Bis zum Kollaps

Die geplante Nato-Seeblockade von Jugoslawien wird die Region weiter destabilisieren

Wer seinen Panzer liebt, der schiebt. In den Gewässern vor der Küste der einzigen jugoslawischen Teilrepublik Montenegro wird der Krieg der Nato gegen Jugoslawien in den nächsten Tagen einen Qualitätsschub erfahren: Die westliche Allianz plant nun, Öltanker mit Ziel Jugoslawien zu stoppen und damit die Mobilität der jugoslawischen Truppen im Kosovo deutlich zu verringern. Tagelang hatte die Nato Ölraffinerien und Treibstoffdepots in der gesamten Föderation angegriffen, doch an Treibstoff mangelt es den im Kosovo wütenden Truppen Milosevics noch nicht. Die Seeblockade könnte aber tatsächlich zumindest kurzfristig Erfolg im Sinne der Nato haben: Jugoslawien muß zwei Drittel seines Treibstoffbedarfs importieren, täglich brauchen die Jugoslawen 52 000 Barrel Öl aus dem Ausland.

Allerdings birgt die angepeilte Seeblockade eine ganze Reihe anderer Gefahren, die nicht so leicht zu kalkulieren sind wie der Treibstoffverbrauch von Panzern und Mannschaftswagen. Schon jetzt wird der Platz in den Gewässern des Mittelmeeres knapp: Neben den Schiffen der westlichen Allianz befinden sich auch russische Schiffe in den Gewässern vor Montenegro. Schon hat Rußland angekündigt, das Ölembargo der Nato schlicht zu ignorieren und Jugoslawien weiterhin mit dem Stoff zu versorgen.

Auch für das kleine Montenegro wird die Nato-Seeblockade zum Risiko: Es hat sich bisher mit allerlei politischen Verrenkungen aus dem Kosovo-Krieg absentiert; allerdings müßte die in montenegrinischen Häfen stationierte jugoslawische Marine reagieren, sobald Nato-Schiffe in jugoslawischen Hoheitsgewässern operieren und Tanker aufbringen. Der Milosevic nicht unbedingt freundlich gesinnte montenegrinische Präsident Milo Djukanovic wäre dann erneut gefordert, eine direkte Konfrontation einerseits mit der Nato und andererseits mit den jugoslawischen Militärs zu vermeiden.

Dabei fällt ihm das schon jetzt schwer: Mehrmals hatte Djukanovic die Nato aufgefordert, Ziele in Montenegro zu verschonen, mehrmals hatten die Cruise Missiles Ziele in der Provinzhauptstadt Podgorica angegriffen. Die Position des gemäßigten Politikers Djukanovic wird damit im eigenen Land geschwächt: Bisher hat er es verstanden, Unabhängigkeitsbestrebungen unter montenegrinischen Separatisten zu unterbinden und andererseits auf Distanz zu Milosevic zu gehen. Rund 70 000 Albaner aus dem Kosovo sind in die jugoslawische Teilrepublik geflohen, werden von der montenegrinischen Polizei beschützt und von der in Montenegro stationierten jugoslawischen Armee verfolgt.

Während einer Kundgebung in der vergangenen Woche forderte der jugoslawische Premierminister und montenegrinische Rivale von Präsident Djukanovic, Momir Bulatovic, die lokalen Polizeibehörden hätten sich den Befehlen der jugoslawischen Armee zu beugen - oder sie "werden nicht länger existieren". 10 000 montenegrinische Serben hatten die Kundgebung im Zentrum Podgoricas besucht und unterstützten in Sprechchören Slobodan Milosevic und dessen Politik. Momir Bulatovic wußte seine Anhänger zu begeistern, als er die Rechtmäßigkeit der montenegrinischen Regierung bezweifelte: "Präsident Djukanovic wurde in jenem Moment entmachtet, als die ersten Nato-Bomben auf Jugoslawien fielen", so der Hardliner aus Belgrad. Damit spielte Bulatovic auf die Weigerung seines Rivalen Djukanovic an, in Montenegro den Kriegszustand auszurufen und sich damit der föderalen Regierung zu unterstellen.

Bislang hat Montenegro sich auch erfolgreich geweigert, montenegrinische Reservisten einzuberufen und sie in das Kosovo zu schicken. Der Widerstand ist ein Ausdruck der Weigerung Djukanovics, die Politik der zentralen Regierung in Belgrad überhaupt anzuerkennen. Allerdings drängt der montenegrinische Präsident nicht auf eine Sezession Montenegros: Nur 40 Prozent seiner Bevölkerung unterstützen laut letzten Umfragen eine Lossagung der Küstenrepublik. Außerdem würde eine Unabhängigkeitserklärung sofort zum Eingreifen der in Montenegro stationierten jugoslawischen Armee führen, und die etwa 7 000 gegenüber Djukanovic loyalen Polizisten könnten gegen die dreifache Übermacht wenig ausrichten.

Außerdem weiß der montenegrinische Präsident, wie sehr er die Geduld Milosevics strapazieren kann, ohne in direkte Konfrontation zu geraten: Die Abspaltung des Landes würde Jugoslawien endgültig von der Landkarte tilgen, nur noch Serbien und die Provinz Vojvodina blieben dann vom einstigen Vielvölkerstaat übrig. Damit würde der Belgrader Präsident Gefahr laufen, selbst von den eigenen Untertanen als Zerstörer Jugoslawiens gesehen zu werden. Auch die Degradierung Jugoslawiens zum wirtschaftlich völlig isolierten Kleinstaat würden wohl sogar die auf Milosevic fixierten Serben nicht so ohne weiteres hinnehmen können. Schließlich würde damit auch der letzte Zugang zur Adria versperrt sein. Und Djukaovic weiß durchaus von der Wichtigkeit der montenegrinischen Häfen für die Aufrechterhaltung des für Jugoslawiens Wirtschaft so wichtigen Schmuggels.

Schmuggel ganz anderer Art floriert in der 1991 von Jugoslawien losgelösten Republik Mazedonien: Mit den etwa 150 000 albanischen Flüchtlingen sind nach Angaben aus Skopje auch vermehrt UCK-Kader in das Land eingesickert. Der mazedonische Innenminister Pavle Trajanov meinte letzte Woche, die UCK plane eine Rebellion in Mazedonien und stachele dazu auch die Flüchtlinge aus dem Kosovo auf. Trajanov beschuldigte die UCK auch, die westliche Region Mazedoniens "annektieren" und diese Gebiete Albanien anschließen zu wollen. Die mazedonische Polizei hätte einige Waffenlager der UCK ausgehoben und wisse von UCK-Quartieren in Veles und Bozovac. In Skopje machen auch Gerüchte von einem Rekrutierungszentrum im Dorf Poroj die Runde.

Die Landnahme der UCK macht durchaus Sinn: In der Region rund um die Stadt Tetovo sind die Albaner in der Mehrheit und daher weitgehend unbehelligt von den argwöhnischen mazedonischen Zentralbehörden. Auch strategisch liegt Mazedonien für einen Einsatz im Kosovo wesentlich günstiger als Albanien: Die Wege in das Kosovo sind für eventuell eindringende UCK-Rebellen leichter zu bewältigen, die jugoslawische Bundsarmee konzentriert sich außerdem vor allem auf die Grenze zu Albanien.

Mazedoniens Wirtschaft hingegen steht am Rande eines Kollaps: Die Industrie des Landes ist wesentlich auf Rohstoffe angewiesen, die auf dem Landweg durch Jugoslawien nach Mazedonien kommen. Doch weil diese Verbindungen nun blockiert sind, stehen in Skopje und Umgebung alle Räder still: Alleine in der Textilindustrie mußten 8 000 Menschen nach Hause geschickt werden. Nach Angaben des Staatssekretärs im mazedonischen Außenministerium, Tichomir Ilievski, stehen die sieben größten Industrieanlagen des Landes im Moment still.

Zusätzlich belastet wird die Wirtschaft des Landes auch durch die Flüchtlingsmassen: Wegen der finanziellen Hilfe und der Folgen des Krieges könne man für das nächste Jahr kein Budget erstelle, die ausländischen Investoren hätten Mazedonien großteils verlassen. Ilievski: "Wenn der Krieg nicht bald aufhört, ist Mazedonien voraussichtlich bis Ende des Jahre völlig bankrott."