Das Lachen unterliegt

Eine Antwort auf Tobias Ofenbauers Kritik an Roberto Begninis "Das Leben ist schön".

In einem Beitrag für Jungle World Nr. 15/99 beschäftigte sich Tobias Ofenbauer mit der Frage, warum Roberto Begninis Film "Das Leben ist schön" sowohl die Kritiker als auch das Publikum begeisterte, und formulierte die These, daß die Sinnlosigkeit der Vernichtung bei Begnini in ihr Gegenteil umschlage - in sinnstiftenden Humor. Das rettende Lachen, das Begnini postuliert, erlaube dem Zuschauer das Kino mit einem Gefühl der Versöhntheit zu verlassen, kritisierte der Autor: "(...) Auschwitz (ist) endgültig als verwertbares Thema der Kulturindustrie etabliert."

Die Kritik stieß bei einigen LeserInnen und AutorInnen auf heftigen Widerspruch. Carmen Dehnert und Lars Quadfasel antworten in ihrem Beitrag auf die Thesen von Tobias Ofenbauer. (Red.)

Wenn ein Film in den deutschen Feuilletons als "Holocaustkomödie" angepriesen wird, in der das Lachen über das Grauen triumphiere und derlei Geschwurbel mehr, dann ist, ganz recht, Mißtrauen angezeigt. Zu mißtrauen ist aber ebenso und prinzipiell den deutschen Feuilletons, vor allem, wenn es um die Verbrechen ihrer Landsleute geht. Nie kann man vorab sicher sein, ob hier tatsächlich wieder einer Spielbergs Werk fortsetzt, die Täter zu bauchpinseln, oder ob die Schindlerdeutschen allesamt sich gar nichts anderes mehr vorstellen können, als daß ausländische Produktionen zur Shoah ihnen erneuten Freispruch verkünden wollen.

Solch Wahnwitz wird offenkundig, wenn Bild in der Rezension von Begninis "Das Leben ist schön" davon schreibt, Protagonist Guido rette seinen Sohn mit Hilfe eines deutschen Arztes. Ungerührt wird auf einen Charakter der gute Nazi projiziert, der im Film Guido jede Hoffnung auf Rettung nimmt. Wer also den Film sehen will, tut, so ist zu vermuten, insgesamt gut daran, sich nicht der verschmockten Lesart zu bedienen, die hierzulande bereitgestellt wird.

Tobias Ofenbauer aber übernimmt leider die gängige Beschreibung und senkt bloß den Daumen da, wo der Rest ihn hebt. (Daß er zu diesem Zwecke die Kulturindustrie-Theorie, wenn auch arg schematisiert, in den Zeugenstand beruft, wird deren Intentionen, vornehmlich des genauen Hinschauens, wenig gerecht. Für Horkheimer und Adorno ist die Komödie keinesfalls a priori die ungeeignete Form der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, wie ihre Kritik an Chaplins "Großem Diktator" in der "Dialektik der Aufklärung" zeigt.)

Eine Komödie wird ohnehin aus dem, was der Regisseur "Fabel" nannte, dann und nur dann, wenn man, wie Ofenbauer, wörtlich nimmt, was förmlich danach schreit, nicht wörtlich genommen zu werden. Das fängt beim Titel an, der ihm bedeutet, nicht trotz, sondern wegen der Vernichtung zu lachen. (Wo "Das Leben ist schön" draufsteht, kann bestimmt nichts Häßliches drin sein, jedenfalls wenn man den Grundkurs "Uneigentliches Lesen" verpaßt hat.) Und wenn Begnini "ulkige Verrenkungen" und "Grimassen" macht, wird das schon lustig gemeint sein.

Wer aber kann darüber lachen, wenn Guido, vom SS-Mann zur Hinrichtung abgeführt, den Stechschritt parodiert, um seinem Sohn zu bedeuten, daß alles zum Spiel gehöre? Und wenn es doch jemand tut - spricht das wirklich gegen den Film? Daß Begnini im KZ den gleichen Clown gibt, den er zuvor als junger Lebemann gegeben hat, heißt eben nicht, daß Lager und Freiheit gleichermaßen Anlaß zum Scherzen sind. Die Tatsache, daß einem bei den komödiantischen Szenen des zweiten Teils das Lachen wegbleibt, strahlt vielmehr auf die des ersten Teils zurück: Was bloß ein bizarrer Einbruch in den Alltag gewesen zu sein schien, gerade gut genug, um sich darüber lustig zu machen, rückt im Verlauf immer näher, bis es schließlich den Spötter zum Narren macht.

Die Rassenlehre des römischen Schulinspektors, Anlaß einer großartig komischen Inszenierung Guidos, erweist sich als resistent gegen ihre Parodie. Jene macht ernst, wo dieser Spaß macht, und der Protagonist muß den Unterschied zwischen Juden- und Chinesenhaß, den er im Witz leugnete, am eigenen Leibe erfahren. Nichts triumphiert über das Grauen, schon gar nicht das Lachen. Es ist von Anfang an ohnmächtig. Witz und Humor sind Privileg des Subjekts. Es eignet sich die Tücken der Welt als Material des originellen Gedankens an oder präsentiert sie als klein und damit lächerlich; immer aber stellt es Distanz her zum Gegenstand. Begninis Subjekt aber ist zu prekär, als daß es lustig sein könnte - schmerzhaft erweisen sich seine Scherze als Versuch, die Illusion aufrechtzuerhalten, der Welt um sich herum gewachsen zu sein. Im KZ wird deutlich, daß die Komödie immer schon eine Verzweiflungstat des Ohnmächtigen war, sich einer Handlungsfähigkeit zu versichern, die objektiv dem zum Objekt Degradierten genommen ist. Der Zwang, der zur Aneignung der Lagerrealität als Anlaß zum Lachen treibt, verhindert zugleich, daß die Aneignung gelingt: Nur noch für seinen Sohn stellt Guido ein Subjekt dar. Dem Publikum aber bleibt nichts zu lachen.

Während Begnini mit dem SS-Mann, dessen Verkündung der Lagerregeln er übersetzt, ohne ein Wort Deutsch zu verstehen, genauso komisch verfährt wie vordem mit dem Schulinspektor, indem er dessen Gesten assoziativ enteignet, seine Autorität als angemaßte lächerlich macht und nach den Regeln des Witzes fremde Lager- und eigene Spielregeln kurzschließt, so ist doch die Übereinstimmung bloß formal. Die Spannung zwischen dem absoluten Subjekt, dem KZ-System, und dem absoluten Objekt, dem ausgelieferten Häftling, läßt sich nicht im Gelächter auflösen. Es bleibt ein unüberbrückbarer Abgrund. Sichtbar wird er gerade darin, daß Begnini die Komödie im Angesicht des Grauens nicht etwa einstellt, sondern konsequent weiterspielt.

In ihrem Scheitern wird enthüllt, was sie scheitern läßt - eine übermächtige Realität, die sich jeder subjektiven Erfahrung und Verarbeitung entzieht, weil sie das Subjekt selbst negiert. Ofenbauer wirft dem Film zum einen vor, "bruchlose Identifikation" mit den Opfern und Mitleid als emotionalen Ausweg bei den ZuschauerInnen zu befördern. Einige Absätze später aber heißt es bei Tobias Ofenbauer, "die ritualisierte Betroffenheitskultur" werde abgelöst durch "Rauschen kulturindustrieller Pointen", also Verhöhnung der Opfer. Ebensowenig wie die Metaphorik trifft einer der beiden Befunde.

Guido taugt weder zur Projektionsfläche, zu jenem einzelnen Menschen, mit dem sich mitfühlen und mitzittern läßt, während hinter ihm die sechs Millionen schemenhaft die Kulisse abgeben, noch wird die schützende Distanz der Objektivität ermöglicht. Ganz kulturindustriell vermögen die ZuschauerInnen sich mit dem von Begnini geschaffenen Charakter, Lebenskünstler und Liebhaber, zu identifzieren; zunächst jedenfalls. Denn im KZ bricht die Identifikation auf, obwohl, oder besser: gerade weil der Protagonist sich treu bleibt. Was zuvor noch so vertraut erschien, der gut geschauspielerte, aber nicht eben sonderlich originelle good guy der Liebeskomödie, wird dem emotionalen Nachvollzug nun entzogen.

Im KZ ist keine Geste, keine Mimik selbstverständlich, weil die Welt, in der sie Sinn ergaben, verschwunden ist. Wer mag erahnen, was in einem vorgeht, der wie Guido seinen Sohn überreden muß, freiwillig in einem Vernichtungslager zu verweilen, der nachgerade perfide, doch mit den besten Absichten Giosuè vorgaukelt, natürlich könne er jederzeit gehen, aber ob er wirklich jetzt aufgeben wolle ...? Fühlt er Erleichterung, Triumph gar, oder doch sich eher schäbig? Wie weit dient die dem Kind zugeeignete Komödie um den zu gewinnenden Panzer auch der emotionalen Stabilisierung des Erwachsenen? Was heißt es, vor der eigenen Hinrichtung den Clown zu machen, damit die Inszenierung erhalten bleibt?

All das läßt der Film im dunkelen, und er tut gut daran. "Nein, man wird nicht versöhnt durch diesen Film, nicht beruhigt und nicht entlastet." (Georg Seeßlen) In den komödiantischen Szenen im KZ wird das Publikum vom Aufbau der Pointe in Beschlag genommen, ohne daß es danach befreit auflachen könnte. Genauso hilflos steht es Guido als Charakter gegenüber, dem die eigenen Gefühle beizulegen in dem Moment nicht gelingt, in dem es nach kulturindustrieller Logik erforderlich wäre, auf dem Höhepunkt des Spannungsbogens.

Ob es angemessen ist, Guido mit Mitleid zu begegnen oder mit Hochachtung, ob seine Scherze zu bewundern sind oder zu bedauern, ob mit ihm Hoffnung oder Verzweiflung zu durchleiden ist, dazu verweigert Begnini die Aussage. Er entzieht das Identifikationsangebot, auf das doch der ganze Film hin komponiert ist. Mit seiner emotionalen Verstricktheit plötzlich auf sich allein gestellt, vermag aber der Betrachter, der darauf reflektiert, vielleicht erahnen, was das Grauen der Lager ausmachte: einer Realität ausgeliefert zu sein, die jede adäquate Reaktion verunmöglicht. Nach "Aimée und Jaguar" kann man weinen, nach "Das Leben ist schön" sich nicht rühren.

Natürlich hat der Film auch Schwächen. Die Liebesbotschaften im KZ sind zuvörderst zu nennen, wenngleich sie ambivalenter sind als Ofenbauer sie darstellt. Immerhin ist Doras Geste, Mann und Sohn bei der Deportation zu begleiten, sinnlos, denn sie treffen sich nicht einmal; und Guidos Versuch, sie zu retten, bringt ihm den Tod.

Nicht zum Mißlungenen zählt, entgegen des Autors Befund, die Täterdarstellung. Deutscher als der KZ-Arzt Dr. Lessing kann niemand sein. Als Akteur der Vernichtung funktioniert er so wie die anderen dargestellten Vollstrecker: leidenschaftslos, mörderisch normal und stolz darauf. Wie jedes Rädchen, das ein gutes Rädchen im Getriebe sein will, hat er eine Privatsphäre, wo er wahrhaft Mensch sein will; ganz so wie der KZ-Wächter, der nach Dienstschluß seine Magisterarbeit über Goethes Humanismus schrieb. Noch sein privater Spleen aber ist dem Lande Siegfrieds, der verfolgenden Unschuld, angemessen. Ungerührt sentimental verkündet er dem KZ-Häftling Guido, wie ihn ein Rätsel, das er nicht zu lösen vermag, ihn zum unglücklichsten Menschen der Welt mache.

Pathologie kann man diagnostizieren, aber sie ficht die Berechnung, die dem Funktionsträger der Shoah eignet, nicht an, sondern ergänzt sie komplementär ums erbärmliche Jammern, das sich an die Stelle des Gewissens setzt. Besser hätte selbst Wolfgang Pohrt die Landsleute nicht zeichnen können.

Bleibt die Schlußszene, die, so Ofenbauer, den Film auf den Begriff brächte: "Freudestrahlend wird in die Kamera gegrinst. Die sechs Millionen Toten sind vergessen." Der Autor aber vergißt nur einen, eben Guido, und damit entgeht ihm die ganze Abgründigkeit des Finales. Denn ein Happy-End sieht anders aus. Es läßt nicht die Frage offen: Was passiert, wenn Giosuè nach seinem Vater fragt? Vielleicht aber ist es auch doch ein Ende ohne Schrecken, indem es zeigt, was die Alternative zum Schrecken wäre. So reibungslos, wie der GI Guidos Vaterrolle für Giosuè einnimmt, so unverkrampft, wie er sein Lächeln beibehält, während er in ein Vernichtungslager ein- und später dann am Treck der befreiten Häftlinge vorbeifährt, so glatt könnte das Vergessen zu organisieren sein. Unter der Bedingung, den Protagonisten, dem er 90 Minuten gefolgt ist, nicht zu vermissen, kann der Zuschauer sein Herz erwärmen am Familienglück von Mutter und Sohn und den "bombastischen Siegesmarsch" ebensowenig verdächtig finden wie die Tatsache, daß Begninis Fabel einen Sonnyboy aus den USA als Befreier eines der allesamt im Osten gelegenen Vernichtungslager auftreten läßt.

Natürlich könnte die genannte Szene auch das Fürchten lehren, daß der pursuit of happiness nach Auschwitz aus dem "kalten und leeren Vergessen" sich speist. Wenn aber einem schon auffällt, daß Guidos Schicksal dem der sechs Millionen ähnelt, um die sich beim kollektiven Weitermachen niemand scherte, dann ist es umso ärgerlicher, wenn dieser nicht die Metapher erkennt, sondern den Überbringer für die Botschaft schlägt.