Alle lieben Prodi

Der neue EU-Kommissionspräsident weiß, wie man als Christdemokrat mit Sozialdemokraten regiert

Der Ausflug nach Europa war bereits fest terminiert gewesen. Am 13. Juni wollte Romano Prodi mit seinem Esel den Sprung ins Europaparlament schaffen. Doch es ist anders gekommen. Der Esel, das Wappentier seiner neugegründeten Europapartei Die Demokraten, steht noch in den Startlöchern, Prodi hat es schon geschafft.

Denn die Staatschefs Europas haben den 59jährigen Wirtschaftsprofessor zu Höherem berufen. Mitte April verkündete der designierte Präsident der EU-Kommission vor dem Straßburger Parlament seine Botschaft: "Ich bin nicht hier, um zu spalten, sondern um zu vereinen." Seine Parlamentskandidatur hat Prodi zurückgezogen, den Esel wird jetzt die Filmdiva Gina Lollobrigida reiten. Wenn Prodi in dieser Woche vom Europaparlament gewählt wird, dann ist er nach Enrico Malfatti (1970 bis 1972) der zweite Kommissionspräsident aus Italien.

Alle lieben Romano. Seiner Nominierung zum Kommissionspräsidenten Ende März folgten Lobeshymnen en masse. Prodi sei "jemand, der in der jetzigen Situation den Erwartungen des Europäischen Rates in jeder Weise entspricht", meint der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder. Und sein britisches Pendant Tony Blair sekundiert: "Prodi hat all die Qualitäten, die ein hervorragender Kommissionspräsident braucht." Der konservative spanische Außenminister Abel Matutes bezeichnet ihn als einen "soliden Kandidaten mit Erfahrung und Kompetenz", und Olaf Henkel, Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, hält ihn gar für "einen Glücksfall für die EU".

Was Prodi zu einem solchen "Glücksfall" für alle Großkopferten Europas macht? Er ist ein Christdemokrat, der mit Sozialdemokraten zu regieren weiß - perfekt für ein Europa, in dem elf sozialdemokratische Regierungschefs vier christdemokratischen gegenübersitzen und sich alle vertragen wollen. "Niemand kann behaupten, daß Prodi ein Sozialdemokrat wäre", betont denn auch stolz der Delegationsleiter der österreichischen Sozialisten im Europaparlament, Hannes Swoboda. Und fügt hinzu: "Damit ist ein weiteres Mal die Mär vom 'Roten Europa' widerlegt, die manche so gerne verbreiten, weil sie sich davon Vorteile erhoffen."

Als Gerhard Schröder am 24. März den überzeugten Katholiken als Kandidaten für den EU-Kommissionsvorsitz präsentierte, lobte der oberste deutsche Sozialdemokrat besonders Prodis "ungewöhnliche ökonomische Kenntnisse". In der Tat verfügt der Hobby-Geigenspieler als Absolvent der London School of Economics über eine solide kapitalistische Grundausbildung.

Ende der siebziger Jahre kurze Zeit Industrieminister unter dem Christdemokraten Giulio Andreotti, dann von 1982 bis 1989 und noch einmal von 1993 bis 1994 Präsident der größten italienischen Staatsholding IRI, avancierte "il professore" Mitte der neunziger Jahre als Spitzenkandidat des Wahlbündnisses Ulivo zu dem Hoffnungsträger der parlamentarischen Linken. Mit dem Wahlsieg des Olivenbaums 1996 verwirklichte ausgerechnet Prodi, der ursprünglich den vor einigen Jahren wegen ihrer chronischen Mafia-Verbindungen zerfallenen italienischen Christdemokraten nahegestanden hatte, den Traum des legendären PCI-Führers Enrico Berlinguer: Die italienischen Kommunisten durften endlich mit an die Regierung.

Nur - vom Kommunismus war nichts mehr übriggeblieben, aus dem PCI der sozialdemokratische PDS geworden, Ministerpräsident Prodi setzte einen rigiden Privatisierungskurs durch und baute rabiat Sozialstandards ab, um Italien fit für den Euro zu machen. Deutsche Banker sprachen beeindruckt von einem "Modell Italien". Prodi konnte mit allen: Während er auf der einen Seite in Rom die "Altkommunisten" von Rifondazione Comunista (PRC), die seine Mitte-Links-Koalition tolerierten, um den Finger wickelte, besuchte er auf der anderen Seite regelmäßig die Treffen der europäischen Christdemokraten.

Bis Oktober 1998 schaffte Prodi das sozialdemokratische Kunststück, neoliberale Wirtschaftspolitik mit einer linken Mehrheit durchzusetzen, dann verweigerte ihm die PRC die Unterstützung für sein Haushaltsgesetz 1999. Prodi trat zurück, PDS-Chef Massimo D'Alema rückte an seine Stelle. Immerhin: Prodi ist mit seiner Amtszeit auf der ewigen Bestenliste italienischer Ministerpräsidenten der Nachkriegszeit an zweiter Stelle. Nur der inzwischen im tunesischen Exil lebende ehemalige Sozialisten-Chef Bettino Craxi brachte es auf eine längere Amtsperiode.

Nach den Tumulten, die die zur Zeit noch amtierende EU-Kommission durch ihr selbstherrliches Gebaren verursacht hat, gilt nun Solidität als oberste Maxime. Dafür ist der als grundsolide geltende, jeglichen Skandalen abholde Prodi der richtige Mann. So versprach der ehemalige italienische Ministerpräsident denn auch bei seinem Aufritt vor dem Europaparlament im April: "Es wird keine Betrügereien und keine Korruption mehr geben."

Noch unklar ist, wer ihm dabei zur Seite stehen wird. Mit dem am 1. Mai in Kraft getretenen Vertrag von Amsterdam sind die Kompetenzen des Kommissionspräsidenten erweitert worden. Er erhält eine Richtlinienkompetenz und disziplinarische Rechte gegenüber seinen 19 Kommissionskollegen - und vor allem: Ihm steht ein Mitbestimmungsrecht bei der Kommissionsbesetzung zu.

Prodi hat bereits angekündigt, davon Gebrauch zu machen. Er wolle Kommissionsmitglieder, die über Erfahrung in der Führung eines Ministeriums oder einer anderen Großbehörde verfügen, erklärte er. Und Länder, die wie die Bundesrepublik zwei Kommissare entsenden dürfen, sollten die Opposition mitberücksichtigen. So könnte Prodi den deutschen Sozialdemokraten aus einem Dilemma helfen. Denn die haben den zweiten Kommissionssitz gleich zweimal versprochen: Gemäß einer Vereinbarung der damaligen Parteivorsitzenden von CDU und SPD, Helmut Kohl und Rudolf Scharping, müßte der Job an einen Christdemokraten gehen.

Aber nach dem rot-grünen Koalitionsvertrag haben die Grünen das Zugriffsrecht. Die einfachste Lösung, daß die SPD auf ihren Sitz verzichtet, wie es weiland die CDU zugunsten der FDP tat, kommt für die Sozialdemokraten nicht in Frage. Also muß eine Absprache gebrochen werden. Mit Hilfe Prodis könnten jetzt die Grünen das Nachsehen haben.

Auch wenn deren Bundesvorstand noch trotzig auf Einhaltung des Koalitionsvertrages besteht, um auf dem Kosovo-Parteitag am 13. Mai keinen zusätzlichen Sprengsatz zu deponieren, soll hinter den Kulissen bereits kräftig um ein Kompensationsgeschäft geschachert werden. In der Diskussion ist ein viertes Ministerium für die Öko-Partei durch die Reinstallierung des Bauministeriums. Denkbar ist auch, daß die Grünen zwei zusätzliche Staatssekretärsposten erhalten. Doch ob sich der kleine Koalitionspartner wieder einmal über den Tisch ziehen läßt, wird sich erst nach der Bundespräsidentenwahl Ende Mai zeigen.

Der grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin hat bereits nachdrücklich darauf hingewiesen, die Wahl von Johannes Rau und die Entsendung eines grünen Kommissionsmitglieds nach Brüssel hingen "untrennbar miteinander zusammen". Wer das eine Paket aufschnüre, mache auch das andere auf, so Trittin. Also gilt es, erstmal die Wahl Raus abzuwarten - und dann erst einen CDUler zu nominieren. Im Gespräch ist der ehemalige Verkehrsminister Matthias Wissmann.