoniern alleine überlassen, und die erwarten zunehmende Spannungen auch in ihrem Land: "Wir befürchten, daß UCK-Kämpfer unter den Flüchtlingen auch die mazedonischen Albaner aufstacheln könnten", so Ilievski.

Auch das Verhältnis zum Nachbarn Albanien wird immer komplizierter: Der mazedonische Präsident Kiro Gligorov ließ sich in der aufgeheizten Atmosphäre dieser Tage zu der Bemerkung hinreißen, Albanien sei die einzige Heimat der Albaner. Sein albanischer Amtskollege Rexhep Mejdani empörte sich, dies sei "chauvinistisch". Außerdem verlangte Albanien von Mazedonien, den Tod mehrerer Flüchtlinge im Lager Blace zu untersuchen.

Mazedonien besteht zwar darauf, nicht als Aufmarschgebiet für Nato-Bodentruppen zu dienen und ist bemüht, die Beziehungen zu Jugoslawien nicht vollends zu zerstören, aber das nützt nicht viel: In der Nähe von Blace kam es am vergangenen Donnerstag zu einem Schußwechsel zwischen mazedonischen Grenzsoldaten, Kosovo-Albanern und der jugoslawischen Bundesarmee. Ein mazedonischer Soldat wurde dabei getötet.

Bisher war Jugoslawien weniger Gegner als vielmehr wichtigster Handelspartner Mazedoniens. Diese Beziehungen sind nun völlig zusammengebrochen. Ilievski brütet inzwischen über desaströsen Wirtschaftsstatistiken: "Seit Beginn der Nato-Luftangriffe ist uns durch den brachliegenden Handel mit Jugoslawien ein Verlust von 250 Millionen US-Dollar erwachsen. Wenn die Luftangriffe noch lange weitergehen, werden wir in unserer wirtschaftlichen Entwicklung um ein Jahrzehnt zurückgeworfen."

Ruf nach Großalbanien

"Wir müssen lernen, wie wir uns gegenseitig lieben können." Mit einem eilig in albanischer Sprache verfaßten Flugblatt der Zeugen Jehovas und einigen Biskuits wurden die Flüchtlinge aus dem Kosovo empfangen. Viel mehr an internationaler Hilfe war am albanischen Grenzübergang, nahe der Stadt Kukes, vergangene Woche noch nicht angekommen.

Die unzugängliche Gegend im Nordosten Albaniens kann wegen den schlechten Gebirgsstraßen fast nur aus der Luft versorgt werden. Mehr als 280 000 Flüchtlinge passierten nach OSZE-Angaben in den vergangenen Tagen die verminte Grenze bei Morina, die Hauptverkehrsachse zwischen den albanischen Häfen und dem Kosovo.

Die geographische Lage machte sich allerdings auch die UCK zunutze, die zahlreiche Nachschub- und Ausbildungscamps in Albanien unterhält. Die UCK hatte als selbsternannte "provisorische Regierung" die Generalmobilmachung ausgerufen: Alle wehrfähigen Männer zwischen 18 und 50 Jahren sollten sich binnen eines Monats zu den Waffen melden, sobald sie ihre Familien in Sicherheit gebracht hätten. So werden in einer leerstehenden Fabrik in Kukes derzeit etwa 1 000 Soldaten ausgebildet. Die UCK spricht von Hunderten Freiwilligen, die täglich aus ganz Europa in der Region eintreffen. Vor allem aus Deutschland, Schweiz und Österreich werden die künftigen Soldaten in das Kosovo geschleust. In Bayern stoppte die Polizei allein am vergangenen Wochenende drei Busse mit 135 Albanern, viele ohne gültige Papiere. Die Männer hatten nach Angaben der bayerischen Polizei eine Erklärung unterschrieben, die sie zur Unterstützung der UCK verpflichtete. Der Vorfall war Thema bei einem "Sicherheitsgipfel" mit dem bayerischen Innenminister Günter Beckstein und seinem österreichischen Amtskollegen Karl Schlögel in Innsbruck. Beckstein erklärte, daß die Anwerbung durch die UCK auch gewaltsam und erpresserisch erfolge.

Die UCK behauptet hingegen, daß sich die meisten Flüchtlinge aus dem Kosovo freiwillig ihrer Armee angeschlossen hätten. Nach Berichten der NZZ wendet die UCK aber auch Druck bei der Rekrutierung an: Einige Kilometer außerhalb von Kukes durchsuchen teilweise maskierte Bewaffnete jeden Flüchtlingstransport nach wehrfähigen Männern. Diese Zwangsrekrutierungen werden in Anwesenheit von Offizieren der albanischen Armee vorgenommen, die auch als Ausbilder fungieren. Auch Le Monde zitiert einen UCK-Soldaten am Weg von Morina nach Kukes: "Wenn wir Männer im wehrfähigen Alter unter den Flüchtlingen finden, rekrutieren wir sie, um sie anschließend in unsere Ausbildungscamps zu bringen."

Die UCK, die immer wieder versucht, Waffen und Soldaten über die nahe Grenze in das Kosovo zu bringen, gerät in ihrem albanischen Rückzugsgebiet zusehends unter Druck. In den letzten Tagen verschärften sich die Kämpfe mit dem serbischen Militär. Letzten Freitag kam es zu den bisher schwersten Gefechten, wobei die UCK erstmals serbische Truppen von albanischem Boden aus angegriffen hat. Der Sprecher des US-Außenministeriums, James Rubin, bestätigte den Vorfall, ohne aber den Angriff der UCK zu verurteilen. Damit weitet sich der Krieg im Kosovo immer stärker auf den Norden Albaniens aus.

Dort hat Sali Berisha das Sagen - und auf seine Unterstützung kann die UCK zählen. Der mächtigste Gegenspieler von Regierungschef Pandeli Majko und Führer der oppositionellen Demokratischen Partei fordert seit Beginn des Krieges die albanische Regierung auf, nicht mehr nur von einer "Selbstbestimmung" des Kosovo zu sprechen. Statt dessen verlangt Berisha die Errichtung eines muslimischen Staates. Trotz dieser Provokationen scheinen die innenpolitischen Spannungen in Albanien - im September 1998 hatte Berisha einen Putschversuch unternommen - vorübergehend beigelegt zu sein. In der Frage nach dem weiteren Schicksal der Flüchtlinge herrscht Einigkeit. Opposition und Regierung stellen sich gegen die Evakuierung der vertriebenen Kosovo-Albaner in andere europäische Länder. Man wolle nicht an einem Vertreibungsmechanismus mitwirken, der die Albaner aus dem Kosovo zwinge.

Dabei ist der Regierung schon längst die Kontrolle über die Region entglitten; die Regierung setzt daher auf ein stärkeres Engagement der Nato. Entsprechend stimmte das albanische Parlament am vergangenen Donnerstag geschlossen für die Stationierung von 8 000 Nato-Soldaten, die insbesondere "humanitäre Aufgaben" übernehmen sollen. Im gleichen Zug bewilligte es die Aufnahme von Panzern und 24 Apache-Kampfhelikoptern mit 2 600 Mann Servicepersonal. Außenminister Paskal Milo sagte, die Nato könne Albanien als "strategische Basis" in Anspruch nehmen: "Wir haben die Nato mit allen nötigen Rechten ausgestattet, um unsere Häfen, unseren Luftraum und Boden für Operationen im Kosovo und in Serbien zu benutzen."

Mit dem Ausbau Albaniens zum Brückenkopf für mögliche Nato-Angriffe, zum größten Flüchtlingslager Europas und zum Basiscamp der UCK verschärft sich die Rhetorik von Ministerpräsident Pandeli Majko. Ein künftiges "Großalbanien" sei nicht mehr ausgeschlossen, erklärte er am vergangenen Samstag. Albanien werde sich in dieser Angelegenheit mit "seinen Freunden" - den Nato-Staaten - beraten.

Ungarn für Nato-Einsatz

"Wir wollen nur ein paar Tage hier bleiben", erklärt ein wohlhabender Serbe dem verdutzten Portier des Drei-Sterne-Hotels "Royal" in der südungarischen Stadt Szegedin. Der glaubt schon die Vorhut unzähliger Flüchtlinge aus dem nur 15 Kilometer entfernten Jugoslawien zu erblicken. Doch wie Flüchtlinge wirken die hier mittlerweile zu Hunderten versammelten Serben nicht. Anders als die Kosovo-Albaner reisen sie nicht zu Fuß oder mit Traktoren, sondern in ihren Privatwagen oder in Bussen.

Etwa alle fünf Minuten kamen an den letzten Wochenenden jugoslawische Autos mit Kennzeichen von Belgrad, Novi Sad oder Subodica über die nahe Grenze, teilweise beladen mit den Habseligkeiten der Insassen. Die ungarische Polizei hält jeden Wagen an, befragt die Fahrer und bekommt immer die gleiche Antwort: Es handle sich eben um eine Landpartie unbestimmter Dauer - von Flucht oder gar Asyl keine Rede.

Anders als in Tschechien oder der Slowakei (wo die Slowakische Nationalpartei von "Nato-Morden an christlichen Völkern zugunsten von moslemischen Separatisten" spricht), stehen in Ungarn die Parteien hinter der Regierung, die der Nato die militärischen Einrichtungen zur Verfügung stellt. Mag auch am Tag nach dem ersten Nato-Schlag eine Budapester Zeitung "Drei Minuten braucht eine serbische Scud-Rakete von Belgrad nach Budapest" getitelt und mögen drei Viertel der Ungarn Angst vor einem Übergreifen der Kriegshandlungen haben, so sind doch nur 31 Prozent gegen den Militäreinsatz.

Auch Nato-Gegner wie der Populist Istvan Csurka und seine Wahrheits- und Lebenspartei (MIEP) schwenkten auf die Linie der Regierung von Premier Viktor Orban ein. Daß Ungarn selbst keine eigenen Truppen in das Einsatzgebiet entsendet, hat zwei Gründe: Zum einen ist Ungarn das einzige Nato-Land, das eine gemeinsame Grenze mit Jugoslawien hat. Zum anderen lebt in der serbischen Provinz Vojvodina eine immerhin 300 000 Menschen starke ungarische Minderheit. Ihre Angehörigen in Ungarn sind es vor allem, die Angst vor einem Engagement des neuen Nato-Staates haben. Indessen fordert der Verband des Demokratischen Bundes der Ungarischstämmigen in der Vojvodina (VMDSZ) die Volksgruppe auf, das Land nicht zu verlassen: "Mit Flucht wird gar nichts gelöst", sagt deren Sprecher Laszlo Jozsa.

Premier Orban warnt, die Beziehungen Ungarns zu Jugoslawien nach Ende der Kämpfe würden auch davon abhängen, ob Belgrad die Einberufung von Angehörigen der ungarischen Minderheit in die jugoslawische Armee "auf ein Minimum oder gar auf Null" verringere. Ein ungutes Gefühl bleibt dennoch. Der Fernsehsender TV2 startete eine Telefonumfrage, die in wenigen Stunden über 16 000 Anrufer erfaßte. 74 Prozent von ihnen äußerten ihre Besorgnis über eine Ausweitung des Konflikts auf ihr Land. Parlament und Regierung in Ungarn hingegen fürchten um nichts als um das Wohlergehen ihrer Leute im Nachbarland.