Kein Frieden ohne Moskau

Das kaputtgebombte Jugoslawien bemüht sich um einen Kompromiß und setzt auf die Vereinten Nationen

Jetzt leiden auch US-amerikanische Männer an den Nato-Luftangriffen auf Jugoslawien: Eigentlich hätte in der nächsten Ausgabe des Playboy-Magazins eine Fotostrecke mit den vier Sängerinnen der Belgrader Girlie-Band Models erscheinen sollen. Aus Protest gegen die Nato-Angriffe aber ließen die jugoslawischen Pendants der Spice Girls den Vertrag platzen.

Der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic hat solche Probleme nicht: Die Lead-Sängerin der Pop-Gruppe Turbo-Folk, Jelena Karleusa, sandte ihm ein Foto, auf dem sie bekleidet mit einem knapp bemessenen und leicht zerrissenen Armee-Anzug posiert. Ihre persönliche Nachricht an den Präsidenten: "Alle Frauen lieben Dich."

Die Nato dürfte das ziemlich kalt lassen, sah das Militärbündnis Mitte vergangener Woche doch mit dem Rausschmiß des bisherigen stellvertretenden Ministerpräsidenten Vuk Draskovic bereits den Anfang vom Ende der Belgrader Einigkeit gekommen. Draskovic hatte zuvor die Propagandalügen des Regimes kritisiert und so versucht, sich als Nachfolger von Milosevic zu empfehlen. Und schon unterstellte die Nato auch anderen Regierungsmitgliedern Fluchttendenzen. Dabei gehörte Draskovic nie zum innersten Zirkel der Belgrader Macht. Ein Milosevic-Freund war er ohnehin nie.

Noch im Winter 1996/97 wollte er den jugoslawischen Präsidenten stürzen und klinkte sich in das Oppositionsbündnis Zajedno von Zoran Djindjic und Vesna Pesic ein. Der Ultranationalist und ehemalige Monarchist gab sich als Demokrat aus, um sich nach dem Zerfall des Bündnisses wieder als Nationalist zu gebärden. Erst Anfang dieses Jahres setzte ihn Milosevic als Vizepremier ein und nutzte damit das Talent Draskovics, nationalistische Gefühlswallungen zu bündeln.

Durch den Rausschmiß des stellvertrenden Regierungschefs wird sich aber das serbische Oppositionsbündnis Zajedno kaum neu formieren. Denn Draskovic hat sich mit seinem ehemaligen Weggefährten Djindjic verkracht, und auf seine Entlassung reagierte die Opposition nur mit sehr leiser Kritik.

Draskovic ist für die Nato ohnehin kein Hoffnungsträger. Der Sprecher des Militärbündnisses, Jamie Shea, stellte ganz richtig fest, Draskovic sei nie ein Freund des Westens gewesen. Daß sich der bärtige Wendehals nun als eventueller Nachfolger Milosevics anbietet, zeugt zwar von völliger Selbstüberschätzung, zugleich hat Draskovic aber ein neuformuliertes Kriegsziel der Nato erkannt: Milosevic muß weg.

Dagegen setzen die russischen Verhandlungsbemühungen voll auf den jugoslawischen Präsidenten. Der russische Sondergesandte Viktor Tschernomyrdin pendelte vergangene zwischen Moskau, Belgrad, Bonn und Rom, um den Friedensbringer zu spielen. Und mit Milosevic hat er einen Gesprächspartner, den er schon von gemeinsamen Erdöl-Geschäften her kennt. Eine Machtverschiebung innerhalb der jugoslawischen Regierung würde die Moskauer Friedenspläne erschweren.

Bei der Nato hat man ein ganz anderes Rollenverständnis von Tschernomyrdins Vermittlungstätigkeit. Während der ehemalige russische Ministerpräsident versucht, alternative Lösungen zu finden, die sowohl die Nato als auch Belgrad zufrieden stellen, hat das westliche Militärbündnis ihm eine andere Funktion zugedacht: In Brüssel möchte man Tschernomyrdin lediglich zugestehen, als Polit-Briefträger nach Belgrad zu reisen und Milosevic die Bedingungen der Allianz zu überbringen. Für Rußland ist das kein praktikabler Weg: Moskau möchte sich mit seinen Bemühungen als neue Großmacht etablieren, eine bloße Durchsetzung der Nato-Bedingungen wäre daher eine diplomatische Niederlage.

Wesentlicher Bestandteil der russischen Bemühungen ist die Einwilligung Milosevics, eine internationale Friedenstruppe unter Mandat der Vereinten Nationen (UN) in das Kosovo zu lassen. Der serbische Justizminister Dragoljub Jankovic erklärte am Sonntag, er könne sich gar die Einbindung der Nato-Einheiten in eine solche UN-Truppe vorstellen. Überhaupt zeigt sich die jugoslawische Seite, deren Infrastruktur nach über 40 Angriffstagen schon völlig zusammengebombt ist, kompromißbereit: In einem Interview mit der US-Nachrichtenagentur United Press International bot der jugoslawische Präsident eine "Verringerung unserer Truppen im Kosovo" bei einem gleichzeitigen Abzug der Nato-Streitkräfte. Davor aber müsse es einen Waffenstillstand geben. Eine Nato-Truppe im Kosovo sei für ihn indiskutabel, die UN hingegen könne eine "riesige Mission im Kosovo haben, wenn sie das wollen".

Am Sonntag übergab seine Regierung dem US-Bürgerrechtler Jesse Jackson dann die drei seit Ende März in Jugoslawien festgehaltenen US-Soldaten. Und in Wien traf ein Vertrauter Milosevics am selben Tag mit russischen Parlamentariern und Hinterbänkler aus dem US-Kongreß zusammen. Der republikanische Abgeordnete Curt Weldon präsentierte stolz das Verhandlungsergebnis, das er als "historischen Durchbruch" bezeichnete: Kernpunkt ist auch hier eine internationale Friedenstruppe für das Kosovo, mit der sich auch Jugoslawien einverstanden erklärt hat.

Eine Sprecherin der US-Botschaft in Wien betonte aber, die Abgeordneten hätten kein Verhandlungsmandat gehabt. Und ungeachtet solcher Bemühungen, ohne ihre Beteiligung einen Kompromiß zu erreichen, zieht die Nato in der Region weitere Truppen zusammen. Am Wochenende begann Großbritannien damit, 1 000 Angehörige einer Elite-Truppe in das Krisengebiet zu entsenden. Nach Informationen des Londoner Sunday Telegraph befinden sich die Truppen auf dem Kriegsschiff "Ocean" und sollen im Verband mit 15 ebenfalls durch Europa geschifften Kampfhubschraubern zum Einsatz kommen.

Im Norden Albaniens bereitet man sich bereits auf einen Bodenkrieg vor. Kris Janowsky, Sprecher des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen (UNHCR) bestätigte gegenüber Jungle World, daß man wegen der Kriegsgefahr inzwischen begonnen habe, die Flüchtlingslager rund um die nordalbanische Stadt Kukes zu räumen und die geflohenen Kosovo-Albaner in den Süden des Landes zu verlegen. Auch die albanische Bevölkerung im Norden wurde dringend aufgefordert, das Gebiet zu verlassen.

Dennoch fliegt die Nato Nacht für Nacht die "heftigsten Angriffe seit Kriegsbeginn". Die Nato-Streitmacht ist inzwischen verdoppelt worden: 700 Kampfflugzeuge, etwa 600 davon aus den USA, fliegen rund um die Uhr Einsätze gegen Jugoslawien. In Albanien und Mazedonien stehen mehr als 20 000 Nato-Soldaten. Auf britischen Militärbasen sind B-52-Bomber eingetroffen, die mit Flächebombardements von Industrieanlagen beginnen. Die angekündigte Ausweitung des Luftkrieges soll in Jugoslawien Chaos stiften und damit den Invasionstruppen der Nato eine Landung und Besetzung wichtiger Brückenköpfe erleichtern. Auch die verstärkten Bombardements Montenegros weisen darauf hin, daß man den westlichen Neuankömmlingen durch Chaos den Rücken freihalten will.