BRD und USA: Tatütata

Die deutsche Kritik an den USA ist mindestens so unappetitlich wie ihr Gegenstand.

Wenn einer US-Regierung die politische oder soziale Entwicklung in einem anderen Land nicht paßt, dann greift sie ein. Das war - um nur einige der bekannteren Fälle in Erinnerung zu rufen - 1973 in Chile so, während der achtziger Jahre wurden in Nicaragua, Grenada und Panama widerborstige Regierungen aus ihren Ämtern entfernt. Möglich waren diese allesamt völkerrechtswidrigen Aktionen, weil nicht das Völkerrecht, sondern die Aufteilung der Welt in eine amerikanische und eine sowjetische Einflußsphäre den Gang der Dinge bestimmte.

Nach der Uno krähte kein Hahn, weder als 1968 sowjetische Truppen in der Tschechoslowakei die Regierung des "Prager Frühlings" absetzten, noch 1989, als die USA in Panama die größte militärische Aktion nach dem Vietnamkrieg starteten, um ihres ehemaligen Bündnispartners Manuel Noriega habhaft zu werden.

Mit Beginn der neunziger Jahre änderte sich diese Situation, die Ergebnis der Niederwerfung des nationalsozialistischen Deutschlands gewesen war: Die Bundesrepublik wurde durch die erste europäische Grenzverschiebung seit 1945 größer und meldete sich mit "gewachsener Verantwortung" und offensiv reklamiertem Führungsanspruch in der Weltpolitik zurück. Wenig später kollabierte die Sowjetunion, ihre Reste wollten aber weder als GUS noch als Rußland auf weltpolitischen Einfluß verzichten. Nimmt man noch einige regionale Großmächte und die Erkenntnisse der Politikwissenschaft hinzu, dann war die Welt von nun an "multipolar": Ein Begriff, der ausweisen will, daß eine ganze Reihe von berechtigten Ansprüchen miteinander konkurrieren, und der nahelegt, daß zur Regelung dieser Konkurrenz eine übergeordnete Institution vonnöten ist.

So kam die bis dahin eher sporadisch und als internationale Petitionsbehörde für Benachteiligte in Erscheinung getretene Uno zu neuen Ehren. Vor allem deutsche Politikwissenschaftler und ehemals vom Pazifismus inspirierte Politiker wollten aus ihr ein globales Polizeipräsidium inklusive der erforderlichen Exekutivbefugnisse machen. In den USA hatte man mit solchen Ambitionen wenig im Sinn, mit den Aktivitäten und Beschlüssen der Uno wurde ein pragmatischer Umgang gepflegt: Stimmten sie mit den eigenen Interessen überein, waren US-Politik und

-Militär (führend) mit von der Partie; widersprachen sie den eigenen Interessen, handelten die USA auf eigene Rechnung.

Jenseits aller ritualisierten Bekenntnisse zu internationalen Rechtsnormen folgt die US-Politik seit dem Zusammenbruch des sowjetischen Widerparts und der "friedlichen Koexistenz" einer einzigen Prämisse: die eigenen Interessen weltweit und sprichwörtlich unanfechtbar zu machen, unter expliziter Reklamierung imperialer Hegemonieansprüche. Die US-Koexistenz mit der Sowjetunion hatte einen starken Einschlag von Gleichberechtigung und auch Respekt, heute buchstabieren US-Regierungen Koexistenz als Subordination. Diese betrifft auch das Völkerrecht. Pünktlich zur Zeitenwende, 1989, schrieb der einflußreiche US-Kommentator Charles Krauthammer: " Das Recht, das Völkerrecht, ist ein 'ass'. Es hat nichts zu bieten. Außenpolitik wird am besten ohne Völkerrecht gemacht." Oder man setzt es selbst. So der - beinahe gleichzeitig geäußerte - Vorschlag des US-Vize-Justizministers William P. Barr: "Vielmehr ist die Schlußfolgerung, daß der Präsident über die Autorität verfügt, sich vom internationalen Gewohneitsrecht zu lösen, mit dem eigentlichen Sinn des Völkerrechts zu vereinbaren." Eine Einschätzung, die der ehemalige US-Botschafter bei den Vereinten Nationen Daniel Patrick Moynihan nicht teilte, aber treffend so kommentierte: "Der Präsident mag das Recht brechen, wenn er bereit ist, die Konsequenzen zu übernehmen, und - wer weiß - wir werden uns wohl alle daran gewöhnen."

Die brachiale und von Skrupeln weitgehend unberührte Durchsetzung US-amerikanischer Interessen trifft im Falle des Nato-Krieges gegen Jugoslawien auf eine deutsche Kritik, die mindestens so unappetitlich ist wie ihr Gegenstand. Durch und durch verlogen ist bereits ihr Ausgangspunkt: "Vielleicht gar noch nie hat es eine kriegerische Auseinandersetzung gegeben, die auf der einen Seite so ausschließlich von moralischen Motiven getragen war, wie das im Kosovo-Konflikt für die Nato-Länder zutrifft. Selbst den USA - sonst für jeden Verdacht gut - wird von niemand Ernstzunehmendem ein geostrategisches Interesse oder ähnliches unterstellt - welches wohl auch?", so der Außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karl Lamers. Ähnlich der Spiegel am vorletzten Montag: "Es ist ein Krieg wie kaum einer zuvor in der Geschichte: Es geht nicht primär um Großmachtinteressen und gar nicht um Rohstoffe (...). Es handelt sich um den ersten postnationalen Krieg, der sich auf nichts als auf den Glauben an die Menschenrechte gründen soll."

Es ist sentimentaler Unfug dieser Art, der das Bewußtsein des hiesigen Pöbels und der hiesigen Intelligenz kriegstauglich macht. Eine Philosophie, die historische Vorläufer hat. In der Debatte um die Berechtigung des Nato-Angriffes gegen Jugoslawien stellte Professor Pradetto von der Hamburger Bundeswehr-Hochschule fest: "Der einzige Akteur im internationalen System, der das 'Recht auf humanitäre Intervention' praktisch in Anspruch nahm, war das nationalsozialistische Deutschland, und zwar bei seinem Überfall auf die Tschechoslowakei im März 1939 mit dem Hinweis auf sudetendeutsche Belange." Die deutsche Debatte über Moral, Menschenrechte und "gerechte Kriege" strotzt vor einem Sendungsbewußtsein, das Keime der ansonsten bei religiösen Fundamentalisten anzutreffenden Philosophie der mit Opferbereitschaft gepaarten Notwendigkeit zur guten Tat in sich trägt. Ein solches Sendungsbewußtsein kennt weder geographische noch an Zwecken orientierte Grenzen.

Auch amerikanische Spitzenpolitiker hielten in den letzten Wochen häufig bombastische Reden über die humanitären Akzente des Krieges in Jugoslawien. Gleichzeitig aber machten sie stets ohne Umschweife deutlich, daß die Bombardements ganz schnöde, also politische Ziele haben. Am 17. April faßte die FAZ eine außenpolitische Grundsatzrede Präsident Clintons so zusammen: "Das Engagement Amerikas auf dem Balkan werde nicht mit einer Befriedung des Kososvo (...) enden. Die Vereinigten Staaten seien vielmehr an einem stabilen Südosteuropa interessiert. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse Amerika langfristige politische, militärische und wirtschaftliche Verpflichtungen in dieser Region eingehen. (...) Clinton ließ keinen Zweifel daran, daß Amerika" beim Wiederaufbau der Region "die Führungsrolle zukomme". Gegen ein unabhängiges Kosovo spreche, "daß ein moderner Staat seine Existenzberechtigung nicht mehr allein aus der Volkszugehörigkeit seiner Bürger ableiten könne. Der Balkan dürfe nicht noch weiter in immer kleinere, rein ethnisch definierte unabhängige Staaten zersplittert werden."

Solche Botschaften, ästhetisch verpackt in die Arroganz einer unanfechtbaren Zuständigkeit, fordern die deutsche Kritik heraus. Rudolf Augstein unterstellt (im Spiegel, Nr. 15/99) den USA geheime Absichten: "Die amerikanisch diktierte Nato-Philosophie hat versagt. (...) Ein Mann wie Scharping merkt vermutlich überhaupt nicht, daß hier Politik gemacht wird, um die Deutschen noch tiefer in den Krieg zu verstricken." Die taz (27. Februar) kritisierte bereits vor den Nato-Bombardements, als in Rambouillet noch verhandelt wurde, daß die USA keine höheren Ziele im Blick haben: "Die Zahl derer wächst und die Protagonisten werden prominenter, die mit der Vormachtstellung der USA hadern, die geneigt sind, im Vorgehen des State Departement vor allem Interessenpolitik zu erkennen." In der kriegskritischen Berliner Wochenzeitung Freitag (16. April) wurde unter dem Stichwort "Nachdenken ohne Tabus" als Zukunftsperspektive eine "militärisch unterfütterte OSZE" unter Einbezug Rußlands ins Spiel gebracht, denn: "Vom Nato-Krieg gegen Jugoslawien profitieren einzig und allein die USA." Auch die Woche (9. April) setzte sich mutig über Denkverbote hinweg und formulierte, was eigentlich nötig sei: "Es hieße, die rot-grüne Regierung zu überfordern, wollte man von ihr einen Alleingang gegen die Amerikaner verlangen. Dazu ist sie weder bereit, noch dürfte sie es." Aber: "So groß die Abhängigkeit von den USA auch sein mag - zur Selbstaufgabe Europas darf sie nicht führen."

Im Vorgriff auf den von der Kosovo-Thematik dominierten Nato-Gipfel am vorletzten Wochenende meldete sich Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt in der Zeit zu Wort: "Der politischen Klasse der USA fällt es besonders schwer, sich das Machtgefüge des nächsten Jahrhunderts vorzustellen." In den USA sei man der Meinung, "daß die Europäer sich auch im neuen Jahrhundert von Washington führen lassen. Diese Erwartung hat nur eine beschränkte Wahrscheinlichkeit für sich. Denn die zumeist innenpolitisch motivierte Rücksichtslosigkeit, mit der Washington seine aktuellen Interessen und seine Präponderanz durchsetzt, wird vielen Europäern zunehmend auf die Nerven fallen." Und? "Und die Europäische Union kann sich im Laufe der nächsten Jahrzehnte zu einer Weltmacht entwickeln."

Die härteste Kritik an der Dominanz der USA kommt exakt aus jenen linksliberalen Redaktionen, die vor einigen Monaten entschlossen für Schröders "Neue Mitte" votierten. Dieses "Reform"-Projekt wurde als Aufhebung der Polarisierung sozialer Gegensätze angepriesen, eine Mystifizierung, deren Form in der Debatte um den Krieg in Jugoslawien wiederkehrt: Kritisiert wird nicht der (von fast allen der genannten Redaktionen unbedingt gewollte) Krieg, sondern die Tatsache, daß er unter dem Kommando der USA steht. Bemäkelt wird, nicht zuletzt im Orakel über die Ausschaltung der Uno, daß die USA überhaupt Interessen verfolgen. Im allfälligen Geraune über Europas (große) Zukunft steckt das eiserne Schweigen über Deutschlands Ansprüche, die in den letzten Jahren u.a. die völkische Parzellierung des Balkan energisch vorangetrieben haben. Wo die USA Kapital und Waffen ausführen wollen, treten ihre Kritiker wie Missionare für den Export zivilgesellschaftlicher Gesinnung an, der bei Bedarf selbstverständlich auch militärisch unterstützt werden kann. Während also die USA den imperialistischen Wettbewerb offen führen, tun Politik und linke Publizistik hierzulande so, als sei er gar nicht existent. Dank solcher Mystifizierung kann die deutsche Partei in dieser Konkurrenz betont unpatriotisch und sogar in weltbürgerlicher Absicht auftreten.

Deshalb lag nahe, daß die Perspektiven des künftigen Wettbewerbs um Hegemonie von niemandem so präzise geschildert werden können, wie vom Direktor eines sozialdemokratischen Friedensforschungsinstitutes. Am Mittwoch nach dem Nato-Gipfel schrieb Professor Dieter S. Lutz in der Woche: "Solange der Rückgriff auf die militärischen Mittel der USA in Aussicht steht, werden die Europäer sich kaum auf eine gemeinsame Friedens- und Sicherheitspolitik einigen. Und ebensolange wird Amerika in Europa seinen hegemonialen Einfluß behalten. Es liegt im Interesse der USA, nicht Europas, daß dieser Teufelskreis sich immer wieder schließt. Um ihn zu beenden, muß der Tabubruch mitbedacht werden: Entweder die USA ordnen sich ein in die Vision einer Sicherheitsordnung nach dem Leitgedanken der Stärke des Rechts - oder die Sicherheitsarchitektur Europas muß zumindest auf Zeit auf die Einbeziehung Amerikas verzichten." So geht deutscher Antiimperialismus heute.