Wolfgang Gehrcke

»Die Nato abbauen, die Uno umbauen«

Sechs Wochen Krieg der Nato gegen Jugoslawien - sechs Wochen Opposition gegen den Krieg im Bundestag: Die PDS ist weiterhin die einzige der im deutschen Parlament vertretenen Parteien, die den Nato-Einsatz geschlossen ablehnt. Auch im Europa-Wahlkampf setzen die demokratischen Sozialisten auf ihr Anti-Kriegs-Image. "Europa schaffen ohne Waffen" heißt es einen Monat vor den Wahlen allerorten auf PDS-Plakaten. Und dann das: Ein internes Diskussionspapier führender Landes- und Bundespolitiker gerät an die Presse; auch die PDS, heißt es darin, müsse sich nun über eine "Neuakzentuierung" ihrer Außen- und Sicherheitspolitik Gedanken machen. Was das heißt, haben die Grünen vor vier Jahren vorgemacht - die Diskussion um "friedenserhaltende", "friedenssichernde" und "friedenserzwingende" Einsätze kann also beginnen. Der Anfang vom Ende der antimilitaristischen PDS? Wolfgang Gehrcke ist Außenpolitischer Sprecher der PDS-Bundestagsfraktion.

Sie haben vorgeschlagen, den politischen Teil des Rambouillet-Abkommens zur Grundlage einer Friedenslösung für das Kosovo zu machen, den militärischen hingegen neu zu formulieren. Aber gehen nicht allein die politischen Vorgaben des Vertrages schon so weit, daß im Kosovo hergestellt wird, was die PDS immer abgelehnt hat: ein internationales Protektorat nämlich?

Nein, das sehe ich anders. Man muß zu den Rambouillet-Verhandlungen, die unter völlig inakzeptablen Bedingungen stattgefunden haben, eines anmerken: Jugoslawien war bereit, den politischen Teil des Vertrages zu unterzeichnen. Der Vertragsabschluß ist allein an den militärischen Teilen gescheitert. Der politische Teil hingegen sieht eine sehr umfassende Autonomie-Regelung für alle Bewohner des Kosovo - unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit - vor sowie den Aufbau einer zivilen Verwaltung und sehr ausgedehnte Rechte in der kommunalen Selbstverwaltung. Das alles zusammen könnte, auch weil es bereits die jugoslawische Zustimmung gefunden hatte, eine günstige Grundlage sein, um die künftigen Bedingungen im Kosovo zu regeln.

Unter internationale Verwaltung würde die Provinz dennoch gestellt. Der Protektorats-Charakter wäre gegeben.

Das Kosovo bliebe Teil von Jugoslawien. Wenn man akzeptiert, daß bei einem Nicht-Kriegszustand die Flüchtlinge zurückkehren können - so sie das wollen - und die UCK entwaffnet wird, dann kann man sich einem Vorschlag nicht entziehen, beispielsweise über die Uno Einfluß auf das Geschehen zu nehmen. Das heißt, daß man letztendlich zu dem Punkt kommt, daß eine Uno-Friedenstruppe im Kosovo stationiert wird. Die Teilhabe der Nato-Staaten jedoch, die gerade Jugoslawien bombardieren, ist für mich nicht akzeptabel.

Eine Uno-Truppe also ohne US-amerikanische, britische, französische und deutsche Soldaten. Wie soll das gehen?

Das muß sich noch herausstellen. Natürlich lehnt die Nato das strikt ab. Schließlich war es immer ihr Ziel, Nato-Truppen im Kosovo zu stationieren. Doch der internationale Druck auf die Nato-Staaten wächst. Es gehört einfach zu den Propaganda-Lügen, daß die internationale Staatengemeinschaft - was immer das auch ist - hinter den Angriffen steht. Das Gegenteil ist richtig: Die Mehrheit der Regierungen, deren Staaten auch Mitglied der Uno sind, lehnt die Militär-Aggression in Jugoslawien ab.

Wäre denn ein Zurück zum Holbrooke-Milosevic-Abkommen von Oktober letzten Jahres eine Lösung für Sie?

Ja, natürlich. Vor allem deshalb, weil die jugoslawische Regierung sich an die damals vereinbarten Regelung, wie auch das Auswärtige Amt bestätigt, gehalten hat.

Die darin vereinbarte - und auch von Ihnen geforderte - Präsenz von 2 000 OSZE-Beobachtern funktionierte aber nur mit einer militärischen Komponente: In Mazedonien wurden 8 000 Nato-Soldaten stationiert.

Das war die Auffassung der Nato. Ich halte das schlichtweg für eine Lüge, deshalb habe ich im Bundestag auch zweimal gegen den Beschluß gestimmt. Die Stationierung der sogenannten Extraction Force in Mazedonien ist damit begründet worden, daß man eine speziell ausgebildete Kampftruppe brauche, die in einer Notfall-Situation die unbewaffneten OSZE-Beobachter aus dem Kosovo herausholt. In Wirklichkeit war die Stationierung der Eingreiftruppe immer Teil der militärischen Droh- und Kriegsvorbereitungs-Kulisse. Die OSZE-Beobachter hätten völlig unabhängig davon im Kosovo arbeiten können. Im übrigen war ihr Rückzug im März das letzte Signal zu den Bomben-Angriffen - und ohne Eingreifen der Extraction Force möglich. Was mir hingegen für das Kosovo vorschwebt, ist ein Mix. Ein Mix aus OSZE und Uno - wobei die OSZE beim Aufbau einer zivilen Verwaltung helfen sollte.

Das sind auch die Institutionen, die Sie und einige andere PDS-Politiker gestärkt sehen wollen - im Rahmen einer "Neuakzentuierung der Außen- und Sicherheitspolitik" der PDS. Verschaffen Sie mit dieser völkerrechtlichen Argumentation Militär-Bündnissen wie der Nato nicht einfach nur eine neue Legitimationsgrundlage?

Wir sind uns in der PDS einig, daß militär-politische Bündnisse wie die Nato überwunden werden müssen. Aber heute die Auflösung der Nato zu fordern, wo sie das einzig hinterbliebene, starke Militärbündnis ist, wird überhaupt nichts bewegen. Deswegen suche ich nach einer Kombination: Das programmatische Ziel der PDS bleibt die Überwindung von Militärbündnissen, bleibt die Überwindung der Nato. Zugleich aber müssen Wege gefunden werden, die Sicherheitsinteressen der Menschen zu schützen. Unser Vorschlag, den wir auch im Bundestag eingebracht haben, lautet: Im gleichen Maße wie OSZE und Uno als Organisationen der Zivilgesellschaft aufgebaut werden, kann die Nato abgebaut werden. Es muß ein Konzept gefunden werden, das die Überwindung der Nato politisch wie militärisch möglich macht.

Ein Nato-Einsatz mit Uno-Mandat ginge für die PDS dann künftig in Ordnung?

Nein, schließlich stellen wir keinen Freifahrt-Schein aus. Und die Uno ist ja heute alles andere als eine wirklich demokratisierte Einrichtung. Natürlich wird das immer vom Inhalt abhängig sein, von den konkreten historischen und politischen Gegebenheiten. Man muß hier aber auch sehr auf die Worte achten: Außenminister Fischer sagt ja immer, daß Rußland eingebunden werden muß - damit Moskau endlich seine destruktive Haltung im Sicherheitsrat aufgibt. Was Fischer wirklich will, ist, daß nun endlich auch China und Rußland dem Nato-Einsatz ihre Zustimmung erteilen. Ich hingegen will, daß der Nato-Krieg aufhört und die Uno statt dessen eigenständig - nicht gestützt auf die Nato - Aufgaben im Kosovo übernimmt. Da muß man dann nach den konkreten Bedingungen sehen.

Lassen wir die PDS-Debatte um neue militärische Aufgaben doch mal in ein konkretes Beispiel münden: Hätte ein von der Uno erlaubtes Bombardement Ankaras Ihre Zustimmung?

Nein. Das ist völlig absurd. Obwohl ich natürlich der Meinung bin, daß man die Debatte um die Rechte der kurdischen Bevölkerung in der Türkei führen muß. Aber auch mit Krieg sind diese Rechte nicht herbeizuführen.

Aber Sie argumentieren doch selbst so: Wenn die Nato in Jugoslawien tatsächlich zum Schutz der kosovo-albanischen Bevölkerung bombte, müßte sie dies ebenso in der Türkei tun.

Ich habe allerdings immer dazu gesagt, daß die Nato in der Türkei auch nicht bomben soll. Das Argument habe ich eingeführt, um nachzuweisen, daß die Menschenrechts-Argumentation nicht glaubwürdig und doppelbödig ist. Ich will das Gegenteil: Das Bomben und Morden der türkischen Armee gegenüber den Kurden muß aufhören.

Aber das Beispiel ist nicht nur untauglich, weil die Türkei Nato-Mitglied ist, sondern auch, weil es nicht veranschaulicht, was über eine längere Periode hinweg möglich wäre, wenn es wirklich zu einer Demokratisierung der Uno kommen sollte - was vor allem die Stärkung der Vollversammlung bedeuten müßte, nicht so sehr des Sicherheitsrats. Dann könnte man auch darüber nachdenken, ob man nicht bei der Uno eine Stand-By-Truppe hat, bestehend aus Kräften, die nicht Bestandteil nationaler Armeen sind, sondern ausschließlich unter dem Kommando der Uno selbst stehen und auch nur der Uno verantwortlich sind.

Und die dürften dann auch bei "friedenserzwingenden" Missionen eingesetzt werden?

Zunächst handelt es sich dabei nur um Überlegungen, die an eine Demokratisierung und Stärkung der Uno und einen Abbau der Nato gekoppelt sind. Ich gebe zu, eine solche Diskussion führt man in Kriegszeiten schlecht.

Aber sie wird in der PDS geführt?

Sie muß geführt werden, weil andere uns dazu fragen.

Vielleicht auch, weil die Regierungsbeteiligung für die PDS in den nächsten Jahren ebenfalls auf der Tagesordnung steht?

Nein, überhaupt nicht. Sie steht erst einmal nicht auf der Tagesordnung und zweitens muß man eine gemeinsame Regierung immer an einem Mindestmaß an politisch-inhaltlichen Übereinstimmung festmachen. Und die gibt es heute nicht.

Aber die Debatte erinnert doch sehr an das, was bei den Grünen vor nicht allzu langer Zeit diskutiert wurde.

Das stimmt so nicht. Bei den Grünen ist sie aus anderen Motiven heraus geführt worden. Die grüne Partei sollte tatsächlich umgebaut werden in Richtung Koalitionsfähigkeit. Was dabei herausgekommen ist, kann man heute in der Gestalt von Joschka Fischer "bewundern".

Und wie sieht es denn nun konkret mit Kampfeinsätzen der Uno-Stand-By-Truppe aus? Würden Sie diese auch mit deutscher Beteiligung befürworten?

Es geht darum, und dies unter ganz anderen Bedingungen, daß Nationalstaaten der Uno Truppenkontingente dauerhaft zur Verfügung stellen, die dann nicht mehr Teil der nationalen Armeen sind. Sie würden dann unter Uno-Kommando stehen und vor allem aus blockfreien Staaten kommen. Über diese Truppen kann die Uno selbst verfügen. Ausschlaggebend für den Einsatz wäre die Vollversammlung und nicht der Sicherheitsrat. Ein geschichtliches Beispiel für den möglichen Einsatz war der Völkermord in Ruanda.

Hier lag ein Mandat des Uno-Sicherheitsrates vor, aber es gab keine Bereitschaft der Uno, auch die Truppen zu stellen. Schließlich hat sich Frankreich das Mandat angeeignet - mit keinem guten Ergebnis. Sich an solchen Uno-Missionen zu beteiligen, halte ich auch in Deutschland für diskussionswürdig. Eine starke, handlungsfähige Uno ist aus meiner Sicht eine Alternative zur Nato und nicht deren Verlängerung unter anderem Namen.