Brief aus Mazedonien

Als Christoph Schlingensief zu Beginn des Jugoslawien-Krieges spontan bekannt gab, daß er unverzüglich nach Mazedonien fahren werde, war nicht ganz klar, ob er den Flüchtlingen oder den Kameras hinterreisen wollte und welche Botschaft der Regisseur und Gründer der Arbeitslosenpartei für die Vertriebenen im Gepäck hatte. Chance 2000?

Jetzt hat sich Schlingensief aus Skopje gemeldet. Nicht in einer Live-Schaltung, und fast ohne das übliche Theater. In einem auf den 7. Mai datierten Schreiben, das er an die "Fraktion der Grünen im Bundestag" adressierte, schildert er die katastrophale Situation in den Lagern Stenkovac I und II und greift die Flüchtlingspolitik der westlichen Länder an. Im aufgeregten Tonfall desjenigen, der nicht über eine Katastrophe spricht, sondern sich gleich mittendrin wähnt, beklagt Schlingensief die Abschottung der "reichen Länder" gegen die Flüchtlinge und skandalisiert einen Umstand, der von den professionellen Beobachtern unter Hinweis auf die Taktik der Nato, die Flüchtlinge grenznah zu stationieren, bisher weitgehend unkommentiert blieb: "Sie bomben aus der Luft, man hört es bis hier, und lassen die ärmsten Verbündeten mit 600 000 Flüchtlingen allein, keiner glaubt mehr an irgendwelche moralischen Argumente für diesen Krieg. (...) Was hier stattfindet, empfinde ich als Vorstufe zum Massenmord, zumindest als Beihilfe. Kein Politiker soll mehr von 'Pflicht zur Nothilfe' und Schutz von Menschenrechten sprechen, solange den Betroffenen von den kriegsführenden Ländern Nothilfe und Menschenrechte in so eklatanter Weise verweigert werden."

Das "Flüchtlingsproblem", so Schlingensief im Bewußtsein, einer Tragödie live beizuwohnen, werde sich in ein, zwei Wochen, wenn die Seuchen und Epidemien ausgebrochen sind, "auf makabre Weise von selbst lösen".