Das Massaker von Littleton

Stars and Guns

John Wayne ist schuld. Und Rambo. Denn die haben als Helden der Mattscheibe Kindern und Jugendlichen in den USA beigebracht, "ihre Probleme nach Vorväterart mannhaft mit der Waffe in der Hand" (Frankenpost) zu lösen.

Nein, schreibt die österreichische Tageszeitung Kurier, ein anderer muß zur Rechenschaft gezogen werden: "Der Schüler träumt davon, Klassenkameraden und Lehrer zu erschießen und trägt bei dieser Szene einen langen, schwarzen Trenchcoat. 1995 ist der Film 'Jim Carroll - in den Straßen von New York' herausgekommen. Hauptdarsteller: Leonardo DiCaprio".

Viel abgeklärter sieht es die Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Eine in Gewalt geradezu verliebte Fernsehkultur" insgesamt trage die Verantwortung. Nicht für die Toten, aber dafür, daß "das zulässige Maß an Zivilisationsfolklore und Individualismusverklärung weit überschritten" sei. Auch US-amerikanische Politiker sehen das so. Nicht das mit der Individualismusverklärung und so, aber, klar, die Medien sind schuld. Irgendwie zumindest.

Genaueres weiß Mike Huckabee, Gouverneur von Arkansas. Er sucht die Schuld "in einer Kultur, in der Kinder im Fernsehen und im Kino Zehntausenden von Morden ausgesetzt sind", wie der Spiegel berichtet. Leider fehlt ein konkreter Hinweis auf die Filme, Stars und Trenchcoats. Humphrey Bogart geht straffrei aus.

Ganz anders die Hamburger Morgenpost: "Trotz gegen eine sportfixierte Gemeinschaft, von der er sich abgelehnt fühlte", habe Eric Harris zu seiner Tat veranlaßt. Sport ist Mord; Gemeinschaftssport macht Massenmord. Logisch. Auch kann man sich freuen, daß Völkerball in den USA keine besonders beliebte Sportart ist. Und daß Joe DiMaggio, der New York Yankee mit dem Baseball-Schläger, schon unter der Erde ist.

Ach ja, die Waffen. Die "Tragödie", schreibt die Frankfurter Rundschau, "hätte nicht passieren müssen. (...) Aber das Land hat sich entschieden, sich privat bis an die Zähne mit Pistolen und Gewehren einzudecken". Entsetzt ist auch der Zürcher Tages-Anzeiger: "Waffenlobby tagt am Tatort". "Zynisch: Auf großen Plakaten wirbt sie auch in Littleton für ihre Tagung", korrigiert das Hamburger Abendblatt. Einig sind sich beide, daß die größte Waffenlobby des Landes, die National Rifle Association (NRA), mitschuldig geworden ist. Vor allem aber der NRA-Präsident, der zu allen möglichen Gelegenheiten für den Waffenbesitz wirbt. Und der ist: Charlton Heston.

Als "die barbarische Seite der amerikanischen Kultur", faßt der Economist den Hang zur Waffe zusammen. Clinton sekundiert und vermutet eine "große Jagdkultur" dahinter. "Das zweifelhafte Grundrecht eines jeden Amerikaners geht vor allem zurück auf die Geschichte eines Volkes, das sich seinen Lebensraum in der Neuen Welt einst mit dem Gewehr erkämpft hat", faßt die Pforzheimer Zeitung die Analyse des US-Präsidenten zusammen. Namen nennt William Clinton nicht, doch die Schlußfolgerung ist klar und dafür muß man ihm dankbar sein: Tötet Old Surehand. (Vielleicht ist es aber auch nur der plumpe Versuch, einen seiner Amtsvorgänger, vormals Cowboy in Hollywood, nachträglich zu diskreditieren).

Die Süddeutsche Zeitung allerdings mag gar nicht so weit zurückgehen: "Amok in Suburbia" ist der Artikel über "Pop-Rebellen ohne Grund" überschrieben. Einer der Täter "lebte in so einer 'subdivision', einer Parzellensiedlung (...). Nach europäischen Maßstäben wäre das hellgraue Haus seiner Eltern eine Luxusvilla." Auch der zweite Amokläufer wohnte "in einem prächtigen Bau".

Whoops, Wohlstand kills? Nein, "Massenanfertigung macht die Häuser erschwinglich". Und: "Für Jugendrevolte bleibt in der durchgeplanten Welt der Suburbia kein Platz." Was bleibt, ist die Flucht ins Internet oder, ganz klassisch, in die Popkultur. Genauer: in eine Popkultur, in der der "Weltschmerz der Teenager mit Todesphantasien, mit einer Ästhetik der Häßlichkeit" bedient wird. Auch hier sind Verantwortliche schnell gefunden: Trent Reznor und seine Band Nine Inch Nails und, vor allem, Marilyn Manson. Zum Glück ist Kurt Cobain schon tot. Und hat nur sich selbst erschossen. That's Grunge.