Europa und der Bodenkrieg

Balkanschach

Nichts ist derzeit für die Nato so explosiv wie eine Ausweitung des Krieges zum Bodenkrieg. Das vehemente Beharren der Nato auf der Behauptung, die bisherige Strategie führe bereits zum Sieg, hat vor allem einen Zweck: Die Mitgliedsstaaten des Bündnisses zu beruhigen. Denn militärisch hat sich der Luftkrieg als Flop erwiesen. Die Infrastruktur in Serbien ist um Jahrzehnte zurückgeworfen, aber die Handlungsfähigkeit der jugoslawischen Armee selbst nach Nato-Angaben kaum beeinträchtigt.

Was jetzt bevorsteht, ist nicht nur eine Eskalation am Boden, sondern auch eine zunehmende Konfrontation zwischen den Europäern und den USA. Bisher sind nur die USA und Großbritannien bereit, den Krieg bis zur letzten Konsequenz in das Kosovo zu tragen. Eine blutige Schlacht im Kosovo ist hingegen das letzte, was sich die restlichen europäischen Nato-Staaten wünschen. In den meisten Ländern wird dies zu schweren innenpolitischen Krisen führen - zuerst in Deutschland. Auf ihrem Himmelfahrts-Parteitag hätten die Grünen dann plötzlich über den Einsatz deutscher Landser zu entscheiden. Und selbst wenn die Koalition platzen sollte - Schäuble und Stoiber insistieren zumindest bis heute darauf, ein Bodenkrieg mit deutscher Beteiligung sei mit ihnen nicht zu machen.

Auch in Frankreich ist die Stimmung für diese Option alles andere als euphorisch. Selbst der Vorstoß Washingtons, eine Seeblockade gegen Jugoslawien zu verhängen, stößt in Paris auf Widerspruch. Italien ist ebenfalls ein wackeliger Kandidat. Ein Drittel der Abgeordneten der Mitte-Links-Koalition hat vergangene Woche die Beendigung des Krieges gefordert. Auch die Opposition bis hin zu den Neofaschisten hält nicht viel von der Idee, daß italienische Soldaten für die Ziele der nationalistischen Kosovo-Befreiungsarmee sterben sollen. Ähnlich ist die Haltung in den Ländern der europäischen Peripherie. Die neuen Nato-Mitglieder in Osteuropa sind alles andere als begeistert, kurz nach ihrem Beitritt prompt in einen Krieg verwickelt zu werden - und dadurch eine Konfrontation mit Rußland zu riskieren. Und in Griechenland, wichtiger logistischer Stützpunkt für die Nato, sind Umfagen zufolge 96 Prozent der Bevölkerung gegen den Einsatz; im Land herrscht ein nationaler Konsens gegen den Krieg - und gegen die Führungsmacht USA.

In Europa artikuliert sich ein zunehmend offener Anti-Amerikanismus. Und der reicht quer durch alle Lager und läßt darauf schließen, daß eine weitere Eskalation gegen die Interessen der Europäer ist. Der Krieg wird auf ihrem Kontinent ausgetragen, die Folgekosten, die ein völlig zerstörter Balkan vermutlich auf Jahrzehnte nach sich ziehen würde, sind kaum zu kalkulieren. Ähnlich schwer ist die Entwicklung der Beziehungen zu Rußland abzusehen: Allein der geographischen Nähe wegen kann sich die Europäische Union einen neuen Kalten Krieg - von einem heißen ganz zu schweigen - nicht leisten.

Den USA ist der Unmut des europäischen Establishments nicht unbekannt. Nicht zufällig scheint der kontinentale Partner Großbritannien derzeit die treibende Kraft für den Einsatz der Bodentruppen zu sein: Mit der sich abzeichnenden stufenweisen Eskalation am Boden, die mit begrenzten Zielen und dem Einsatz einer verhältnismäßig geringen Anzahl von Truppen bald beginnen könnte, würden allerdings neue Sachzwänge geschaffen. Nach einem gemeinsamen britischen und US-Vorstoß könnten sich die restlichen Bündnisländer - so die Kalkulation - kaum ihrer Verpflichtungen entziehen. Dann müßten die Kontinentaleuropäer bis zum bitteren Ende des Bodenkriegs mitmarschieren.

Und genau das paßt den Europäern nicht. Sie sind nicht gegen den Krieg auf dem Balkan, wohl aber artikulieren sie gegen den Führungsanspruch der USA ihre eigenen strategischen Interessen. In Serbien wie in Brüssel wird derzeit zwischen der EU und den USA die künftige Vormachtstellung ausgefochten.

Die Opposition gegen die neuen europäischen Ambitionen und den nationalistisch gefärbten Anti-Amerikanismus halten sich bisher in Grenzen: Äußerungen wie von griechischen Soldaten aus mehr als 80 Einheiten, die in einem Aufruf erklärten, "wir kämpfen nicht für die Nato, die EU und griechische Oligarchie", sind bisher die Ausnahme.