Sellout in Schweden

Immer mehr Traditionsunternehmen wandern ins Ausland ab

Wann immer Urlauber während ihrer Reise besonders idyllische Plätze entdecken, stellen sie sich vor, wie es wäre, dort ein eigenes Ferienhaus zu besitzen. Was jedoch beispielsweise in Südeuropa, genügend Geld vorausgesetzt, ein relativ einfaches Vorhaben ist, gestaltete sich in Skandinavien bis zum Jahr 1993 als nahezu unmöglich. Ausländer durften dort nur in seltenen Ausnahmefällen - entweder, wenn sie ihren ständigen Wohnsitz im Lande hatten, oder, wie Horst Tappert, besonders prominent waren - Grundstücke kaufen.

In Schweden wurden diese gesetzlichen Bestimmungen Mitte der neunziger Jahre gelockert. Fortan hingen in jeder deutschen Bank-Filiale Angebote für schwedische Ferienhäuser, und die Bundesbürger griffen gern zu. Zumal Grundstücke recht billig waren, denn auf dem schwedischen Markt gab es, begünstigt durch die damalige Rezession, ein Überangebot an Immobilien.

"Die Deutschen kaufen Schweden auf" lauteten in dieser Zeit die Schlagzeilen der Lokalzeitungen an der touristisch besonders erschlossenen Südküste, aber die angekündigten Horrorszenarien - deutsche Flaggen wehen an schwedischen Küsten - blieben aus. Die Krise hatte in der Zwischenzeit auch Deutschland erreicht.

Statt dessen begann ein anderer Sellout, denn mit der Aufhebung der Besitzbeschränkungen hatte sich Schweden auch für ausländische Investoren geöffnet. Seitdem sind etwa 500 schwedische Unternehmen an ausländische Firmen verkauft worden, in einem Gesamtwert von fast 100 Milliarden Mark. Darunter sind auch solche, die nicht nur in Skandinavien als "typisch schwedisch" angesehen werden: Der Kamerahersteller Hasselblad z.B., der jetzt ebenso wie Wasa-Knäckebrot Schweizer Unternehmen gehört, der Süßwarenproduzent Freia-Marabou, der in die USA verkauft wurde, und die älteste Aktiengesellschaft der Welt, Stora Kopparberg, die nun ihren Sitz in Finnland hat. In Schweden mußte man sich erst noch an die Übernahmen gewöhnen, denn jahrelang expandierten schwedische Firmen wie Ikea, Ericsson und Electrolux ins Ausland.

Schlagzeilen machte zuletzt die Übernahme des schwedischen Automobil-Herstellers Volvo durch Ford. Während der Tenor in "schwedischen" Zeitungen wie dem mittlerweile einem norwegischen Unternehmen gehörenden Aftonbladet lautete, Ford habe "ein Stückchen Schweden" gekauft, sah man den Handel z.B. in den USA als völlig normal an: "Ein Wal verschluckte einen Aquariumsfisch" lautete dort die nüchterne Einschätzung.

Diese Unaufgeregtheit wurde von der schwedischen Regierung bisher geteilt: Wirtschaftsminister Björn Rosenberg verwies gern auf das Geld, das durch die Aufkäufe schwedischer Unternehmen zusätzlich ins Land fließt - allein im letzten Jahr waren es umgerechnet rund 40 Milliarden Mark. Ministerpräsident Göran Persson zeigte sich stolz darüber, daß schwedische Firmen so attraktiv für ausländische Investoren sind, und Finanzminister Erik sbrink sah keinen Grund für Steuersenkungen.

Es waren zunächst nur ausländische Experten, die Alarm schlugen. Die US-amerikanische Business Week titelte Anfang des Monats: "Die Schweden AG ist im Begriff, sich aufzulösen" - die jüngsten Aufkäufe schwedischer Unternehmen seien, so das Blatt, erst der Anfang, langfristig würden immer mehr Firmen ihren Hauptsitz aus Schweden ins Ausland verlegen. Die derzeitige schwedische Arbeitslosenquote von zehn Prozent werde dadurch unweigerlich "auf ein wesentlich höheres Niveau ansteigen".

Die schwedische Regierung weigere sich "nahezu mutwillig", über Lösungen wie Senkungen der Unternehmenssteuern oder einem Beitritt des Landes zum Euro nachzudenken, schrieb die Zeitung. "Volvo werden weitere Firmen folgen, und dadurch werden Vermögen, Arbeitsplätze und Ideen außer Landes geschafft."

Neben den hohen Steuern und Sozialabgaben werden vor allem die Sondergesetze, wie die Doppelbesteuerung von Aktien, als Gründe für die Verlagerung schwedischer Unternehmen ins europäische Ausland benannt. Bei Verlegungen der Firmensitze fallen in Schweden jedoch vor allem die Arbeitsplätze in den unteren Lohngruppen weg, denn außerhalb der Landesgrenzen sind Facharbeiter billiger zu haben. Sicher sind nur die Jobs der Spitzenkräfte: Göran Lagerström von der Wirtschaftsprüferfirma Ernst & Young rechnet beispielsweise vor, daß Firmen bei diesem Personenkreis allein bei den Beiträgen für die Rentenversicherung ("selbst in Deutschland!") sehr viel Geld sparen können, ohne daß dies Einfluß auf die Höhe der späteren Pensionen haben werde.

In Zukunft wird man aber die Firmensitze vielleicht nicht mehr in besonders steuergünstige Länder wie Irland verlegen müssen. Man kann dann in Skandinavien bleiben, denn die schwedische Wirtschaftszeitung Dagens Industri berichtete Ende letzten Jahres, daß der dänische Finanzminister Ole Stavad einen Gesetzesentwurf vorbereitet, der Investitionen in Dänemark erleichtern soll.

Demnach sollen z.B. Konzerne, die ihren Hauptsitz im Land haben, künftig nicht mehr die Gewinne ihrer ausländischen Tochterunternehmen in Dänemark versteuern müssen. Auch die bisher geltende Quellensteuer für dänische Unternehmen, die Teil ausländischer Konzerne sind, soll entfallen - Dänemark könne damit, so prognostizierte Dagens Industri, zu "Europas attraktivstem Steuerland" werden.

Schwedische Politiker zeigten sich bisher davon wenig beeindruckt. Überdies ist man zur Zeit weniger mit ausländischen Plänen beschäftigt, denn seit Montag letzter Woche hat man einen neuen Finanzminister. Der alte, Erik sbrink, war zuvor völlig überraschend als 14. Minister in der Amtszeit des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Göran Persson zurückgetreten. Er habe, begründete er seinen Schritt auf einer Pressekonferenz, keine Unterstützung mehr vom Regierungschef gehabt. Persson hatte ein Tag zuvor für das nächste Jahr Steuersenkungen in Höhe von umgerechnet fünf Milliarden Mark in Aussicht gestellt - entgegen den Plänen seines Finanzministers.

sbrinks Nachfolger Bosse Ringholm, von den Medien schon seit längerer Zeit als "Schwedens langweiligster Mann" bezeichnet, gilt als ein enger Vertrauter Perssons. Ob allerdings von dem als sehr konform geltenden Ringholm eine neue Finanzpolitik zu erwarten sein wird, ist zweifelhaft. Auf Fragen nach seiner persönlichen Meinung, etwa zum umstrittenen Beitritt Schwedens zur Europäischen Währungsunion, "hielt er sich strikt an die Parteilinie", schrieb das Aftonbladet. "Eine eigene Auffassung scheint er nicht zu haben. Er macht den Eindruck, daß er, würde er mitten in der Nacht geweckt werden, fehlerfrei die Parteistandpunkte zu allen wichtigen Fragen aufsagen kann."