Alleingang in Algier

Der Kandidat des Militärs konnte ganz ohne Konkurrenten die Präsidentschaftswahl in Algerien gewinnen

So einfach kann Demokratie sein. Ohne größere Überraschung wurde Abdelaziz Bouteflika am Freitag vergangener Woche zum neuen Präsidenten Algeriens ernannt, nachdem er bei der Wahl am Vortag als einziger Kandidat angetreten war. Sechs von sieben Bewerbern um das höchste Staatsamt hatten sich am Mittwoch gemeinsam von der Wahl zurückgezogen. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte der Wahlbetrug in ihren Augen ein unerträgliches Maß erreicht.

Der Wahltag war für Donnerstag letzter Woche angesetzt. Bereits am Montag hatten die "wandernden Wahlbüros" für die Nomadenstämme im algerischen Süden, also in der Sahara, geöffnet, und am Dienstag die "Spezialbüros" für die auf eine Million geschätzten Angehörigen der bewaffneten Staatsorgane (Armee, Gendarmerie und Polizei). Am Dienstag gegen 8.30 Uhr wurden die Wahlbeobachter, die im Auftrag der verschiedenen Kandidaten anwesend waren, aus den Wahlbüros der Armee nach Hause geschickt. Wo nötig, wurden sie auch mit vorgehaltener Waffe vertrieben.

Alle Präsidentschaftskandidaten außer Abdelaziz Bouteflika, dem Mann der militärischen Machtzentren, forderten daraufhin eine Audienz beim amtierenden Präsidenten Liamine Zéroual. Die wurde ihnen verweigert, und Noch-Staatschef Zéroual zog es vor, statt dessen eine lakonische Presseerklärung abzugeben, das Verlangen der sechs Kandidaten sei "offensichtlich gegenstandslos" gewesen. Die sechs erklärten daraufhin ihren kollektiven Rückzug sowie die "Nichtanerkennung der Legitimität der Wahlergebnisse".

Hocine Ait-Ahmed, Mouloud Hamrouche, Ahmed Taleb Ibrahimi, Abdallah Djaballah, Mokdad Sifi und Youssef Khatib trugen so dazu bei, die demokratische Legitimation der neuen Präsidentschaft zu beschädigen - in Ermangelung anderer Möglichkeiten, an dem Ergebnis etwas auszurichten. Nach Auffassung der Staatsspitze handelte es sich freilich um ein "Nichtereignis", das Präsident Zéroual aber immerhin veranlaßte, sich am Mittwoch um 20 Uhr in einer Fernsehansprache an das Wahlvolk zu wenden - mit der Botschaft, daß alles seinen geplanten Gang gehe.

Mit dem Rückzug der sechs Kandidaten ging der Abzug der von ihnen ernannten Wahlbeobachter einher, so daß nunmehr keinerlei noch so rudimentäre Kontrolle des Füllens der Urnen und der Stimmenauszählung mehr erfolgte. Damit glitt die Situation vollends ins Absurde: Da die algerische Verfassung außer Erkrankung oder Tod eines Kandidaten keine anderen Gründe für ein Ausscheiden vorsieht, blieben die Wahlzettel mit den Namen der bereits nicht mehr im Rennen befindlichen Kandidaten in den Wahlbüros liegen. Die Wähler konnten also zwischen sieben Wahlzetteln wählen, von denen sechs die Namen von Bewerbern trugen, die gar nicht mehr zur Verfügung standen.

Der verbleibende Kandidat nun hatte bereits am Wahltag den Staatsapparat gewarnt, er trete das höchste Amt nur an, wenn Stimmenzahl und Wahlbeteiligung sich sehen lassen könnten. Die am Freitag mittag verkündeten Resultate enttäuschten nicht: 73,8 Prozent der Stimmen sollen demnach für Bouteflika abgegeben worden sein, bei einer Wahlbeteiligung von offiziell 60,25 Prozent. Dies entspräche 7,5 Millionen Stimmen und damit einer höheren Anzahl von Wählern, als sein Amtsvorgänger Zéroual im November 1995 erreicht hatte. Der hatte sein Ergebnis von sieben Millionen immerhin bei einem Wahlgang geholt, der zwar nicht frei von Fälschung, aber von einer massenhaften und euphorischen Mobilisierung der Wähler (auch in der französischen Emigration) begleitet war. Von der damals nach vier Jahren Krise und Massakern aufkeimenden Hoffnung war diesmal nichts zu verspüren.

Von den zurückgetretenen Kandidaten schnitt Ahmed Talib Ibrahimi am besten ab. Wie der neue Präsident Bouteflika kommt er aus der Nomenklatura der realsozialistisch-antikolonialen Einheitspartei FLN (Nationale Befreiungsfront), trat aber in diesem Jahr als Kandidat der islamischen Fundamentalisten - unterstützt von der verbotenen Islamischen Heilsfront (FIS) - an. Nach den offiziellen Angaben erhielt der Ex-Kandidat Talib Ibrahimi 12,5 Prozent der Stimmen, gefolgt von dem radikalen Islamisten Abdallah Djaballah, der vier Prozent erreichte.

Mit fast zwei Millionen Wählern entfielen nach diesen Angaben die meisten abgegebenen Oppositionsstimmen auf zwei islamistische Kandidaten. In Wirklichkeit aber kann zumindest im aktuellen Kontext - in dem die offiziellen Wahlresultate keinerlei Realitätsgehalt für sich beanspruchen können - das veröffentlichte Ergebnis eher als Versuch der militärischen Machtelite gedeutet werden, den islamischen Fundamentalismus zur einzigen Opposition aufzubauen. Damit könnte sie den Anschein erwecken, es bestehe nur die Wahl zwischen Militärs und Fundamentalisten - oder die Möglichkeit eines Kompromisses zwischen beiden.

Tatsächlich besteht mit Bouteflika als Präsident die Aussicht auf einen möglichen Kompromiß zwischen Militärs und Anhängern einer Islamischen Republik. Bouteflika hatte 1965 zu den Nutznießern des Militärputsches unter Oberst Boumedienne gehört, mit dem der linke Flügel der nationalen Befreiungsbewegung FLN ausgeschaltet worden war. 1978 war Bouteflika zeitweise als Nachfolger des verstorbenen Präsidenten Boumedienne gehandelt worden. Doch die Generäle entschieden anders und machten den leicht manipulierbaren Chadli Bendjedid zum Staatschef. 1994, als die Generäle zwei Jahre nach einem neuen Präsidenten anstelle des ermordeten Amtsinhabers Mohammed Boudiaf gesucht hatten, fiel ihre Wahl auf Bouteflika. Doch dieses Mal wollte der nicht - weil die Militärs ihm nicht zugestehen wollten, den (Anfang 1992 verbotenen) FIS an Gesprächen für eine politische Konsenslösung zu beteiligen.

Im zurückliegenden Wahlkampf hat Bouteflika dies mehrfach betont und seine Bereitschaft unterstrichen, "mit allen" zu reden, auch mit "den Männern in den Bergen", den Angehörigen bewaffneter islamistischer Gruppen. Ferner stellte Bouteflika die Möglichkeit einer Generalamnestie in Aussicht - allerdings mit dem vorsichtigen Hinweis, hierfür sei ein Referendum unabdingbar. Weniger sanfte Worte fand er im Wahlkampf für Journalisten ("Klatschweiber im Dampfbad") oder für seinen Gegenkandidaten Ait-Ahmed, den er als "Zionisten" beschimpfte.

Beobachter wie der FLN-Historiker Mohammed Harbi vermuten, Bouteflika werde in Zukunft weniger leicht durch die Generäle manipulierbar sein als seine Vorgänger, da er der bisherigen kollegialen Führung durch die Militärs eine Art "Cäsaren-Regime" vorziehe.

Am Freitag publizierte eine Gruppe "freier Offiziere" in Algier Angaben über die tatsächliche Wahlbeteiligung, die sie mit 23,03 Prozent bezifferten. Ein Kennzeichen für Risse innerhalb der Armee? Oder aber, wie manche Beobachter vermuten, ein Versuch des Militärs, Bouteflika frühzeitig an die Kandare zu nehmen und vor Alleingängen zu warnen? Das ist derzeit unklar, ebenso wie die Mobilisierungsfähigkeit der zurückgetretenen Kandidaten. Eine Protestdemonstration gegen die Wahlfarce am Freitag wurde von den Behörden verboten und angesichts einer beeindruckenden Mobilisierung von Anti-Aufstands-Einheiten auch von den Veranstaltern abgeblasen.

Ein nächster Protestmarsch ist nun für den 26. April angesetzt.