Blaupause für die Bomben

Hinter der Londoner Anschlagsserie gegen Minderheiten werden die neo-faschistischen White Wolves vermutet. Das nächste Ziel könnte die Jüdische Gemeinde sein

Da konnte Scotland Yard endlich den langersehnten Fahndungserfolg vorweisen und dann das: Nur Stunden, nachdem die britische Polizei einen ersten Verdächtigten für die rassistisch motivierten Sprengstoffanschläge der beiden letzten Wochen verhaftet hatte, ging die dritte Bombe hoch. Ziel diesmal: das von Lesben und Schwulen frequentierte Admiral Duncan Pub im Londoner Szene-Viertel Soho. Opfer des Anschlags am letzten Freitag: drei Tote und mehr als 70 Verletzte.

Waren die in Sport-Taschen drapierten Nagel-Bomben an den Wochenenden zuvor noch in Stadtteilen mit hohem afro-karibischen (Brixton) und indisch-bangladeschischem Bevölkerungsanteil (Brick Lane, East End) explodiert, setzen die Täter nun offenbar auf eine Ausweitung der Zielgruppe. Fast jedes Ziel, so Londons Polizeichef Paul Condon, komme für künftige Attentate in Frage: "Auch wenn sich die Anschläge gegen Minderheiten gerichtet haben, treffen sie die ganze Gesellschaft."

Überraschend kam auch das dritte Bomben-Attentat nicht. Bereits am Dienstag vergangener Woche hatte die Londoner Polizei dem Admiral Duncan einen Besuch abgestattet und die Betreiber der Kneipe vor möglichen Anschlägen gewarnt. Vertreter mehrerer Homosexuellen-Organisationen kritisierten jedoch, daß dies bei weitem nicht ausgereicht habe - um die Bevölkerung wirklich zu schützen, hätte es landesweiter öffentlicher Warnungen über Fernsehen und Radio bedurft.

Ins Visier der Fahnder von Scotland Yard und des britischen Geheimdienstes MI 5 gerät derweil immer stärker eine Absplitterung der rechtsradikalen Combat 18 - die White Wolves. Zwar hatte sich die nach den Initialen Adolf Hitlers, dem ersten und dem achten Buchstaben im Alphabet, benannte Combat 18 zu den Anschlägen in Brixton und der Brick Lane bekannt - staatliche Fahnder und Mitarbeiter der britischen antifaschistischen Zeitschrift Searchlight halten das inzwischen jedoch für nicht mehr plausibel: Schließlich sei die Organisation durch Geheimdienst-Mitarbeiter derart unterwandert, daß eine unbeobachtete Planung der Sprengstoff-Attentate kaum möglich gewesen wäre. Zudem waren die verbliebenen Mitglieder seit der Verurteilung von David "Charlie" Sargent, dem früheren Führer der Gruppe, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe im Januar 1998 vor allem mit internen Machtkämpfen beschäftigt. (Jungle World, Nr. 18/99)

Nicht nur deshalb richtet sich das Augenmerk der Fahnder seit dem zweiten Anschlag in der Brick Lane immer mehr auf die Combat-18-Abspaltung White Wolves. Bereits eine Woche vor der Explosion der Brixton-Bombe hatte ein "Kommando-Rat der White Wolves" Drohbriefe an einen Radiosender und eine Nachrichtenagentur gefaxt, in denen sie alle "Nicht-Weißen (definiert durch Blut, nicht Religion)" aufforderten, Großbritannien vor dem Jahresende dauerhaft zu verlassen: "Juden und Nicht-Weiße, die noch bleiben, wenn das Jahr 1999 vorüber ist, werden ausgelöscht."

Auch Oona King, Labour-Abgeordnete im britischen Unterhaus, erhielt schon Mitte April Post von den White Wolves - ebenso wie Vertreter jüdischer und anti-rassistischer Gruppen. Inhalt: immer dasselbe Schreiben, in der die nach serbischen Paramilitärs benannte Gruppe zur Jagd auf Minderheiten aufruft: "Wenn die Wölfe zu heulen beginnen, beginnen sie zu jagen. Sie sind gewarnt worden. Hail Britannia."

Searchlight-Herausgeber Gerry Gable, der schon nach dem Anschlag in Brixton starke Zweifel an einer Urheberschaft von Combat 18 geäußert hatte, verwies nach der Bombe von Soho darauf, daß die Anschläge fast wortgenau mit dem im "Manifesto" der White Wolves verkündeten Zielen übereinstimmten. Zur selben Zeit veröffentlicht, als die am "führerlosen Widerstand" von US-Rechtsextremisten angelehnte Gruppe ihre Drohbriefe an die Minderheiten-Vertreter verschickten, listet das Manifest neben dem Ziel, daß sich "die Angriffe gegen die Immigranten selbst" zu richten haben, Gebrauchsanweisungen für Nagelbomben und Zeitzünder auf, wie sie in Brixton und im East End verwendet wurden. Gable: "Das Manifest ist fast so etwas wie eine Blaupause für die derzeitige Bomben-Kampagne."

Und die könnte weitergehen. Am Wochenende wurden in ganz London die Sicherheitsmaßnahmen verschärft: Polizeikräfte marschierten insbesondere vor Synagogen und jüdischen Geschäften im Norden der britischen Hauptstadt auf. Wohl nur Premierminister Tony Blair konnte dem etwas Positives abgewinnen: "Das einzig Gute dieser Nagelbomben kann darin bestehen, daß sie uns alle - egal welcher Rasse, welchen Alters, welchen Glaubens oder welcher sexuellen Orientierung - dazu anspornen, die britische Einheit zu schaffen, die die anständige Mehrheit will."