Imbiß-Hedonisten

"Head Music" von The Suede, die vergaßen, sich rechtzeitig aufzulösen

"Stell einfach nur sicher, daß es leuchtend und bunt ist und der Name des Songs und des Acts dich aus dem Frontcover anspringt. Keine großartigen Konzepte." Offenbar sind Suede der Devise von Bill Drummond und Jimmy Cauty (KLF) gefolgt und haben ihr neues Album "Head Music" betont schlicht gehalten. Keine Jungen mehr, die sich küssen, kein nackter Mann, der sich lasziv auf einem Bett räkelt, keine graphisch verfremdeten Models. Statt dessen: zwei bunte Klumpen mit Kopfhörern. Machen Suede jetzt Kopfmusik mit verquasten Texten?

Zum Image der britischen Band gehörte bisher ihr Spiel mit geschlechtlichen Identitäten, ihre Rückbesinnung auf den Glam-Rock der Siebziger und die Tatsache, daß die B-Seiten ihrer Singles fast besser sind als die A-Seiten. Entstanden war dies vor allem aus der Zusammenarbeit von Brett Anderson und Bernhard Butler. Der eine lieferte die Texte über desorientierte Jugendliche in Londoner Vororten, der andere schrieb die Musik dazu. Gern wurden die beiden mit Morrissey und Johnny Marr von The Smiths verglichen. Wenig verwunderlich zu einem Zeitpunkt, als die Medien nach neuen Idolen suchte, weil die alten gerade abgetreten waren. Morrissey bekannte sich dann auch zu Suede, übernahm sogar "My Insatiable One", die B-Seite der ersten Single, für sein Live-Programm.

Diese Unterstützung hatten Suede aber bald nicht mehr nötig. Noch vor Veröffentlichung ihres ersten Albums titelte 1992 der Melody Maker: "Best New Band in Britain". Bei dem Wirbel, der um die Band gemacht wurde, war es fast abzusehen, daß das Debütalbum im März 1993 von null auf Platz eins in den Charts schoß. Aber wie bei The Smiths konnte die Zusammenarbeit zwischen zwei geltungssüchtigen Frontmännern nicht gut gehen. Schon nach dem zweiten Album "Dog Man Star" stieg Bernhard Butler aus und versuchte sich seitdem mit geringem Erfolg als Solist.

Suede landeten dagegen mit ihrem dritten Album "Coming Up" wieder einen Hit. Der Sound hatte sich allerdings verändert. Weniger Gitarren, mehr Keyboard. Dieser Trend setzt sich auf "Head Music" fort. Der Keyboarder Neil Codling sitzt jetzt öfter am Computer als vor dem Klavier und macht seine Kollegen auch schon mal arbeitslos, weil er einfach die Drum-Machine anschaltet und Gitarrenriffs elektronisch verfremdet.

Darin drückt sich das Verlangen britischer Bands aus, nicht mehr britisch sein zu wollen. Der Brit-Pop war mit allzu vielen Streichern und Gitarren beladen. Demonstrativ wird in dem Song "Crack the Union Jack" der Untergang des Königreiches ausgerufen. Und Gitarrist Richard Oakes, der 1994 für Butler in die Band kam, sagt in einem Interview mit dem Berliner Stadtmagazin Zitty: "Hätten wir die Wahl, wären wir gern anders. England hat so ein schlechtes Image. Es ist voller Snobs, isoliert auf einer Insel. Wenn das Englische in unserer Musik heraussticht, dann nur, weil wir keinen Weg gefunden haben, es zu kaschieren."

Cool Britannia ist alles andere als cool, seitdem Labour regiert, die Arbeitslosenunterstützung gestrichen und Hochschulgebühren eingeführt wurden. Aber Suede haben nie offen mit Tony Blair sympathisiert. Anders als Pulp oder Oasis. Trotzdem können die fünf Briten nicht aus ihrer Haut. Deswegen tragen sie immer noch zu enge schwarze Lederjacken, färben sich die Haare und singen von den Außenseitern, von Prostituierten, Junkies und all den anderen, die nicht wissen, was sie mit ihrem Leben und der Liebe anfangen sollen. "We got a love that's as cold as stone", so beginnt "Head Music" und es endet mit dem besungenen Riß im Union Jack. Dieses direkte politische Statement ist neu bei Suede.

Ansonsten bleibt themenmäßig alles beim alten. "I'm walking like a woman and talking like a stone age man", heißt es zum Beispiel in "Can't Get Enough" und spielt einmal mehr auf das androgyne Image der Band an. Was bei "Animal Nitrate" noch ernst gemeint war, ist längst zum Klischee geworden. Suede wissen es, aber jetzt glauben sie selbst an das, was ihnen nachgesagt wird, daß sie ein bisexueller hedonistischer David Bowie-Verschnitt sind.

Und weil David Bowie schließlich auch nicht mehr das ist, was er einmal war, müssen sich auch Suede ein bißchen verändern. Man wird plötzlich nicht mehr von Gitarrenbands beeinflußt, sondern hört Asian Dub Foundation und Tricky und bastelt sich eine elektronische Klangwelt.

Daß dabei leicht das Gefühl verloren gehen kann, scheinen die Jungs nicht bedacht zu haben. Die Sterilität mancher Songs läßt sich auch nicht durch technische Spielereien verdecken. Was wie ein Drum'n'Bass-Mix klingen soll, wirkt eher wie Plastik-Pop. Da wünscht man sich Bernhard Butler zurück. Aber es bleibt fraglich, ob Suede mit ihm nicht die gleiche Entwicklung genommen hätten.

Die erste Single-Auskopplung "Electricity" läßt noch am ehesten erahnen, was aus "Head Music" hätte werden können. Die Fortsetzung von "Coming Up": Ein Album, das schnelle und ruhige Stücke nach einem übergeordneten Prinzip miteinander verbindet, ohne an Intensität zu verlieren, und gleichzeitig Auskunft gibt über den Zustand einer Generation. Die Frühlingshymne "Everything Will Flow" und Balladen wie "Down" und "He's Gone", knüpfen da an, wo Suede vor ein paar Jahren aufgehört haben. Nur damals paßten die vier Stücke noch auf eine Single. Jetzt müssen sogar - wenn es das gäbe - C-Seiten für das offizielle Album herhalten.

Neil Codling selbst findet, daß "Head Music" ein Haufen Kieselsteine sei. Was fehlt, ist das stimmige Konzept. Planlos wird über Mode, Drogen und Frauen gesungen, wobei das nicht viel zu bedeuten hat. Brett Anderson benutzt das "She" nur, weil ihm das Wort so gut gefällt, und versucht in seinen Texten, Starlets und Loser gleichermaßen unterzubringen. Die ganze Bandbreite. Das ist zwar nicht ungewöhnlich. Diesmal wirkt es aber sehr aufgesetzt.

Mit Kopfmusik hat das nichts zu tun, eher mit Langeweile oder Desinteresse. Alles ist leicht und oberflächlich aufbereitet, massenkompatibel. Manchmal funktioniert das auch, nur bleibt nichts hängen. Gerade Suede wollten sich immer als ernsthafte Musiker etablieren und bloß keine Eintagsfliege sein. Daß ihnen dies nicht gelingt, liegt daran, daß sie ihre Gitarren gegen Mischpult und Synthesizer eingetauscht haben und von dem "thundering sound", den Suede in "Elephant Man" noch einmal beschwören, nicht mehr viel zu spüren ist.

Was The Verve gerade gelungen ist - den Absprung auf dem Höhepunkt des Erfolges zu schaffen - wird Suede für immer versagt bleiben. Mit ihren ersten Alben werden sie dennoch viele in Erinnerung behalten, und die Band wird auf den ersten Nineties-Revival-Partys der Klassiker sein. Sie wird in die Pop-Geschichte eingehen, soviel ist sicher. Die Einsamkeit in der Großstadt London war ihr Thema, heißt es dann, und: Suede sind die Smiths der Neunziger - nur leider haben sie vergessen, sich rechtzeitig aufzulösen.

The Suede: "Head Music". Nude /Epic