Simuliertes Chaos

Von der indonesischen Armee unterstützte Paramilitärs attackieren die Unabhängigkeitsbewegung in Osttimor

Sie nennen sich Aitara (Donner), Mahidi (Leben und Tod für Indonesien), Naga Merah (Roter Drache) oder Besi Merah Putih (Rotes und Weißes Eisen). Insgesamt zählen sie nach eigenen Angaben gemeinsam über 50 000 Mitglieder. Und seit Monatsbeginn, berichtet Leandro Isaac, politischer Koordinator des Conselho Nacional da Resistencia Timorense (CNRT), haben sie zur "Eroberung der städtischen Zentren" Osttimors angesetzt: Paramilitärische Gruppen, die auf jeden Fall verhindern wollen, daß der Osten der Insel Timor sich von Indonesien abspaltet.

Und dazu metzeln sie alle nieder, die ihnen nicht passen. Allein am 17. April dieses Jahres wurden in Dili, der Provinzhauptstadt von Osttimor, über 30 Menschen von den Paramilitärs getötet und etliche weitere verletzt. Am Tag davor hatten die Bewaffneten diese Aktion bereits angekündigt. Auf Flugblättern hieß es, alle Häuser, an denen nicht die rotweiße Fahne der Indonesischen Republik gehißt werde, seien ein Angriffsziel. Bekannte Aktivisten der Unabhängigkeitsbewegung erhielten außerdem Morddrohungen, wollten sich dadurch aber nicht aus der Stadt treiben lassen.

Etwa 80 Lastwagen - vollbesetzt mit pro-indonesischen Paramilitärs - fielen so an jenem 17. April in Dili ein. Die Bewaffneten beschlagnahmten weitere Fahrzeuge, plünderten Geschäfte und stürmten die Redaktion der Tageszeitung Suara Timor Timur sowie Häuser von Leuten, die sich für eine Unabhängigkeit der Provinz einsetzen. Wen die Paramilitärs antrafen, der wurde sogleich erschossen. Andere - wie Isaac oder David Ximenes vom CNRT - waren nicht zu Hause oder suchten Schutz in einer Polizeiwache - und kamen so mit dem Leben davon. Nicht ohne Stolz meldeten die Ordnungshüter, 96 Personen - unter ihnen der prominente Unabhängigkeitsaktivist Manuel Carrascalao - hätten bei ihr Zuflucht vor dem in der Stadt wütenden Mob gefunden.

Gegen die sich als neutral präsentierende Polizei hatte es genauso wie gegen die indonesische Armee (Abri) zuvor etliche Vorwürfe gegeben, die Paramilitärs zu unterstützen. Bei ihren Aktionen standen sie Paramilitärs jedenfalls nicht im Wege und sollen teilweise sogar zugeschaut haben. Bereits Anfang April berichtete der US-Fernsehsender CNN, vor den bewaffneten Pro-Indonesien-Aktivisten fliehende Timoresen seien von Polizei und Abri mit Tränengas, Knüppeln und Schußwaffen angegriffen worden.

Schließlich stoßen die Forderungen nach Unabhängigkeit der im Dezember 1975 durch Kräfte der Abri besetzten und rund ein halbes Jahr später von Indonesien annektierten östlichen Hälfte Timors auch bei der Regierung in Jakarta auf wenig Zustimmung. Und so haben die Militärs, während derer über 23 Jahre dauernden Besetzung mehr als 200 000 Menschen - etwa ein Drittel der damaligen Bewohner Osttimors - umkamen, denselben Feind wie die Paramilitärs. Denn die, so beschreibt es die offizielle indonesische Nachrichtenagentur Antara, "verteidigen sich gegen die von der Unabhängigkeitsbewegung ausgehenden Attacken und Gewalt". Manuel Carrascalaos Bruder Mario - früher Gouverneur von Osttimor und heute Berater des indonesischen Präsidenten Bacharuddin Jusuf Habibie - bezeichnete die Hetzjagd der Paramilitärs daher auch als verdeckte Aktion der Abri. Befehligt, so Carrascalao, werde das intern nur als "Operation Clean Up" bezeichnete Gemetzel von Zaki Anwar, einstiger Chef des militärischen Geheimdienstes in Osttimor. Auf Todeslisten seien die bekanntesten Aktivisten für die Unabhängigkeit aufgeführt.

Die Regierung in Jakarta und der Gouverneur Osttimors, Abilio José Osorio Soares, betonen zwar, es handele sich ausschließlich um einen "innertimorischen Konflikt" zwischen Unabhängigkeits- und Integrationsbefürwortern - wie die Paramilitärs offiziell genannt werden. Soares, der sich selbst an der blutigen Machtdemonstration der pro-indonesischen Milizen in Dili beteiligte, machte sogar allein die bewaffnete Unabhängigkeitsgruppe Falintil für das Morden verantwortlich. Schließlich hatte der in Jakarta unter Hausarrest stehende CNRT-Anführer José Alexandre Gusmao am 5. April erklärt, die Unabhängigkeitsbewegung solle nach den Attacken der paramilitärischen Gruppen, die zunächst nur auf dem Land operierten und nun im Westen der Provinz bereits schon ganze Städte kontrollieren, zum Zwecke der Selbstverteidigung wieder zu den Waffen greifen. Für Soares und den Justizminister Muladi eine "Kriegserklärung", und in der Tat gab es seitdem eine Reihe von kleineren Gefechten zwischen der Abri und der bewaffneten Separatistengruppe Falintil - mit Toten auf beiden Seiten.

Dabei behaupten mittlerweile nicht nur Separatisten aus Osttimor, daß die bereits seit Dezember letzten Jahres in Osttimor aktiven paramilitärischen Gruppen von der Armee aufgebaut wurden. Auch eine von der SPD-Politikerin Adelheid Tröscher angeführte Delegation des Ausschusses für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung stellte nach einer Reise nach Osttimor am Montag vergangener Woche fest, die Paramilitärs würden von der Armee "mit Waffen ausgerüstet". Nach einem Bericht der französischen Nachrichtenagentur AFP haben insbesondere der militärische Geheimdienst und die Eliteeinheit Kopassus die Operationen der Paramilitärs initiiert, und auch für den britischen Sender BBC sieht das Geschehen in Osttimor aus "wie eine offiziell eingeleitete Kampagne, um die Unabhängigkeitsbewegung auszulöschen".

Denn für den Juli hat Präsident Habibie in der Provinz ein Referendum über eine Autonomie Osttimors angesetzt. Und wenn die Bevölkerung den Vorschlag der Regierung ablehne, hieß es in Jakarta generös, werde die Inselhälfte eben in die vollständige Unabhängigkeit entlassen. Angesichts der Brutalität und Stärke der pro-indonesischen Paramilitärs hält man selbst in der Unabhängigkeitsbewegung diese Option für die gefährlichere. Deshalb wird derzeit vor allem auf eine diplomatische Lösung der Autonomiefrage gesetzt: In New York verhandelten in der vergangenen Woche UN-Generalsekretär Kofi Annan mit Vertretern Indonesiens, der Separatisten sowie Portugals und Australiens über Veränderungen am 60-Punkte-Autonomieplan für Osttimor, der voraussichtlich am 5. Mai unterzeichnet werden soll.

Ebenso kompromißfreudig zeigte sich auch die bewaffnete Falintil, die nach einem Reuters-Bericht durch Straßensperren der Abri und den Terror der Paramilitärs aber auch kaum noch aktionsfähig ist: Am Mittwoch vergangener Woche unterzeichneten sie und andere Unabhängigkeitsgruppen mit Vertretern von Militär, Polizei und Regierung einen Waffenstillstand. Von den Paramilitärs unterzeichnete nur eine Gruppe das Abkommen, das ausdrücklich keine Entwaffnung vorsieht. Symbolisch gab aber Manuel Sousa, Chef der Besi Merah Putih, auf einer Polizeiwache elf Gewehre ab.

Dafür knallte es Anfang vergangener Woche am westlichen Ende der Inselrepublik: Nach einem Bombenanschlag auf die größte Moschee des überwiegend von Muslimen bewohnten Landes zerstörte ein rachesüchtiger Mob in Ujung Pandang auf Sulawesi eine Kirche. Muslime blockierten außerdem Straßen und kontrollierten die Ausweise der Vorbeifahrenden - auf der Suche nach Christen. Für Mudji Santoso, den örtlichen Polizeichef, "ein spontaner Akt, nachdem die Leute im Fernsehen von dem Anschlag erfahren hatten".

Während die Washington Post bereits befürchtet, Indonesien werde "Jugoslawien folgen und in etliche Teile zersplittern", weiß es der ehemalige Präsident Suharto besser: Weil erst nach dem Ende seiner über 32jährigen Herrschaft die "Spirale der Gewalt" begann, meinte der Ex-Diktator im Interview mit der japanischen Tageszeitung Yomiuri Shimbun, sei das Land noch lange nicht bereit für die Präsidentschaftswahlen vom 7. Juni. Die reformasi nach seinem Abtritt im Mai letzten Jahres sei viel zu schnell erfolgt.

Bei der einst Suharto-treuen Abri sieht man das nicht ganz so - irgendwer muß das simulierte Chaos schließlich unter Kontrolle bringen.