Im gleichen Schritt

Auf ihrem Parteitag wollen die Grünen endlich ihren Frieden mit dem Krieg schließen

1990 muß ein "günstiges Friedensklima" geherrscht haben. Zwar waren "die Anliegen der Friedensbewegung, denen die Grünen sich seit ihrer Gründung verpflichtet fühlen", noch nicht vollständig verwirklicht. Aber das Ende der Blockkonfrontation verleitete zum Träumen: von einer "Welt ohne Militärblöcke" und einer "Gesellschaft ohne Waffen und Armeen".

Für die Durchsetzung einer "neuen Friedensordnung" waren die Grünen, glaubt man dem grünen Programm zur Bundestagswahl 1990, "zum Bruch mit der Nato bereit". Denn, so hieß es: "Friedenspolitik kann nicht auf der Basis von Militärblöcken betrieben werden." Die Nato, aus der heute die größte Friedensbewegung der Welt geworden ist, betrieb damals noch "mehr und mehr die Absicherung ökonomischer Interessen der EG und der USA, um deren 'vitale' Ausbeutungsinteressen in Ländern der Dritten Welt durchzusetzen".

Wie zur Bestätigung dieses Verdikts folgte ein Jahr später der zweite Golfkrieg. Die Grünen forderten Helmut Kohl auf, den USA die Gefolgschaft zu verweigern. Zur gleichen Zeit gelang den Realpolitikern um Joseph Fischer der innerparteiliche Durchmarsch. Von nun an wurden die außenpolitischen Grundsätze der Partei für den Marsch auf die Regierungsbank zurechtgemacht - und wer es wissen wollte, konnte es auch erfahren: "Eine Partei, die auf Bundesebene regierungsfähig sein will, muß in der Außenpolitik zu einer Linie finden, die von den Bündnispartnern akzeptiert wird", mahnte im August 1995 der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit im Interview mit der tageszeitung.

Die damalige Programmrevision wurde unter Verweis auf den Krieg in Bosnien mit humanitären Zielen begründet. Im Juni 1995 stimmte der deutsche Bundestag einem "Friedenseinsatz" in der Region zu. Vier grüne Abgeordnete (Gerd Poppe, Marieluise Beck, Helmut Lippelt und Waltraud Schoppe) votierten offen für die Beteiligung an der Militärintervention. Joseph Fischer hingegen fürchtete damals noch, "daß es weitergehen wird und die Selbstbeschränkung deutscher Außenpolitik ad acta gelegt wird".

Nur kurze Zeit später allerdings, nach dem Massaker von Srebrenica, redete er seiner Partei ins Gewissen: "Können wir Prinzipien höher stellen als Menschenleben, und was wird aus unserem Prinzip der Gewaltfreiheit, wenn es sich der menschenverachtenden Gewalt beugt? Wie muß sich eine gewaltfreie Partei, die sich in ihrem Gründungsprogramm zum Notwehrrecht klar und eindeutig bekennt, in diesem Konflikt zwischen Notwehrrecht und Gewaltfreiheit verhalten?" Fragen, die später in der Praxis klar und eindeutig beantwortet werden sollten.

Besondere Aufmerksamkeit verdient eine Passage in Fischers Offenem Brief an die Partei, in der er sich bereits als künftiger Außenminister geriert: Europa, so Fischer, könne sich gegenüber Bosnien nicht so verhalten "wie zum Beispiel (gegenüber) dem Sudan oder Afghanistan". Aus der Nähe des Konfliktherdes ergebe sich "ein wesentlich anderes Gefährdungspotential für die näheren und ferneren Nachbarn".

Fischers altem Kampfgenossen Cohn-Bendit ging das nicht weit genug. Er beklagte die "Halbherzigkeiten" der Grünen gegenüber den bosnischen Serben. Mit Blick auf Fischer, der damals der Ansicht war, deutsche Soldaten sollten sich im Falle "friedenserzwingender" Einsätze in Abstinenz üben, sagte Cohn-Bendit: "Wenn Fischer einmal Außenminister ist, wird er diese Position nicht beibehalten können."

Die Parteilinke beeilte sich, der Wendung zum Bellizismus zu folgen: "Nicht jede Gewalt ist militärische Gewalt", argumentierte Ludger Volmer auf dem Strategiekongreß der Grünen im Oktober 1995 in Bad Godesberg für eine deutsche Beteiligung an bewaffneten internationalen Einheiten, die selbstverständlich keine Armee sein sollten, sondern "Konfliktschlichter-Einheiten". Die Bedeutung der grünen Position für seine persönliche Karriere bleute der Oberrealo persönlich seiner Partei ein: "Falls die Partei die fundamentale Absage an militärische Gewalt ernst meint und für eine Abschaffung der Bundeswehr und den Austritt aus der Nato Planungen vorlegt, wird sie für eine Regierungsbeteiligung im Bund weder einen Partner noch eine Mehrheit finden. Alle wissen es, aber keiner und keine sagt es." Auf dem Bremer Parteitag im Dezember 1995 verlangten die Grünen daraufhin den Einsatz leicht bewaffneter "ziviler Kontingente" im Rahmen von UN oder OSZE.

Noch in ihrem Programm für die Bundestagswahl traten die Grünen für "machtpolitische Selbstbeschränkung" und "internationale Einbindung, für zivile Formen des internationalen Interessensausgleichs und der Streitbeilegung" ein. "Wir wollen mit der Entmilitarisierung der internationalen Politik bei uns anfangen." Und: "Bündnis 90 / Die Grünen sind nicht bereit, militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze mitzutragen." Nur durch eine Entmilitarisierung der Politik, so hieß es damals noch, sei erreichbar, daß zivile Konfliktbearbeitung nicht mehr dem alten militärischen Denken untergeordnet wird. Friedenspolitik könne sich "nicht hinter Bündniszwängen oder vermeintlichen internationalen Notwendigkeiten verstecken". Für eine Politik der "Friedenssicherung" seien "multinationale Einheiten zu schaffen, die der direkten Verfügungsgewalt der Vereinten Nationen und der OSZE unterstellt werden."

"Wenn wir von den Wählerinnen und Wählern den Auftrag bekommen, werden wir tun, was wir gesagt haben", stellte das Papier der Grünen in Aussicht. Kaum hatten sie am 27. September 1998 mit ihren Forderungen eine Mehrheit für die Regierungsbeteiligung erreicht, taten sie genau das Gegenteil von dem, was sie versprochen hatten: Fischer war noch nicht im Amt, da stimmten auch die grünen Abgeordneten für die Bombardierung Serbiens, "weil es in dieser Situation nicht anders ging" (Fischer).

Als die USA Bagdad angriffen, nannte auch die friedenspolitische Sprecherin der Partei, Angelika Beer, den Militärschlag "riskant, aber verständlich". Der Vorstoß, so Antje Radcke, sei zwar "völkerrechtlich bedenklich" - sprich: gegen das Völkerrecht, Saddam Hussein allerdings habe "die Reaktion provoziert". Auch für die Entsendung von 6 000 Bundeswehrsoldaten samt Leopard 2-Panzern auf den Balkan gaben die - völkerrechtswidrig handelnden - Grünen ihr Placet. Außenminister Fischer dekretierte im Vorfeld, notfalls dürfe man auch ohne Mandat der Vereinten Nationen zuschlagen - man dürfe "Bedenken nicht erst nach einer humanitären Katastrophe" anbringen.