Automatisch der Arsch

Bei der Krisenbewältigung greift der Multi-Kulti-Club TeBe zu gängigen Mitteln: Ausländer machen nur Ärger, jetzt sollen deutsche Spieler her

Der Stadionsprecher des Berliner Fußball-Zweitligisten Tennis Borussia brach sich beinahe die Zunge, als er bei einem Heimspiel das offizielle Statement der Mannschaft zum gerade begonnenen Nato-Krieg um das Kosovo verlas. Denn schließlich handelte es sich bei der Stellungnahme um ein sorgsam austariertes Konstrukt in filigranem Juristen-Deutsch, wie es nie ein Kicker zustande bringen könnte - es sei denn, er studierte nebenher Völkerrecht.

Die komplizierte Sprache entspricht der augenblicklichen Lage bei TeBe, dem Verein, der stolz ist, überall als "Multi-Kulti-Team der 2. Liga" bezeichnet zu werden. "Mehr als nur Fußball" will der Traditionsclub aus Charlottenburg bieten, und Zuschauer mit gewaltfreiem Treiben ohne Hooligans und der sehenswerten Spielkunst einer Mannschaft mit aus neun verschiedenen Ländern stammenden Akteuren ins Stadion locken.

Bis zur Winterpause klappte deren Zusammenspiel auch sehr gut, der geplante Aufstieg in die Erste Liga war durchaus möglich. Bis die Krise im Kosovo zum Krieg eskalierte. Plötzlich aber scheint es vorbei zu sein mit der schönen, heilen TeBe-Welt, denn seit der sportliche Erfolg ausbleibt, ist auch das Team gespalten. Torhüter Goran Curko, der im serbischen Novi Sad aufwuchs, und Libero Dejan Raickovic aus Montenegro wollten zum Beispiel zu Beginn des Nato-Bombardements gegen ihre Heimat Jugoslawien mit Trauerflor auflaufen.

"Das könnte ich seit über einem Jahr tun", beschwerte sich daraufhin Stürmer Harun Isa, der zur albanischen Minderheit in Mazedonien gehört und dessen Familie in Tetovo 14 Kosovo-Flüchtlinge aufgenommen hat. Auch andere nicht-serbische Kollegen vom Balkan zeigten wenig Verständnis für Curko und Raickovic, und plötzlich erinnerte man sich auch daran, daß sich die beiden noch im Februar im spanischen Trainingslager mit den Hotelnachbarn von Obilic Belgrad, dem amtierenden jugoslawischen Landesmeister, sehr gut verstanden hatten. Obilic gehört dem in deutschen Medien als "Schlächter" bezeichneten Paramilitär Arkan, dem vorher so normalen gemeinsamen Kickerspiel unter Landsleuten maß man plötzlich eine völlig neue Bedeutung bei.

Schon als der neue TeBe-Trainer Winfried Schäfer Ende März das erste Mal die Kabine seiner Mannschaft betrat, ahnte er, daß die ihn erwartenden Probleme sehr groß sein würden. Statt der in Sportlerumkleiden obligatorischen bunten Heftchen aus der Fußballwelt entdeckte er politische Reportagen aus dem Krisengebiet. "Haben wir denn viele Jungs, die vom Krieg betroffen sind?" fragte der Duzfreund von Ex-Außenminister Klaus Kinkel besorgt. "Ich werde mit den Jungs reden!" versprach Schäfer, der früher beim Karlsruher SC zwölf Jahre mit Kickern aus insgesamt zwölf Nationen zusammenarbeitete und der nicht im Ruf steht, Ressentiments gegen Ausländer zu haben.

Was der Sportlehrer zu hören bekam, dürfte ihn sofort alarmiert haben. Curko und Raickovic etwa versuchen vor, nach und zwischen den Trainingseinheiten, telefonisch ihre Verwandten und Freunde im Kriegsgebiet zu erreichen, ebenso wie Isa. Raickovic, so erzählten Mannschaftskameraden, rede kaum noch, er ziehe sich zunehmend in sich selbst zurück. Curko dagegen verschaffte sich Luft, indem er etwa einen Journalisten anfuhr, der ihn in einem ansonsten wohlmeinenden Artikel versehentlich als "Kroaten" bezeichnet hatte. "Ich bin Jugoslawe", rief Curko, "mein Land wird von der Nato bombardiert."

Der Mazedonier Toni Micevski trauerte derweil einem geplanten Einsatz in der Nationalmannschaft nach, auf den er sich so sehr gefreut hatte. Das Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft gegen Irland hatte kurzfristig abgesagt werden müssen, weil in das für die Gäste-Elf reservierte Hotel in Skopje Uno-Soldaten einquartiert worden waren. Dabei hatte sich Micevski, dem Tennis Borussia von der Reise in die Region eindringlich abgeraten hatte, sogar schon eine Fluchtroute ausgesucht, falls die Lage eskalieren würde: Mit Ehefrau Maria und Tochter Sara wollte er dann über Griechenland nach Berlin zurückkehren. Trainer Schäfer äußerte sich über diese und andere Geschichten, die er von seinen Spielern erfahren hatte: "Es ist nicht leicht, mit so einer Multi-Kulti-Truppe zu arbeiten, die Charaktere sind sehr verschieden."

Als der sportliche Erfolg dann jedoch weiter ausblieb und TeBe nach einer sportlich unerklärbaren Pleiteserie ins fußballerische Mittelmaß abzustürzen drohte, bröckelte die Multi-Kulti-Fassade des Vereins weiter ab. Auch innerhalb der Mannschaft, die mangels Siegen auf Geldprämien verzichten muß, wurde die Schuldfrage immer offener gestellt. Auf der Suche nach Erklärungen wurden dort gleich auch Sündenböcke gesucht. Solche zu finden, ist in Fußballvereinen sehr einfach, im Zweifel sind es meistens die ausländischen Spieler.

Das wußte schon Anthony Yeboah, der vor Jahren erklärte: "Ich bin der Held, solange es gut läuft." Spiele das Team nur ein wenig schlechter, so fuhr er fort, sei er "automatisch der Arsch". Bei Schalke 04 waren die niederländischen Spieler zum Beispiel auch nur solange die Helden, wie der Verein einen guten Tabellenplatz belegte. In der Krise wurden sie automatisch zu deren Verursachern; Trainer Hub Stevvens wurde nahegelegt, doch verstärkt deutsche Kicker zu kaufen.

Beim Multi-Kulti-Club TeBe boten sich die Spieler als Sündenböcke an, die als Jugoslawen sowieso in der deutschen öffentlichen Meinung schlecht angesehen sind. "Die Jugos sollen sich endlich zusammenreißen, schließlich verdienen sie hier gutes Geld", erklärte denn auch ein Kritiker aus dem Vereinsumfeld, der allerdings anonym bleiben wollte. Schließlich war es der Torschützenkönig des Vereins Kresto Kovacec, ein in Kroatien geborener Hamburger mit deutschem Paß, dem der Kragen platzte: "Wir haben viele Ausländer im Team, die sich oft nicht so verhalten, wie es im deutschen Profi-Geschäft notwendig ist. Wenn man denen die lange Leine gibt, artet es aus."

Kovacec wurde gleich darauf von der Vereinsführung zwar zurechtgewiesen, aber wahrscheinlich sprach er nur das aus, was viele Offizielle denken. Denn auch Winfried Schäfer bemerkte kurz darauf, daß es - zum Wohle des Vereins, der viel Geld in den angestrebten Aufstieg investiert habe - einer Korrektur im personellen Bereich bedürfe. "Ich möchte mit jungen deutschen Spielern arbeiten", kündigte er Konsequenzen an, "Akteure aus neun Nationen sind mir zuviel, die Reibereien sind zu groß." Die Berliner Boulevardzeitung B.Z. formulierte das griffiger: "TeBe wird deutsch!" titelte sie. Und genauso kam Schäfers Erklärung an, z.B. bei den zahlreichen türkischen Berlinern, die hauptsächlich ins Mommsenstadion kommen, um ihre drei Landsleute im TeBe-Trikot spielen zu sehen. Ibrahim Bayram, der Berater der drei in Berlin geborenen, mittlerweile eingebürgerten Profis, erklärte aufgebracht: "Wenn man uns nicht mehr will, soll man es sagen!"

Der Coach habe jedoch in erster Linie die beiden Borussen-Spieler gemeint, die kein Deutsch sprächen, nämlich den Mazedonier Goran Stankovski und den Slowaken Iwan Kozak, hieß es daraufhin, Kicker, die, so Schäfer, nicht einmal verstehen könnten, "ob ich sie anfeuere oder anmache". Dabei handelt es sich bei diesem Sprachproblem eigentlich um ein zweitrangiges, denn die beiden Kicker gehören nicht zur Stammelf - die zu großen Teilen sowieso aus in Deutschland geborenen Spielern besteht. Wie einfach man mit vom Krieg betroffenen Spielern auch umgehen kann, bewies in den letzten Tagen der VfB Stuttgart: Den "Schwabenserben" Djordjevic und Risitc sowie dem kürzlich eingekauften Serben Markovic wurde einfach freigestellt, ob sie spielen wollten oder nicht.