EZB senkt die Zinsen

Von den USA lernen

Verkehrte Welt: Die Europäische Zentralbank (EZB) entschloß sich vergangene Woche zu einer Tat, die sie vor kurzem noch zum größten Schrecken seit der Planwirtschaft erklärte - sie senkte die Zinsen. Jetzt muß sich EZB-Chef Wim Duisenberg plötzlich gegen einen Vorwurf verteidigen, den er vor wenigen Wochen noch selbst formulierte: Die Zinssenkung sei kein Indiz dafür, daß er ab sofort eine monetäre Konjunkturpolitik betreiben wolle.

Daß Duisenberg seinen früheren Feind Oskar Lafontaine zum Vorbild kürt, ist auch mehr als unwahrscheinlich. Der Mann der Stunde in Frankfurt trägt einen anderen Namen: Alan Greenspan, Chef der US-Notenbank Federal Reserve. Mit der pragmatischen Entscheidung signalisiert die EZB, daß sie sich künftig an dem angelsächsischen Modell orientieren will.

Auf absehbare Zeit wird es in Europa keine Inflationsgefahr geben, begründete Duisenberg die Entscheidung. Die wirtschaftliche Flaute in Europa könne hingegen zu einer ernsten Krise führen; daher sei zur Ankurbelung der Konjunktur die Zinssenkung bitter nötig. Alan Greenspan hatte sich schon im vergangenen Herbst zu dem gleichen Schritt entschlossen, um einer drohenden Rezession in der USA zu begegnen.

Tatsächlich steckt die Eurozone genau 100 Tage nach der Einführung der neuen Währung in einer tiefen Krise. Die Fakten sind schon seit Monaten bekannt: In Europa werden die Konjunkturaussichten zunehmend düsterer, während die US-Wirtschaft boomt. Das drückt sich auch in der momentanen Schwäche des Euro aus, der seit Anfang des Jahres gegenüber dem Dollar ständig an Wert verliert.

Wegen den niedrigen Zinsen können sich die Kreditinstitute nun günstigere Mittel bei der EZB beschaffen; und weil das Geld jetzt so billig ist, so die Hoffnung der Banker in Frankfurt, greifen die Investoren kräftig zu. Das führt wiederum zu mehr Nachfrage und bringt die schlappe Wirtschaft auf Trab. In welcher Klemme Europa bereits steckt, zeigt sich an der paradoxen Reaktion an den Devisenmärkten. Niedere Zinsen gelten normalerweise als gutes Mittel, um eine Währung in den Keller zu befördern. In diesem Falle legte der Euro kräftig zu - allein die Aussicht auf eine Konjunkturwende ließ den Kurs in die Höhe schnellen.

Entsprechend kam die härteste Kritik aus einer Ecke, wo man sie vor kurzem am wenigsten vermutet hätte. Ausgerechnet die liederlichen EU-Südländer, die stets als eine Gefahr für eine stabilen Euro galten, sind mit der EZB unzufrieden. Die Entscheidung fördere die Inflation, erklärte der spanische Finanzminister. Dessen Land verzeichnet derzeit, neben Portugal und Irland, das höchste Wirtschaftswachstum in der EU und fürchtet jetzt eine Überhitzung.

Allzu lange dürfte sich das kurze Euro-Hoch allerdings nicht halten. Mit der Senkung wird der Abstand zum Hochzinsland USA weiter wachsen. Aber ein schwacher Euro könnte in der nächsten Zeit durchaus im Sinne der Zentralbank sein. Wenn der Wert der Währung sinkt, treibt das die Leistungsbilanz in die Höhe: Waren aus der EU werden billiger, Exporte aus Amerika und Asien teuerer. Europa könnte einen Teil seiner Probleme auf Kosten andere Wirtschaftszonen lösen. Die EZB-Entscheidung ist daher indirekt auch gegen die USA gerichtet.

Auf dem Binnenmarkt wird jedoch das billige Geld allein nicht reichen, um einen Konjunkturaufschwung zu bringen. Wer kauft sich schon das vierte Auto, nur weil gerade die Zinsen niedrig sind? Duisenberg wird daher nicht müde, den zweiten Teil seiner pragmatischen Geldpolitik zu verkünden - und hier sind auch keine Verwechselungen mit Lafontaine mehr möglich. Die Zinssenkung sei nur ein erster Schritt, um wieder mehr Investitionen zu fördern. Parallel dazu müßten nun endlich die politischen Strukturreformen erfolgen, auch sei der Stabilitätspakt von Maastricht strikt einzuhalten. Nur damit sei die Arbeitslosigkeit effektiv zu bekämpfen und die Konjunkturwende zu erreichen.

Die Mischung ist gut bekannt. Eine pragmatische Geldpolitik, die in der Flaute auch einige nachfrageorientierte Elemente zuläßt, kombiniert mit einer neoliberalen Wirtschaftspolitik. Die EZB hat vergangene Woche ihre neue Philosophie präsentiert: Von den USA lernen, heißt siegen lernen. Der Hauptkonkurrent zum Euro soll mit dessen eigenen Mitteln geschlagen werden.