Into the Gruft

Pfingsten trifft sich in Leipzig die Wave & Gotik-Szene

Trotz aller Widersprüche gilt Popkultur weiterhin als irgendwie emanzipativ, zumindest aber als progressiv. Der seit einiger Zeit zu beobachtende Backlash wird deshalb nicht gerne zur Kenntnis genommen. Vor allem die Gruft-Szene ist durchlässig für ein Ideologie-Gemisch, das heidnisch-rassischen Mystizismus mit Runenmagie und der Rückbesinnung auf angeblich naturgegebene Werte verbindet. Zu besichtigen sind die Trends der schwarzen Szene wie jedes Jahr am Pfingstwochenende auf einer der wichtigsten Gruft-Veranstaltungen, dem Wave & Gotik-Treffen in Leipzig.

Vier Tage lang bevölkern 15 000 bis 20 000 Gothic-Fans die Straßen der Messestadt im Osten und besuchen die über das gesamte Stadtgebiet verteilten Veranstaltungen. Die anreisenden Grufts repräsentieren dabei den breiten Teil der Szene, die vom Bankangestellten, der sich am Wochenende mal ein schwarzes T-Shirt überstreift, zum Fulltime-Gestylten reicht. Angelockt werden sie von der Einzigartigkeit des Festivals, das eben nicht nur Konzerte bietet, sondern auch Lesungen, Märkte, Friedhofsführungen, ein "heidnisches Dorf" und eine "schwarze Tanzmeile".

Daß die Mehrheit der schwarzen Szene sich immer noch irgendwo zwischen mehr oder weniger ungefährlichen Jura-Studenten und melancholischen Teenagern bewegt, kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich im Zentrum des Dark Wave ganz andere Strömungen ausbilden. Der wegen seiner rechtsradikalen Aktivitäten gefeuerte Ex-Weissglut-Sänger Josef Maria Klumb beispielsweise kommt aus genau diesem Umfeld. Das Fascho-Fanzine Sigill veranstaltete einen Tanzabend in der Leipziger Moritzbastei.

Die völkischen Trendsetter kommen zumeist aus dem Umfeld der genrebildenden Band Death in June und ordnen sich selbst unter "Neo-Folk" ein. Death in June sind auf dem Festival 1999 lediglich mit diversen Nebenprojekten vertreten, zum regulären Programm gehören dagegen die im Neofolk hochgeschätzten Fire & Ice und Ain Soph, deren Auftritte in vielen Ankündigungen bereits als Höhepunkte des Festivals bezeichnet werden. Beide Gruppen haben sich politisch eindeutig positioniert.

In einem Interview mit dem Fanzine Sigill erklärt Fire & Ice-Frontmann Ian Read, als er auf "faschistische und rassistische Ideen" angesprochen wird: "Keine Idee ist völlig wertlos. Die Deutschen hatten einen riesigen Komplex, der ihnen von einer Nachkriegsgehirnwäsche eingeimpft worden war. Deutsche Magier sollten sich wirklich von den Meinungen darüber, was korrekt ist und was nicht, die ihnen andere aufgedrängt haben, befreien. Ich biete dir folgendes als Stoff zum Nachdenken an: Konzentrationslager sollte wohl KL abgekürzt werden, man führte jedoch KZ ein, weil das Z es viel schrecklicher klingen ließ."

Gegenüber dem in Jena erscheinenden Blatt Aeon sagte Read zum Thema multikulturelle Gesellschaft: "Die Idee und baldige Realität, daß Völker einander ähneln werden, ist mir ein Greuel. Gebt mir Diversität anstatt dieser Konformität. Meine Vision der Menschheit würde Stephen King Alpträume verursachen." Wer so überzeugt den rassisch begründeten Ethnopluralismus propagiert, dem muß man mit der Gleichheit der Menschen gar nicht erst kommen. Ian Read: "Übermenschen denken für sich selbst ohne Angst (obgleich sie sich manchmal listig verhalten müssen). Ihre Willen sind stark und unabhängig. (...) Solche Männer werden nicht solchen Trends wie political correctness folgen. (...) Untermenschen mangelt es an all diesen Qualitäten."

Wie fließend der Übergang vom mystischen Hokuspokus zur faschistischen Propaganda ist, belegt auch die aus Italien kommende Band Ain Soph, der selbst die Junge Freiheit attestiert, daß sie "in reaktionärster Weise den transzendent ausgerichteten (und damit) starken Staat auf der Grundlage der Familie und Tugenden von Disziplin und Ehre" fordert.

Ain Soph lassen sich im amerikanischen Magazin Descent über das Italien der Siebziger und die Roten Brigaden aus: "Es gab einen Bürgerkrieg zwischen Neo-Faschisten und Ultra-Kommunisten. Unser Standpunkt in dem Konflikt ist klar. (...) Wenn Magie ein Fortschritt zu einem übernatürlichen Seinszustand ist, dann sind Doktrine des materialistischen Zurückweisens von allem Heiligen unser Feind. Und das war ebenso der Ansatz von einigen derjenigen, die die Waffen in die Hand genommen haben."

Die Schlußfolgerung, daß mit "Materialismus" wohl "Marxismus" gemeint ist, sie also die Seite der Neofaschisten eingenommen hätten, bleibt dem Leser überlassen. Keine allzuschwere Aufgabe, erscheint das Interview doch in einem Umfeld, in demdem Nationalsozialismus offene Bewunderung entgegengebracht wird: "Nationalsozialismus versuchte die herausragenden Individuen im Dienste der Volksgemeinschaft (Stamm) einzuspannen. Genau wie der Beste ausgewählt wird, eine Herde zu führen."

Obgleich es an Belegen für die nazistische Gesinnung dieser Gruppen nicht mangelt, haben die Veranstalter des Gotik-Treffens offenbar keine Probleme damit, diese einzuladen. Schwierigkeiten dagegen haben die Leipziger Veranstalter mit den Medien, die über den politischen Background der Bands berichten. So erklärte Nancy Schumann, eine Sprecherin des Festivals, gegenüber Jungle World: "Da muß man schon sehen, daß das in den Medien viel zu sehr hochgepusht wird." Gerade wenn es um Neo-Folk geht, sei alles gar nicht so, wie es scheint: "Das ist das Problem, daß sich da viele Leute von der Berichterstattung darauf stürzen, obwohl die Bands mit Faschismus überhaupt nichts zu tun haben. Es ist ein Angriffspunkt, den wir nicht eliminieren können. Die Deutschen reagieren einfach empfindlich darauf, sobald jemand auf das Dritte Reich zeitgeschichtlich zu sprechen kommt."

Auf das Thema "Neuheiden" angesprochen, erklärt Schumann: "In diesem Bereich ist es sehr schwierig. Man kommt sehr schnell an eine Grenze, wo man sich einfach mit Kreuzen schmückt und man dann hinterher feststellt: 'Oh, die sind aber im Nazi-Reich verwendet worden.' Und die einfach nur schön fand." Selbst wenn Gruppierungen wie die Nationalanarchen des Magazins Sigill ausgeschlossen werden, dann nicht etwa wegen ihrer politischen Gesinnung, sondern wegen ihrer Umgangsformen. Die Veranstalter: "Die legen nicht mehr auf, weil wir gelernt haben, daß die Leute - aus welchen Gründen auch immer - eine provokante Art an den Tag legen. Was auch immer die sich dabei denken."

Immerhin sollen in diesem Jahr bekennende Nazis mit Aufnähern zurückgewiesen werden. Und tatsächlich haben sich alle Bands vom "Extremismus" distanziert. Eine Verzichtserklärung, die den völkischen Gruppen nicht schwer gefallen sein dürfte, propagieren sie doch dem eigenen Selbstverständnis nach lediglich eine naturgegebene Werteordung. Oder in den Worten des von Nationalrevolutionären wie Neofolks gleichsam verehrten Julius Evola: "Extremisten sind ebenso wie Reformisten oberflächlich. Sie sind nicht radikal."

Ebenso wird der Ausschluß der Stiefelnazis von nebenan keinen der musizierenden Mystiker stören, wähnen sich diese doch dem Durchschnittsmenschen (und Rechten) überlegen. Selbst Josef Maria Klumb, der kaum einen geraden Satz zustande bringt, zählt sich zur geistigen Elite. Die verbale Distanzierung gegenüber der völkischen Ideologie ist eine Pflichtübung ebenso wie die von Zillo angesetzte Podiumsdiskussion zum Thema "Die braune Flut". Bei Ihr sollen "Jay Kay von Weissglut / Forthcoming" und Joachim Witt auftreten, dem man manchmal wünscht, daß er wirklich nicht weiß, was er tut, und Dampfplauderer Campino von den Toten Hosen.

Das Motiv für diese Distanzierung erläutert die Pressesprecherin des Festivals dankenswerterweise selbst. Darauf angesprochen, daß zumindest Veranstaltungen mit Weissglut oder das Sigill-DJing nicht mehr stattfinden, erklärt sie: "Ja, das ist einfach ein Teil dessen, was wir gerne gemacht hätten. Wo dann gesagt wird: Habt da mal ein Auge drauf. Die haben diverse Medien auf dem Kieker. Seid da lieber vorsichtig. Wartet ab. Vielleicht beruhigt sich die Situation."