Grüne in der Kosovo-Zwickmühle

Die Frage, wer

Viele Mitglieder der Grünen machen ihre Entscheidung über ihr Verbleiben in der Partei von dem Parteitag abhängig: Unterstützt dieser den Kriegskurs, dürften mehrere Tausend Mitglieder, darunter viele Funktionsträger und ganze Orts- und Kreisverbände, die Partei verlassen. Das also ist die Ausgangsopposition. Auch einige Tage vor dem Parteitag hat sich diese Gemengelage noch nicht endgültig geklärt, aber es lassen sich insgesamt drei Gruppen in der Partei ausmachen. Die erste Gruppe umfaßt die Mehrheit der Bundestagsfraktion und auch zahlreiche FunktionsträgerInnen und Abgeordnete auf Länderebene. Es handelt sich um ein Bündnis des klassischen rechten Flügels um Joseph Fischer, Rezzo Schlauch und Krista Sager, angereichert um Personen wie Ludger Volmer, Angelika Beer und Kerstin Müller aus dem Spektrum des linken Babelsberger Kreises. Ihr Interesse ist es, in der Partei eine klare Unterstützung der Kosovo-Politik der Regierung und damit des Nato-Angriffskrieges zu erreichen. Natürlich wollen auch sie den Krieg beenden, aber eben mit einem Sieg der Nato.

Eine Feuerpause nach dem Fischer-Plan, zu der Belgrad den ersten Schritt tun und mit einem Truppenabzug aus dem Kosovo beginnen müßte, hat man auch im Repertoire. Das wäre gewissermaßen die endgültige olivgrüne Wende der Grünen. Ihr Hauptargument: Jeder andere Beschluß gefährde die grüne Regierungsbeteiligung. In diesen Kreisen würde sicher die eine oder andere Champagner-Flasche geköpft, wenn die antimilitarischen und pazifistischen Störenfriede nach dem Parteitag gehen würden. Eine Niederlage der KriegsbefürworterInnen in Bielefeld hätte vermutlich ebenfalls personelle Konsequenzen, die in der Absprengung rechter Teile der Partei gipfeln könnten.

Davon zu unterscheiden ist die zweite Gruppe, die auch vom Bundesvorstand repräsentiert wird und so tut, als könnte sie die Gesamtpartei integrieren. Diese Gruppe hat anfangs zumeist die Nato-Bombardierungen unterstützt, bilanziert jedoch nunmehr nüchtern, daß die Ziele nicht erreicht wurden. Sie ist auch für eine Feuerpause, allerdings soll die Nato dafür den ersten Schritt tun und ihre Luftangriffe zeitweise einstellen. Da diese Gruppe die "Friedensbemühungen" der Bundesregierung und den Fischer-Plan unterstützt, kann sie wunderbar mit der ersten Gruppe koalieren. Teile dieser mittleren Gruppe kommen ebenfalls aus dem Babelsberger Kreis; sie stecken in dem Dilemma, daß sie mit der Durchsetzung solch einer Feuerpausen-Position den erwähnten Massenexodus von KriegsgegnerInnen auslösen würden, mit dem Effekt, daß sie dadurch selbst in der Partei strukturell in die Minderheit gerieten. Darum müßte diese Gruppe ein Interesse an Bündnissen mit den konsequenten KriegsgegnerInnen in der Partei haben. Fragt sich nur, ob sie das auch rechtzeitig realisiert.

Die dritte Gruppe hat die prinzipielle Ablehnung des Nato-Angriffskrieges von Anfang an geeint. Man gibt sich nicht mit Feuerpausen zufrieden, sondern verlangt die bedingungslose Beendigung der Nato-Bombardierungen, was die Bundesregierung durch ein Aufkündigen der deutschen Beteiligung befördern könnte. Die Gruppe wird im Bundestag von acht Abgeordneten repräsentiert, darunter Christian Ströbele und Annelie Buntenbach. Ihren politischen Einfluß bezieht diese Gruppe im wesentlichen aus der grünen Anti-Kriegs-Initiative. Allerdings ist die Gruppe nicht einheitlich, sie zerfällt wiederum in zwei Teile: Der eine will bei einer Niederlage auf dem Parteitag die Partei verlassen, weil damit die eigene Schmerzgrenze überschritten wäre, der andere kann sich vorstellen, auch als Minderheit weiter bei den Grünen zu bleiben, obwohl ihm dann die völlige Marginalisierung drohte. Diskutiert wird die Frage, wie der Mißachtung eines Anti-Kriegs-Beschlusses durch die grüne Bundestagsfraktion vorgebaut werden kann. Schließlich hat die Fraktion im Brechen von Parteitagsbeschlüssen eine langjährige Erfahrung.

Folgen könnte jedoch auch ein Beschluß haben, der eine andere Politik verlangt, ohne Rücktritte von Personen zu verlangen. Denn könnte ein Außenminister Fischer nach einem Parteibeschluß, der die Politik der deutschen Bundesregierung ausdrücklich ablehnt, gegen den dann entstehenden öffentlichen Gegenwind wirklich einfach weitermachen, als wäre nichts geschehen? Da ein Formelkompromiß in der Frage Krieg und Frieden nicht möglich ist, werden die Grünen nach dem 13. Mai Mitglieder verlieren. Die Frage, wer gehen wird, ist allerdings absolut offen.

Uli Cremer war bis Januar 1999 Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden von Bündnis 90/Die Grünen.